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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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fassenden Epos zu verarbeiten verstand; der Spielmann aber, welcher vom
König Orendel dichtete, hat den interessanten Schiffermythus wenigstens so weit
benutzt, daß wir bei näherer Betrachtung des Gedichtes das ursprüngliche
Gefüge der alten Sage noch erkennen können.

Zu Trier -- so erzählt er -- saß König Oygel. Sein Sohn Orendel
segelte, als er zum Ritter geschlagen war, mit einer Flotte von 72 Kielen den
Rhein hinunter in das "wüthende Meer", um die Königin von Jerusalem,
Frau Breite, "die schönst' ob allen Weiber", sich zur Gemahlin zu gewinnen.
Durch einen Sturm wird er in das "wilde Klebermeer" geworfen, wo er drei
Jahre festsitzt. Kaum befreit, wird er abermals von einem Sturmwinde über¬
fallen; seine Schiffe mit allem Heer versinken; nur er selbst erreicht, an eine
Diele geklammert, nackt und bloß das Land, wo er am vierten Tage von
Meister Eise "einem Fischer Heer und weise" gefunden und in Dienst genommen
wird. Dieser Fischer, der achthundert Knechte unter seinem Befehle hat, bewohnt
eine herrliche Burg mit sieben Thürmen. Unter den Fischen, welche Orendel
durch einen glücklichen Zug fängt, findet sich auch ein Wal, welcher einen
grauen Rock im Magen trügt. Dies ist der ungenähte Rock des Gekreuzigten,
welcher von dem Juden, der ihn als Lohn für gute Dienste vom König He-
rodes erhalten, in des Meeres Tiefe geworfen worden war, weil er von dem
Blute des Gemarterten nicht gereinigt werden konnte. Mannichfache Schicksale
hatte der Rock erfahren, bis er endlich vom glücklichen Orendel in jenes Fisches
Magen gefunden wird. "Um zwanzig Pfennige Gold, die ihm sandt' unsre
Fran so hold" erwirbt der Held das heilige Gewand; bald darauf wird er
auf seine Bitten auf kurze Zeit aus feiner Knechtschaft entlassen. Zu Fuße
gelangt er, ohne weitere Fährlichkeiten, nach Jerusalem. Auf dem Burghofe
findet er Alles voll Leben: die Tempelherren treiben Kampfspiel und allerlei
Kurzweil vor den Augen der Frau Breite, welche von der Burgzinne ans
zuschaut. Da klagt Orendel, daß er uicht Roß und Schild habe, an mitzu¬
reiten; ein heidnischer König, der sich mit seinem Bruder als Freier der Königin
Breite am Hofe aufhält, ist gutmüthig genug, ihm das Gewünschte zu leihen,
unter der Bedingung, daß der "Granrock" -- so nennt er ihn nach seinem
Kleide -- sein Knecht und Eigemnann wird, falls er das Geliehene im Kampfe
verliere. Des Heiden Bruder ist der Erste, den Orendel vom Pferde sticht;
dann entledigt er noch zwölf andere Rosse ihrer Reiter. Die Rüstung der
Gefallenen überantwortet der Sieger -- und hier zeigt sich deutlich der er¬
zählende Spielmann -- dem fahrenden Volke.


Das fahrende Volk, es ward so froh,
Es gab ein Rufen, ein Halloh,
Sie trugen es alles hin zum Wein,
Und verkauften's, was es werth mochte sein;

fassenden Epos zu verarbeiten verstand; der Spielmann aber, welcher vom
König Orendel dichtete, hat den interessanten Schiffermythus wenigstens so weit
benutzt, daß wir bei näherer Betrachtung des Gedichtes das ursprüngliche
Gefüge der alten Sage noch erkennen können.

Zu Trier — so erzählt er — saß König Oygel. Sein Sohn Orendel
segelte, als er zum Ritter geschlagen war, mit einer Flotte von 72 Kielen den
Rhein hinunter in das „wüthende Meer", um die Königin von Jerusalem,
Frau Breite, „die schönst' ob allen Weiber", sich zur Gemahlin zu gewinnen.
Durch einen Sturm wird er in das „wilde Klebermeer" geworfen, wo er drei
Jahre festsitzt. Kaum befreit, wird er abermals von einem Sturmwinde über¬
fallen; seine Schiffe mit allem Heer versinken; nur er selbst erreicht, an eine
Diele geklammert, nackt und bloß das Land, wo er am vierten Tage von
Meister Eise „einem Fischer Heer und weise" gefunden und in Dienst genommen
wird. Dieser Fischer, der achthundert Knechte unter seinem Befehle hat, bewohnt
eine herrliche Burg mit sieben Thürmen. Unter den Fischen, welche Orendel
durch einen glücklichen Zug fängt, findet sich auch ein Wal, welcher einen
grauen Rock im Magen trügt. Dies ist der ungenähte Rock des Gekreuzigten,
welcher von dem Juden, der ihn als Lohn für gute Dienste vom König He-
rodes erhalten, in des Meeres Tiefe geworfen worden war, weil er von dem
Blute des Gemarterten nicht gereinigt werden konnte. Mannichfache Schicksale
hatte der Rock erfahren, bis er endlich vom glücklichen Orendel in jenes Fisches
Magen gefunden wird. „Um zwanzig Pfennige Gold, die ihm sandt' unsre
Fran so hold" erwirbt der Held das heilige Gewand; bald darauf wird er
auf seine Bitten auf kurze Zeit aus feiner Knechtschaft entlassen. Zu Fuße
gelangt er, ohne weitere Fährlichkeiten, nach Jerusalem. Auf dem Burghofe
findet er Alles voll Leben: die Tempelherren treiben Kampfspiel und allerlei
Kurzweil vor den Augen der Frau Breite, welche von der Burgzinne ans
zuschaut. Da klagt Orendel, daß er uicht Roß und Schild habe, an mitzu¬
reiten; ein heidnischer König, der sich mit seinem Bruder als Freier der Königin
Breite am Hofe aufhält, ist gutmüthig genug, ihm das Gewünschte zu leihen,
unter der Bedingung, daß der „Granrock" — so nennt er ihn nach seinem
Kleide — sein Knecht und Eigemnann wird, falls er das Geliehene im Kampfe
verliere. Des Heiden Bruder ist der Erste, den Orendel vom Pferde sticht;
dann entledigt er noch zwölf andere Rosse ihrer Reiter. Die Rüstung der
Gefallenen überantwortet der Sieger — und hier zeigt sich deutlich der er¬
zählende Spielmann — dem fahrenden Volke.


Das fahrende Volk, es ward so froh,
Es gab ein Rufen, ein Halloh,
Sie trugen es alles hin zum Wein,
Und verkauften's, was es werth mochte sein;

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[0229] fassenden Epos zu verarbeiten verstand; der Spielmann aber, welcher vom König Orendel dichtete, hat den interessanten Schiffermythus wenigstens so weit benutzt, daß wir bei näherer Betrachtung des Gedichtes das ursprüngliche Gefüge der alten Sage noch erkennen können. Zu Trier — so erzählt er — saß König Oygel. Sein Sohn Orendel segelte, als er zum Ritter geschlagen war, mit einer Flotte von 72 Kielen den Rhein hinunter in das „wüthende Meer", um die Königin von Jerusalem, Frau Breite, „die schönst' ob allen Weiber", sich zur Gemahlin zu gewinnen. Durch einen Sturm wird er in das „wilde Klebermeer" geworfen, wo er drei Jahre festsitzt. Kaum befreit, wird er abermals von einem Sturmwinde über¬ fallen; seine Schiffe mit allem Heer versinken; nur er selbst erreicht, an eine Diele geklammert, nackt und bloß das Land, wo er am vierten Tage von Meister Eise „einem Fischer Heer und weise" gefunden und in Dienst genommen wird. Dieser Fischer, der achthundert Knechte unter seinem Befehle hat, bewohnt eine herrliche Burg mit sieben Thürmen. Unter den Fischen, welche Orendel durch einen glücklichen Zug fängt, findet sich auch ein Wal, welcher einen grauen Rock im Magen trügt. Dies ist der ungenähte Rock des Gekreuzigten, welcher von dem Juden, der ihn als Lohn für gute Dienste vom König He- rodes erhalten, in des Meeres Tiefe geworfen worden war, weil er von dem Blute des Gemarterten nicht gereinigt werden konnte. Mannichfache Schicksale hatte der Rock erfahren, bis er endlich vom glücklichen Orendel in jenes Fisches Magen gefunden wird. „Um zwanzig Pfennige Gold, die ihm sandt' unsre Fran so hold" erwirbt der Held das heilige Gewand; bald darauf wird er auf seine Bitten auf kurze Zeit aus feiner Knechtschaft entlassen. Zu Fuße gelangt er, ohne weitere Fährlichkeiten, nach Jerusalem. Auf dem Burghofe findet er Alles voll Leben: die Tempelherren treiben Kampfspiel und allerlei Kurzweil vor den Augen der Frau Breite, welche von der Burgzinne ans zuschaut. Da klagt Orendel, daß er uicht Roß und Schild habe, an mitzu¬ reiten; ein heidnischer König, der sich mit seinem Bruder als Freier der Königin Breite am Hofe aufhält, ist gutmüthig genug, ihm das Gewünschte zu leihen, unter der Bedingung, daß der „Granrock" — so nennt er ihn nach seinem Kleide — sein Knecht und Eigemnann wird, falls er das Geliehene im Kampfe verliere. Des Heiden Bruder ist der Erste, den Orendel vom Pferde sticht; dann entledigt er noch zwölf andere Rosse ihrer Reiter. Die Rüstung der Gefallenen überantwortet der Sieger — und hier zeigt sich deutlich der er¬ zählende Spielmann — dem fahrenden Volke. Das fahrende Volk, es ward so froh, Es gab ein Rufen, ein Halloh, Sie trugen es alles hin zum Wein, Und verkauften's, was es werth mochte sein;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/229>, abgerufen am 22.07.2024.