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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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eine andere Ueberzeugung, als die im Lehrbegriff seiner Konfession vorge¬
schriebene habe, der könne dieselbe auf eigene Gefahr behalten, nur solle er
dann nach seinem eigenen Gewissen aufhören ein Lehrer seiner Kirche zu sein
und sein Amt niederlegen. Aber der König wolle aus großer Vorliebe
für die Gewissensfreiheit nachgeben, daß selbst diejenigen in öffentlichen Aemtern
stehenden Geistlichen, von denen bekannt sein möchte, daß sie von den oben
bezeichneten Irrthümern mehr oder weniger angesteckt seien, in ihren Aemtern
ruhig gelassen würden unter der Bedingung, daß die Vorschrift des Lehrbe¬
begriffs ihnen bei Unterweisung ihrer Gemeinden stets heilig und unverletz¬
bar bleibe.

So gewiß die Grundgedanken dieses Ediktes vom kirchlichen Stand¬
punkte aus ihre Berechtigung haben, so nahe lag bei einer plötzlich ein¬
tretenden Reaktion die Gefahr, wenn nicht die Gewissen zu vergewaltigen,
so doch die Heuchelei zu begünstigen, und das ist's, was den kirchlichen Vor¬
gängen jener Zeit, dem Wöllner'schen Religionsedikt, dem Zensurgesetz und den
geistlichen Conduitenlisten ihr häßliches Gepräge gegeben hat.

Als 1797 Friedrich Wilhelm III. den Thron bestieg, verlor das Wöllner'sche
Edikt seine Kraft. Der König erklärte, daß die Religion der Zwangsgesetze
nicht bedürfe, sondern Sache des Herzens sei und in einem Volke durch sich
selbst bestehe. Nachdem der König in schwerer Zeit und unter herben Mühen
den alleinigen Trost in einem festen Worte Gottes gefunden hatte, hoffte er
nach der Wiederherstellung des Staates auch auf eine Wiedergeburt der Landes¬
kirche. Der Gegensatz zwischen der lutherischen und reformirten Kirche war
im Bewußtsein des Volkes fast ganz geschwunden. Der König wollte den
300 jährigen Festtag der Reformation durch die Einführung der Union beider
Kirchen feiern. Sie schien eine reife Frucht der Zeit, aber sie ist zu einem
Zankapfel geworden. Dazu kam der Agendenstreit. Der König mußte An¬
ordnungen erlassen, über welche als über Gewissenszwang geklagt werden
konnte. Aber es beweist nur wie allgemein anerkannt der Grundsatz der
Toleranz in Preußen war, daß schon solche Maßregeln, wie die erzwungene
Einführung der Agende, welche nur eine gemeinsame Ordnung herstellen sollte,
von vielen Gemeinden als unerträglicher Gewissenszwang empfunden wurde.
Manches Gewaltsame ist damals gegen die sogenannten Altlutheraner ge¬
schehen, aber das Recht des religiösen Gewissens hat der König immer an¬
erkannt.

Preußen, England, Rußland, diese ketzerischen Mächte waren es gewesen,
welche nach dem Sturze Napoleon's die weltliche Herrschaft des Papstes wieder
hergestellt hatten. In Preußen hat Friedrich Wilhelm III. dem Klerus Reich¬
thümer gegeben, Schulen gegründet und Kirchen gebant. Aber das Mißbe-


eine andere Ueberzeugung, als die im Lehrbegriff seiner Konfession vorge¬
schriebene habe, der könne dieselbe auf eigene Gefahr behalten, nur solle er
dann nach seinem eigenen Gewissen aufhören ein Lehrer seiner Kirche zu sein
und sein Amt niederlegen. Aber der König wolle aus großer Vorliebe
für die Gewissensfreiheit nachgeben, daß selbst diejenigen in öffentlichen Aemtern
stehenden Geistlichen, von denen bekannt sein möchte, daß sie von den oben
bezeichneten Irrthümern mehr oder weniger angesteckt seien, in ihren Aemtern
ruhig gelassen würden unter der Bedingung, daß die Vorschrift des Lehrbe¬
begriffs ihnen bei Unterweisung ihrer Gemeinden stets heilig und unverletz¬
bar bleibe.

So gewiß die Grundgedanken dieses Ediktes vom kirchlichen Stand¬
punkte aus ihre Berechtigung haben, so nahe lag bei einer plötzlich ein¬
tretenden Reaktion die Gefahr, wenn nicht die Gewissen zu vergewaltigen,
so doch die Heuchelei zu begünstigen, und das ist's, was den kirchlichen Vor¬
gängen jener Zeit, dem Wöllner'schen Religionsedikt, dem Zensurgesetz und den
geistlichen Conduitenlisten ihr häßliches Gepräge gegeben hat.

Als 1797 Friedrich Wilhelm III. den Thron bestieg, verlor das Wöllner'sche
Edikt seine Kraft. Der König erklärte, daß die Religion der Zwangsgesetze
nicht bedürfe, sondern Sache des Herzens sei und in einem Volke durch sich
selbst bestehe. Nachdem der König in schwerer Zeit und unter herben Mühen
den alleinigen Trost in einem festen Worte Gottes gefunden hatte, hoffte er
nach der Wiederherstellung des Staates auch auf eine Wiedergeburt der Landes¬
kirche. Der Gegensatz zwischen der lutherischen und reformirten Kirche war
im Bewußtsein des Volkes fast ganz geschwunden. Der König wollte den
300 jährigen Festtag der Reformation durch die Einführung der Union beider
Kirchen feiern. Sie schien eine reife Frucht der Zeit, aber sie ist zu einem
Zankapfel geworden. Dazu kam der Agendenstreit. Der König mußte An¬
ordnungen erlassen, über welche als über Gewissenszwang geklagt werden
konnte. Aber es beweist nur wie allgemein anerkannt der Grundsatz der
Toleranz in Preußen war, daß schon solche Maßregeln, wie die erzwungene
Einführung der Agende, welche nur eine gemeinsame Ordnung herstellen sollte,
von vielen Gemeinden als unerträglicher Gewissenszwang empfunden wurde.
Manches Gewaltsame ist damals gegen die sogenannten Altlutheraner ge¬
schehen, aber das Recht des religiösen Gewissens hat der König immer an¬
erkannt.

Preußen, England, Rußland, diese ketzerischen Mächte waren es gewesen,
welche nach dem Sturze Napoleon's die weltliche Herrschaft des Papstes wieder
hergestellt hatten. In Preußen hat Friedrich Wilhelm III. dem Klerus Reich¬
thümer gegeben, Schulen gegründet und Kirchen gebant. Aber das Mißbe-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/191>, abgerufen am 22.07.2024.