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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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der Kurfürst die kirchliche" Angelegenheiten ordnete. Eine dieser Verordnungen
schürft den Examinatoren ein, daß sie weniger auf das Geschick zu theologischen
Disputationen, als auf Verständniß der heiligen Schrift und die Fähigkeit zur
Ausübung christlicher Seelsorge sehen sollten. Eine zweite ermahnt, von der
Kanzel nur Dinge zu predigen, welche die Gemeinde" verstehen könnten, nicht
aber philosophische Schulweisheit. Eine dritte verbietet allen brandenburgischen
Unterthanen den Besuch der Universität Wittenberg, welche der Heerd der Un¬
duldsamkeit war. Auch durch Religionsgespräche unter dem Vorsitz des Ober-
prüsidentm Otto v. Schwerin suchte der Kurfürst den Frieden herzustellen.
Alle beweglichen Reden Schwerin's waren vergeblich, und diese Liebesgespräche,
wie der Kurfürst in seiner Einladung sie genannt hatte, arteten bald in wüsten
Lärm und Kriegsgeschrei aus.

Nun forderte eiye kurfürstliche Verordnung vom 16. September 1664 von
allen Geistlichen einen Revers bei Amtsentsetzung, daß sie dein Gebot, alles
Lästern der Gegenpartei zu meiden, gewissenhaft nachkommen wollten. Die
beiden Häupter der Lutheraner in Berlin, der Propst Cilius und der Archi-
diakonus Reinhard weigerten ihre Unterschrift und wurden entsetzt. Aus Gewissen-
haftigkeit weigerte sich auch Paul Gerhardt, den Revers zu unterschreiben, ob¬
wohl er selbst des Lästerns auf der Kanzel nie sich schuldig gemacht, sondern
in den Liebesgesprächen eifrig zum Frieden geredet hatte. Das Konsistorium
mußte seine Entsetzung aussprechen, Der Kurfürst wurde bestürmt, den ge¬
feierten und geliebten Prediger und Dichter nicht gehen zu lassen. Wirklich
entschloß sich der Kurfürst, weil er Gerhardt's Gesinnung kannte, bei diesem
eine Ausnahme zu machen und von ihm den Revers nicht zu fordern. Aber
anch dieser Nachgiebigkeit des Kurfürsten, welche in Berlin mit Jubel aufge¬
nommen wurde, stand die Bedenklichkeit des übertrieben gewissenhaften Diakonus
gegenüber. Er glaubte auch ohne Revers durch sein Eingehen auf den Willen
des Kurfürsten gebunden zu sein und weigerte sich sein Amt wieder anzu¬
nehmen. So zog er fort. Nicht damals, sondern schon mehrere Jahre früher
hatte er sein Lied "Befiehl dn deine Wege" gedichtet. Die gütige Gesinnung
des Kurfürsten und seine Anerkennung Gerhardt's zeigt sich auch darin, daß er
dem abgehenden Prediger noch zwei Jahre seine Einkünfte aus der Nikolai¬
kirche ließ, bis er ein Amt in Lübben fand. So ist auch dieser Vorgang,
welcher von der lutherischen Kirche so manchmal als eine Intoleranz und Ge¬
waltthat des reformirten Kurfürsten dargestellt worden ist, vielmehr ein Zeichen
seiner friedlichen Gesinnung und Toleranz.

Als der Sohn des großen Kurfürsten Friedrich III., nachmals König
Friedrich I., 1688 seinem Vater in der Regierung folgte, war für die kirch¬
liche" Anschauungen eine neue Zeit im Anzüge. Einer erstarrten und nnduld-


der Kurfürst die kirchliche» Angelegenheiten ordnete. Eine dieser Verordnungen
schürft den Examinatoren ein, daß sie weniger auf das Geschick zu theologischen
Disputationen, als auf Verständniß der heiligen Schrift und die Fähigkeit zur
Ausübung christlicher Seelsorge sehen sollten. Eine zweite ermahnt, von der
Kanzel nur Dinge zu predigen, welche die Gemeinde» verstehen könnten, nicht
aber philosophische Schulweisheit. Eine dritte verbietet allen brandenburgischen
Unterthanen den Besuch der Universität Wittenberg, welche der Heerd der Un¬
duldsamkeit war. Auch durch Religionsgespräche unter dem Vorsitz des Ober-
prüsidentm Otto v. Schwerin suchte der Kurfürst den Frieden herzustellen.
Alle beweglichen Reden Schwerin's waren vergeblich, und diese Liebesgespräche,
wie der Kurfürst in seiner Einladung sie genannt hatte, arteten bald in wüsten
Lärm und Kriegsgeschrei aus.

Nun forderte eiye kurfürstliche Verordnung vom 16. September 1664 von
allen Geistlichen einen Revers bei Amtsentsetzung, daß sie dein Gebot, alles
Lästern der Gegenpartei zu meiden, gewissenhaft nachkommen wollten. Die
beiden Häupter der Lutheraner in Berlin, der Propst Cilius und der Archi-
diakonus Reinhard weigerten ihre Unterschrift und wurden entsetzt. Aus Gewissen-
haftigkeit weigerte sich auch Paul Gerhardt, den Revers zu unterschreiben, ob¬
wohl er selbst des Lästerns auf der Kanzel nie sich schuldig gemacht, sondern
in den Liebesgesprächen eifrig zum Frieden geredet hatte. Das Konsistorium
mußte seine Entsetzung aussprechen, Der Kurfürst wurde bestürmt, den ge¬
feierten und geliebten Prediger und Dichter nicht gehen zu lassen. Wirklich
entschloß sich der Kurfürst, weil er Gerhardt's Gesinnung kannte, bei diesem
eine Ausnahme zu machen und von ihm den Revers nicht zu fordern. Aber
anch dieser Nachgiebigkeit des Kurfürsten, welche in Berlin mit Jubel aufge¬
nommen wurde, stand die Bedenklichkeit des übertrieben gewissenhaften Diakonus
gegenüber. Er glaubte auch ohne Revers durch sein Eingehen auf den Willen
des Kurfürsten gebunden zu sein und weigerte sich sein Amt wieder anzu¬
nehmen. So zog er fort. Nicht damals, sondern schon mehrere Jahre früher
hatte er sein Lied „Befiehl dn deine Wege" gedichtet. Die gütige Gesinnung
des Kurfürsten und seine Anerkennung Gerhardt's zeigt sich auch darin, daß er
dem abgehenden Prediger noch zwei Jahre seine Einkünfte aus der Nikolai¬
kirche ließ, bis er ein Amt in Lübben fand. So ist auch dieser Vorgang,
welcher von der lutherischen Kirche so manchmal als eine Intoleranz und Ge¬
waltthat des reformirten Kurfürsten dargestellt worden ist, vielmehr ein Zeichen
seiner friedlichen Gesinnung und Toleranz.

Als der Sohn des großen Kurfürsten Friedrich III., nachmals König
Friedrich I., 1688 seinem Vater in der Regierung folgte, war für die kirch¬
liche» Anschauungen eine neue Zeit im Anzüge. Einer erstarrten und nnduld-


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[0186] der Kurfürst die kirchliche» Angelegenheiten ordnete. Eine dieser Verordnungen schürft den Examinatoren ein, daß sie weniger auf das Geschick zu theologischen Disputationen, als auf Verständniß der heiligen Schrift und die Fähigkeit zur Ausübung christlicher Seelsorge sehen sollten. Eine zweite ermahnt, von der Kanzel nur Dinge zu predigen, welche die Gemeinde» verstehen könnten, nicht aber philosophische Schulweisheit. Eine dritte verbietet allen brandenburgischen Unterthanen den Besuch der Universität Wittenberg, welche der Heerd der Un¬ duldsamkeit war. Auch durch Religionsgespräche unter dem Vorsitz des Ober- prüsidentm Otto v. Schwerin suchte der Kurfürst den Frieden herzustellen. Alle beweglichen Reden Schwerin's waren vergeblich, und diese Liebesgespräche, wie der Kurfürst in seiner Einladung sie genannt hatte, arteten bald in wüsten Lärm und Kriegsgeschrei aus. Nun forderte eiye kurfürstliche Verordnung vom 16. September 1664 von allen Geistlichen einen Revers bei Amtsentsetzung, daß sie dein Gebot, alles Lästern der Gegenpartei zu meiden, gewissenhaft nachkommen wollten. Die beiden Häupter der Lutheraner in Berlin, der Propst Cilius und der Archi- diakonus Reinhard weigerten ihre Unterschrift und wurden entsetzt. Aus Gewissen- haftigkeit weigerte sich auch Paul Gerhardt, den Revers zu unterschreiben, ob¬ wohl er selbst des Lästerns auf der Kanzel nie sich schuldig gemacht, sondern in den Liebesgesprächen eifrig zum Frieden geredet hatte. Das Konsistorium mußte seine Entsetzung aussprechen, Der Kurfürst wurde bestürmt, den ge¬ feierten und geliebten Prediger und Dichter nicht gehen zu lassen. Wirklich entschloß sich der Kurfürst, weil er Gerhardt's Gesinnung kannte, bei diesem eine Ausnahme zu machen und von ihm den Revers nicht zu fordern. Aber anch dieser Nachgiebigkeit des Kurfürsten, welche in Berlin mit Jubel aufge¬ nommen wurde, stand die Bedenklichkeit des übertrieben gewissenhaften Diakonus gegenüber. Er glaubte auch ohne Revers durch sein Eingehen auf den Willen des Kurfürsten gebunden zu sein und weigerte sich sein Amt wieder anzu¬ nehmen. So zog er fort. Nicht damals, sondern schon mehrere Jahre früher hatte er sein Lied „Befiehl dn deine Wege" gedichtet. Die gütige Gesinnung des Kurfürsten und seine Anerkennung Gerhardt's zeigt sich auch darin, daß er dem abgehenden Prediger noch zwei Jahre seine Einkünfte aus der Nikolai¬ kirche ließ, bis er ein Amt in Lübben fand. So ist auch dieser Vorgang, welcher von der lutherischen Kirche so manchmal als eine Intoleranz und Ge¬ waltthat des reformirten Kurfürsten dargestellt worden ist, vielmehr ein Zeichen seiner friedlichen Gesinnung und Toleranz. Als der Sohn des großen Kurfürsten Friedrich III., nachmals König Friedrich I., 1688 seinem Vater in der Regierung folgte, war für die kirch¬ liche» Anschauungen eine neue Zeit im Anzüge. Einer erstarrten und nnduld-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/186>, abgerufen am 25.08.2024.