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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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meint objektiv genug sein, um die Geschichte seiner Zeil zu schreiben -- Thuky-
dides scheint für diese Leute nicht gelebt zu haben --, so fehlt es auch nicht
an Kritikern, welche mit flammendem Schwerte vor der modernen Geschichte
stehen wie weiland der Engel vor den Pforten des Paradieses. Sie wollen
einem Maler, der einen Stoff aus der modernen Geschichte -- nehmen wir an
die Kaiserproklamation in Versailles oder die Unterzeichnung des Berliner
Friedensvertrages -- behandelt, keinen höheren Rang zugestehen als dem Zeichner,
der für eine illustrirte Zeitung die erste Frühjahrsparade oder die Auffahrt
der Kongreßbevollmächtigten auf den Holzstock wirft. Das Schlachtenbild ist
vollends verpönt um der modernen Taktik willen, die das Hervortreten des
Individuums nicht begünstigt, die nur mit Massen operirt und demnach eine
künstlerische Komposition des Gemäldes verhindert. Eine ganze Schlacht zu
malen, so daß die Malerei Anspruch aus Wahrscheinlichkeit erheben könne, sei
bei der räumlichen Beschränkung, welche der Tafelmalerei auferlegt werde,
vollends unmöglich. Wenn man eine Schlacht getreu der Wirklichkeit ent¬
sprechend darstellen wolle, müsse man eine ungeheure Pulverwolke malen, in
der Alles verschwinde. Glücklicherweise sind diese Einwendungen längst durch
Thaten widerlegt. Seitdem der Münchener Historienmaler F. Adam seinen
berühmten Angriff der französischen Kavallerie auf die 22. Infanteriedivision
bei Floing (Sedan) gemalt hat, wird Niemand mehr im Ernste behaupten
können, daß es einem Maler unmöglich sei, die Massenvperationen der modernen
Kriegführung wirkungsvoll und entsprechend darzustellen, ohne zugleich den
künstlerischen Charakter des Bildes und die Komposition zu opfern. Auf dem
Adam'schen Bilde ist allen Anforderungen genügt: wir haben einen Haupt¬
moment, den Anprall der französischen Chevaux-legers, und eine Reihe von
Nebenmomenten, die sich den: Hauptmomente unterordnen und in denen das
Individuum zu persönlicher Mitwirkung gelangt. Ein zweites Bild, das in
nicht geringerem Grade diesen Anforderungen genügt, ist der Angriff einer
französischen Kürassierdivision ans das Dorf Elsaßhansen (bei Wörth) von
Hunden, ein Bild, welches würdig befunden worden ist, der Berliner Natio¬
nalgalerie einverleibt zu werden. Daß es neben der großen Zahl guter
Schlachtenbilder auch welche giebt, auf deuen "mit Entsetzen Scherz" getrieben
wird, ans denen man vor lauter Blut und Pulverdampf nichts anderes zu
sehen bekommt, soll nicht in Abrede gestellt werden. Indessen sind diese Aus¬
schreitungen meist so untergeordneten Künstlern zur Last zu legen, daß man
um ihretwillen uicht das Recht hat, das ganze Genre als unkünstlerisch in Bausch
und Bogen zu verurtheilen. Als der erste Napoleon seine Schlachten schlug,
war das Pulver auch bereits erfunden. Aber Niemandem fällt es ein, einer
Darstellung der Schlacht von Leipzig oder Waterloo den Rang eines Historicn-


Grenzboteu > U. 1878. 26

meint objektiv genug sein, um die Geschichte seiner Zeil zu schreiben — Thuky-
dides scheint für diese Leute nicht gelebt zu haben —, so fehlt es auch nicht
an Kritikern, welche mit flammendem Schwerte vor der modernen Geschichte
stehen wie weiland der Engel vor den Pforten des Paradieses. Sie wollen
einem Maler, der einen Stoff aus der modernen Geschichte — nehmen wir an
die Kaiserproklamation in Versailles oder die Unterzeichnung des Berliner
Friedensvertrages — behandelt, keinen höheren Rang zugestehen als dem Zeichner,
der für eine illustrirte Zeitung die erste Frühjahrsparade oder die Auffahrt
der Kongreßbevollmächtigten auf den Holzstock wirft. Das Schlachtenbild ist
vollends verpönt um der modernen Taktik willen, die das Hervortreten des
Individuums nicht begünstigt, die nur mit Massen operirt und demnach eine
künstlerische Komposition des Gemäldes verhindert. Eine ganze Schlacht zu
malen, so daß die Malerei Anspruch aus Wahrscheinlichkeit erheben könne, sei
bei der räumlichen Beschränkung, welche der Tafelmalerei auferlegt werde,
vollends unmöglich. Wenn man eine Schlacht getreu der Wirklichkeit ent¬
sprechend darstellen wolle, müsse man eine ungeheure Pulverwolke malen, in
der Alles verschwinde. Glücklicherweise sind diese Einwendungen längst durch
Thaten widerlegt. Seitdem der Münchener Historienmaler F. Adam seinen
berühmten Angriff der französischen Kavallerie auf die 22. Infanteriedivision
bei Floing (Sedan) gemalt hat, wird Niemand mehr im Ernste behaupten
können, daß es einem Maler unmöglich sei, die Massenvperationen der modernen
Kriegführung wirkungsvoll und entsprechend darzustellen, ohne zugleich den
künstlerischen Charakter des Bildes und die Komposition zu opfern. Auf dem
Adam'schen Bilde ist allen Anforderungen genügt: wir haben einen Haupt¬
moment, den Anprall der französischen Chevaux-legers, und eine Reihe von
Nebenmomenten, die sich den: Hauptmomente unterordnen und in denen das
Individuum zu persönlicher Mitwirkung gelangt. Ein zweites Bild, das in
nicht geringerem Grade diesen Anforderungen genügt, ist der Angriff einer
französischen Kürassierdivision ans das Dorf Elsaßhansen (bei Wörth) von
Hunden, ein Bild, welches würdig befunden worden ist, der Berliner Natio¬
nalgalerie einverleibt zu werden. Daß es neben der großen Zahl guter
Schlachtenbilder auch welche giebt, auf deuen „mit Entsetzen Scherz" getrieben
wird, ans denen man vor lauter Blut und Pulverdampf nichts anderes zu
sehen bekommt, soll nicht in Abrede gestellt werden. Indessen sind diese Aus¬
schreitungen meist so untergeordneten Künstlern zur Last zu legen, daß man
um ihretwillen uicht das Recht hat, das ganze Genre als unkünstlerisch in Bausch
und Bogen zu verurtheilen. Als der erste Napoleon seine Schlachten schlug,
war das Pulver auch bereits erfunden. Aber Niemandem fällt es ein, einer
Darstellung der Schlacht von Leipzig oder Waterloo den Rang eines Historicn-


Grenzboteu > U. 1878. 26
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/201>, abgerufen am 22.07.2024.