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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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und packender Wahrheit diesem kleinen Blatte gleichkommt. Aber diese Zeich¬
nungen sind alle nur Vorstudien zu dem figurenreichen Bilde, welches den
letzten Akt des furchtbaren Kampfes um Le Bourget vom 30. Oktober 1870
darstellt. Die Pariser Journale haben für dieses Bild schon lange zuvor die
Reklametrommel gerührt, sie haben die Behauptung verbreitet, der Maler habe
auf seinem Bild eine Verherrlichung des französischen Heldenthums zum Besten
gegeben, eine Art Leichenparade vor den deutschen Siegern, die den Verwun¬
deten und den Todten den Tribut der Ehrfurcht zollten. Das war irrig.
Der Maler hat jedes theatralische Pathos sorgfältig vermieden, er hat einfach
den objektiven Thatbestand wieder erzählt und zwar mit einer so gewaltigen, drama¬
tischen Kraft, einer so eindringlichen Beredtsamkeit, daß wir ihm unseren Respekt
nicht versagen können.

Die Kirche von Le Bourget war bekanntlich nach der Einnahme dieses
Dorfes durch die preußische Garde der Gegenstand eines erbitterten Kampfes.
Einige Offiziere, Mobilgarden und Franktireurs hatten sich darin verschanzt
und vertheidigten sich auf das Hartnäckigste. Erst als preußische Artillerie
auffuhr und Breschen in die Frontmauern der Kirche schoß, gelang es unsern
Gardisten, den Vertheidigern beizukommen und dieselben zur Ergebung zu
zwingen. Das ist die Vorgeschichte des Bildes.

Das Drama ist zu Eude. Links vom Beschauer steht die zerschossene
Kirche, zur Linken zieht sich die Dorfstraße hin, auf der sich die Artillerie,
die eben wieder aufgesessen hat, im Trabe abwärts bewegt. Alle Fenster in
den die Kirche umgebenden Häusern, aus denen Rauchwolken aufsteigen, alle
Manerbreschen, die Leitern, die an den Wänden der Kirche lehnen, sind mit
Preußischen Soldaten besetzt, welche die gefangenen Vertheidiger erwarten. Auf
dem Platze vor der Kirche steht eine Abtheilung von Gardisten, alle das Ge¬
wehr im Anschlag, und in ihrer Mitte französische Gefangene und Blessirte,
die ihre Wunden verbinden. Im Vordergründe links steht ein preußischer
Hauptmann, den Rücken dem Beschauer zugewendet, eine der besten Figuren
des Bildes, welche der Maler mit echt künstlerischer, von jedem Nationalgefühl
freier Liebe durchgeführt hat, stramm und proper -- uur die hohen Stiefel
sind mit Koth bespritzt -- wie auf dem heimischen Paradeplatz, in der Hand
den gezogenen Säbel. Alle Augen richten sich auf die Kirchenthür, alle Ge¬
wehre sind im Anschlag, weil man nicht weiß, was man zu erwarten hat.
Zwei Soldaten tragen einen todtwunden Offizier auf einem Stuhle heraus,
ihnen folgt das kleine Häuflein, welches die preußischen Kngeln verschont
haben. Mit der ergreifenden Situation harmonirt der trübe, gelblichgraue
Himmel, der eben erst seine Fluthen auf die zertrümmerten Hänser und den
Verzweiflungskampf ergossen hat.


und packender Wahrheit diesem kleinen Blatte gleichkommt. Aber diese Zeich¬
nungen sind alle nur Vorstudien zu dem figurenreichen Bilde, welches den
letzten Akt des furchtbaren Kampfes um Le Bourget vom 30. Oktober 1870
darstellt. Die Pariser Journale haben für dieses Bild schon lange zuvor die
Reklametrommel gerührt, sie haben die Behauptung verbreitet, der Maler habe
auf seinem Bild eine Verherrlichung des französischen Heldenthums zum Besten
gegeben, eine Art Leichenparade vor den deutschen Siegern, die den Verwun¬
deten und den Todten den Tribut der Ehrfurcht zollten. Das war irrig.
Der Maler hat jedes theatralische Pathos sorgfältig vermieden, er hat einfach
den objektiven Thatbestand wieder erzählt und zwar mit einer so gewaltigen, drama¬
tischen Kraft, einer so eindringlichen Beredtsamkeit, daß wir ihm unseren Respekt
nicht versagen können.

Die Kirche von Le Bourget war bekanntlich nach der Einnahme dieses
Dorfes durch die preußische Garde der Gegenstand eines erbitterten Kampfes.
Einige Offiziere, Mobilgarden und Franktireurs hatten sich darin verschanzt
und vertheidigten sich auf das Hartnäckigste. Erst als preußische Artillerie
auffuhr und Breschen in die Frontmauern der Kirche schoß, gelang es unsern
Gardisten, den Vertheidigern beizukommen und dieselben zur Ergebung zu
zwingen. Das ist die Vorgeschichte des Bildes.

Das Drama ist zu Eude. Links vom Beschauer steht die zerschossene
Kirche, zur Linken zieht sich die Dorfstraße hin, auf der sich die Artillerie,
die eben wieder aufgesessen hat, im Trabe abwärts bewegt. Alle Fenster in
den die Kirche umgebenden Häusern, aus denen Rauchwolken aufsteigen, alle
Manerbreschen, die Leitern, die an den Wänden der Kirche lehnen, sind mit
Preußischen Soldaten besetzt, welche die gefangenen Vertheidiger erwarten. Auf
dem Platze vor der Kirche steht eine Abtheilung von Gardisten, alle das Ge¬
wehr im Anschlag, und in ihrer Mitte französische Gefangene und Blessirte,
die ihre Wunden verbinden. Im Vordergründe links steht ein preußischer
Hauptmann, den Rücken dem Beschauer zugewendet, eine der besten Figuren
des Bildes, welche der Maler mit echt künstlerischer, von jedem Nationalgefühl
freier Liebe durchgeführt hat, stramm und proper — uur die hohen Stiefel
sind mit Koth bespritzt — wie auf dem heimischen Paradeplatz, in der Hand
den gezogenen Säbel. Alle Augen richten sich auf die Kirchenthür, alle Ge¬
wehre sind im Anschlag, weil man nicht weiß, was man zu erwarten hat.
Zwei Soldaten tragen einen todtwunden Offizier auf einem Stuhle heraus,
ihnen folgt das kleine Häuflein, welches die preußischen Kngeln verschont
haben. Mit der ergreifenden Situation harmonirt der trübe, gelblichgraue
Himmel, der eben erst seine Fluthen auf die zertrümmerten Hänser und den
Verzweiflungskampf ergossen hat.


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[0205] und packender Wahrheit diesem kleinen Blatte gleichkommt. Aber diese Zeich¬ nungen sind alle nur Vorstudien zu dem figurenreichen Bilde, welches den letzten Akt des furchtbaren Kampfes um Le Bourget vom 30. Oktober 1870 darstellt. Die Pariser Journale haben für dieses Bild schon lange zuvor die Reklametrommel gerührt, sie haben die Behauptung verbreitet, der Maler habe auf seinem Bild eine Verherrlichung des französischen Heldenthums zum Besten gegeben, eine Art Leichenparade vor den deutschen Siegern, die den Verwun¬ deten und den Todten den Tribut der Ehrfurcht zollten. Das war irrig. Der Maler hat jedes theatralische Pathos sorgfältig vermieden, er hat einfach den objektiven Thatbestand wieder erzählt und zwar mit einer so gewaltigen, drama¬ tischen Kraft, einer so eindringlichen Beredtsamkeit, daß wir ihm unseren Respekt nicht versagen können. Die Kirche von Le Bourget war bekanntlich nach der Einnahme dieses Dorfes durch die preußische Garde der Gegenstand eines erbitterten Kampfes. Einige Offiziere, Mobilgarden und Franktireurs hatten sich darin verschanzt und vertheidigten sich auf das Hartnäckigste. Erst als preußische Artillerie auffuhr und Breschen in die Frontmauern der Kirche schoß, gelang es unsern Gardisten, den Vertheidigern beizukommen und dieselben zur Ergebung zu zwingen. Das ist die Vorgeschichte des Bildes. Das Drama ist zu Eude. Links vom Beschauer steht die zerschossene Kirche, zur Linken zieht sich die Dorfstraße hin, auf der sich die Artillerie, die eben wieder aufgesessen hat, im Trabe abwärts bewegt. Alle Fenster in den die Kirche umgebenden Häusern, aus denen Rauchwolken aufsteigen, alle Manerbreschen, die Leitern, die an den Wänden der Kirche lehnen, sind mit Preußischen Soldaten besetzt, welche die gefangenen Vertheidiger erwarten. Auf dem Platze vor der Kirche steht eine Abtheilung von Gardisten, alle das Ge¬ wehr im Anschlag, und in ihrer Mitte französische Gefangene und Blessirte, die ihre Wunden verbinden. Im Vordergründe links steht ein preußischer Hauptmann, den Rücken dem Beschauer zugewendet, eine der besten Figuren des Bildes, welche der Maler mit echt künstlerischer, von jedem Nationalgefühl freier Liebe durchgeführt hat, stramm und proper — uur die hohen Stiefel sind mit Koth bespritzt — wie auf dem heimischen Paradeplatz, in der Hand den gezogenen Säbel. Alle Augen richten sich auf die Kirchenthür, alle Ge¬ wehre sind im Anschlag, weil man nicht weiß, was man zu erwarten hat. Zwei Soldaten tragen einen todtwunden Offizier auf einem Stuhle heraus, ihnen folgt das kleine Häuflein, welches die preußischen Kngeln verschont haben. Mit der ergreifenden Situation harmonirt der trübe, gelblichgraue Himmel, der eben erst seine Fluthen auf die zertrümmerten Hänser und den Verzweiflungskampf ergossen hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/205>, abgerufen am 22.07.2024.