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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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die Zeit dem Volke heilig gemacht hat? Und wenn man Denkfreiheit genießen
will, muß man deshalb dem eingeführten Glauben Hohn sprechen?" Dabei
war es nicht seine Meinung, daß man die Religion begünstigen müsse, weil
fromme Unterthanen folgsame Unterthanen wären. In seinen kritischen Unter¬
suchungen über das System der Natur sagt er: "Der Verfasser meint, es sei
ein politischer Grundsatz, daß Unwissende der Obrigkeit gehorsamer seien als
eine erleuchtete Nation. Dies schmeckt ein wenig nach den Begriffen eines
Schnlrektors, der, in einen kleinen Kreis von Spekulationen eingeschränkt, weder
die Welt noch die Regierungsgrundsätze, noch die Anfangsgründe der Politik
kennt."

Die Toleranzideen des Königs hatten ihren Grund einmal in der Ueber¬
zeugung, daß kein Mensch von Irrthum frei sei, und dann zweitens in der
Achtung vor der Freiheit des Glaubens. In seiner Geschichte des Hauses
Brandenburg schreibt er: "Der falsche Eifer ist ein Tyrann, der die Provinzen
entvölkert, die Toleranz ist eine zärtliche Mutter, die für sie sorgt und sie
blühen macht." Er hatte Vertrauen zur Wahrheit. Er schreibt: "Ans die
Länge gewinnt immer das System, bei dem die mehrste Wahrheit ist. Das
Charakteristische der Wahrheit hat etwas so simples, so einleuchtendes, daß
man ihr anhängen muß." Airs diesem Grunde hob er, der ein solcher Feind
aller Proselytenmacherei war, das Verbot gegen den Uebertritt von einer Reli¬
gionsgemeinschaft zur andern auf, denn jeder soll das Recht haben, sich der¬
jenigen Glaubensweise zuzuwenden, welche ihm als die wahre einleuchte, und
bei der er seine Seligkeit am sichersten zu finden hoffe.

In diesem Sinne ist der Ausspruch des Königs, daß in seinen Landen
jeder nach seiner Fayon selig werden solle, zu verstehen. Dieses vielbesprochene
Wort fällt gleich in den Anfang seiner Regierung. Es waren zunächst für
die Kinder von Soldaten in Berlin katholische Schulen angelegt worden.
Diese waren von den katholischen Priestern zu Proselytenmacherei benutzt
worden. Der Generalfiskal Uhden machte davon Anzeige beim Ministerium.
Das Ministerium frug beim König an, wie es nnter diesen Umstünden ferner
mit den katholischen Schulen solle gehalten werden. Da schrieb der König an
den Rand: "Die Religionen müssen alle tolerirt werden und muß der Fiskal
nur das Auge darauf haben, daß keine der andern Abbruch thue, denn hier
muß jeder uach seiner Fa</on selig werden." So wenig nach des Königs
Schreibweise in dem Wort Fa?on etwas Geringschätziges liegt, so wenig ist
der Sinn wenigstens dieser Verfügung Gleichgiltigkeit. Durch Friedrich den
Großen ist der Grundsatz der Toleranz in Preußen nicht nur aus staatlicher
Nothwendigkeit, sondern aus Vernunft und Humanität zum unverlierbaren
Besitz geworden.


die Zeit dem Volke heilig gemacht hat? Und wenn man Denkfreiheit genießen
will, muß man deshalb dem eingeführten Glauben Hohn sprechen?" Dabei
war es nicht seine Meinung, daß man die Religion begünstigen müsse, weil
fromme Unterthanen folgsame Unterthanen wären. In seinen kritischen Unter¬
suchungen über das System der Natur sagt er: „Der Verfasser meint, es sei
ein politischer Grundsatz, daß Unwissende der Obrigkeit gehorsamer seien als
eine erleuchtete Nation. Dies schmeckt ein wenig nach den Begriffen eines
Schnlrektors, der, in einen kleinen Kreis von Spekulationen eingeschränkt, weder
die Welt noch die Regierungsgrundsätze, noch die Anfangsgründe der Politik
kennt."

Die Toleranzideen des Königs hatten ihren Grund einmal in der Ueber¬
zeugung, daß kein Mensch von Irrthum frei sei, und dann zweitens in der
Achtung vor der Freiheit des Glaubens. In seiner Geschichte des Hauses
Brandenburg schreibt er: „Der falsche Eifer ist ein Tyrann, der die Provinzen
entvölkert, die Toleranz ist eine zärtliche Mutter, die für sie sorgt und sie
blühen macht." Er hatte Vertrauen zur Wahrheit. Er schreibt: „Ans die
Länge gewinnt immer das System, bei dem die mehrste Wahrheit ist. Das
Charakteristische der Wahrheit hat etwas so simples, so einleuchtendes, daß
man ihr anhängen muß." Airs diesem Grunde hob er, der ein solcher Feind
aller Proselytenmacherei war, das Verbot gegen den Uebertritt von einer Reli¬
gionsgemeinschaft zur andern auf, denn jeder soll das Recht haben, sich der¬
jenigen Glaubensweise zuzuwenden, welche ihm als die wahre einleuchte, und
bei der er seine Seligkeit am sichersten zu finden hoffe.

In diesem Sinne ist der Ausspruch des Königs, daß in seinen Landen
jeder nach seiner Fayon selig werden solle, zu verstehen. Dieses vielbesprochene
Wort fällt gleich in den Anfang seiner Regierung. Es waren zunächst für
die Kinder von Soldaten in Berlin katholische Schulen angelegt worden.
Diese waren von den katholischen Priestern zu Proselytenmacherei benutzt
worden. Der Generalfiskal Uhden machte davon Anzeige beim Ministerium.
Das Ministerium frug beim König an, wie es nnter diesen Umstünden ferner
mit den katholischen Schulen solle gehalten werden. Da schrieb der König an
den Rand: „Die Religionen müssen alle tolerirt werden und muß der Fiskal
nur das Auge darauf haben, daß keine der andern Abbruch thue, denn hier
muß jeder uach seiner Fa</on selig werden." So wenig nach des Königs
Schreibweise in dem Wort Fa?on etwas Geringschätziges liegt, so wenig ist
der Sinn wenigstens dieser Verfügung Gleichgiltigkeit. Durch Friedrich den
Großen ist der Grundsatz der Toleranz in Preußen nicht nur aus staatlicher
Nothwendigkeit, sondern aus Vernunft und Humanität zum unverlierbaren
Besitz geworden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/189>, abgerufen am 23.07.2024.