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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Hilft schickte, den Durchzug durch die Stadt gestattete und diese kleine englische
Schaar bei Potsdam einen Ruhetag hielt, verbreiteten lutherische Geistliche den
widersinnigen Glauben, daß diese Engländer in der Nacht Berlin überfallen
und mit Gewalt den reformirten Gottesdienst einführen würden. Die Bürger
bewaffneten sich und hielten die ganze Nacht die Thore besetzt. Als der un¬
glückliche Ausgang der Schlacht am Weißen Berge und die furchtbare Rache
des Kaisers in Böhmen bekannt wurde, triumphirte die Bevölkerung in Bran¬
denburg.

Durch jenen nächtlichen Tumult aus Furcht vor den Engländern war
im Schloß an der Spree ein kleiner Prinz mehrmals ans dem Schlafe geschreckt
worden. Der Magistrat hielt deshalb für nöthig, ob des ungebührlichen Lärms
sich zu entschuldigen. Als aber die fürstlichen Eltern gegen allen lutheri¬
schen Brauch mit der Taufe dieses Kindes fast sechs Monate verzogen, erregte
das schweres Aergerniß, und doch hatte diese Verzögerung ihren Grund nur
darin, daß der Kurfürst bei seiner schwankenden Politik nicht wußte, welche
Pathen wählen, und daß es zur Herrichtung einer feierlichen Taufe an den
nöthigen Mitteln fehlte. Der kleine Prinz war der nachmalige große Kurfürst.

Als Friedrich Wilhelm 1640 zur Regierung kam, konnte er nur mit Mühe
und unter drückenden Bedingungen die Belehrung mit dem Herzogthum Preußen
von Seiten Polens erlangen. Unter den Bedingungen war wieder die, daß nur
die katholische Religion und die Augsburgische öffentlich solle geduldet werdeu.
Alle Sekten waren unbedingt ausgeschlossen.

Durch des großen Kurfürsten Energie ging Brandenburg gestärkt aus dem
dreißigjährigen Kriege hervor. Daß die neue Lehre mit Feuer und Schwert
nicht ausgerottet werden könne, hatte der Krieg bewiesen. Im Frie¬
den zu Osnabrück wurde der Augsburger Neligionsfriede von neuem
bestätigt. Die Reformirten sind den Katholiken gegenüber Augsburgische Kon¬
fessionsverwandte. Es war der Geist Johann Sigismund's, welcher durch deu
Einfluß seines Enkels zum Rechte kam. Das Prinzip der Toleranz war damit
innerhalb der in Frage kommenden Konfessionen staatsrechtlich anerkannt.

Kurfürst Friedrich Wilhelm kam nur seineu Pflichten als Reichsfürst nach,
wenn er in seinen Landen alles gegenseitige Verketzern auf den Kanzeln, auch
der Lutheraner und Reformirten, durch ein Edikt von 1654 von neuem unter¬
sagte. Trotzdem geschah es, daß der Rektor Hellwig von der Stadtschule
in Berlin zu Ostern 1661 ein geistliches Spiel durch die Schüler auf¬
führen ließ, welches das Leiden Christi darstellte, in Wahrheit aber eine rohe
Verspottung der Reformirten war, und daß der Prediger Heinzelmann von
der Kanzel herab Alle, die nicht lutherischen Glaubens waren, verfluchte. Kur¬
fürstliche Verordnungen aus dein Jahre 1662 bezeugen die Einsicht, mit welcher


Grenzboten III. 1378. 23

Hilft schickte, den Durchzug durch die Stadt gestattete und diese kleine englische
Schaar bei Potsdam einen Ruhetag hielt, verbreiteten lutherische Geistliche den
widersinnigen Glauben, daß diese Engländer in der Nacht Berlin überfallen
und mit Gewalt den reformirten Gottesdienst einführen würden. Die Bürger
bewaffneten sich und hielten die ganze Nacht die Thore besetzt. Als der un¬
glückliche Ausgang der Schlacht am Weißen Berge und die furchtbare Rache
des Kaisers in Böhmen bekannt wurde, triumphirte die Bevölkerung in Bran¬
denburg.

Durch jenen nächtlichen Tumult aus Furcht vor den Engländern war
im Schloß an der Spree ein kleiner Prinz mehrmals ans dem Schlafe geschreckt
worden. Der Magistrat hielt deshalb für nöthig, ob des ungebührlichen Lärms
sich zu entschuldigen. Als aber die fürstlichen Eltern gegen allen lutheri¬
schen Brauch mit der Taufe dieses Kindes fast sechs Monate verzogen, erregte
das schweres Aergerniß, und doch hatte diese Verzögerung ihren Grund nur
darin, daß der Kurfürst bei seiner schwankenden Politik nicht wußte, welche
Pathen wählen, und daß es zur Herrichtung einer feierlichen Taufe an den
nöthigen Mitteln fehlte. Der kleine Prinz war der nachmalige große Kurfürst.

Als Friedrich Wilhelm 1640 zur Regierung kam, konnte er nur mit Mühe
und unter drückenden Bedingungen die Belehrung mit dem Herzogthum Preußen
von Seiten Polens erlangen. Unter den Bedingungen war wieder die, daß nur
die katholische Religion und die Augsburgische öffentlich solle geduldet werdeu.
Alle Sekten waren unbedingt ausgeschlossen.

Durch des großen Kurfürsten Energie ging Brandenburg gestärkt aus dem
dreißigjährigen Kriege hervor. Daß die neue Lehre mit Feuer und Schwert
nicht ausgerottet werden könne, hatte der Krieg bewiesen. Im Frie¬
den zu Osnabrück wurde der Augsburger Neligionsfriede von neuem
bestätigt. Die Reformirten sind den Katholiken gegenüber Augsburgische Kon¬
fessionsverwandte. Es war der Geist Johann Sigismund's, welcher durch deu
Einfluß seines Enkels zum Rechte kam. Das Prinzip der Toleranz war damit
innerhalb der in Frage kommenden Konfessionen staatsrechtlich anerkannt.

Kurfürst Friedrich Wilhelm kam nur seineu Pflichten als Reichsfürst nach,
wenn er in seinen Landen alles gegenseitige Verketzern auf den Kanzeln, auch
der Lutheraner und Reformirten, durch ein Edikt von 1654 von neuem unter¬
sagte. Trotzdem geschah es, daß der Rektor Hellwig von der Stadtschule
in Berlin zu Ostern 1661 ein geistliches Spiel durch die Schüler auf¬
führen ließ, welches das Leiden Christi darstellte, in Wahrheit aber eine rohe
Verspottung der Reformirten war, und daß der Prediger Heinzelmann von
der Kanzel herab Alle, die nicht lutherischen Glaubens waren, verfluchte. Kur¬
fürstliche Verordnungen aus dein Jahre 1662 bezeugen die Einsicht, mit welcher


Grenzboten III. 1378. 23
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[0185] Hilft schickte, den Durchzug durch die Stadt gestattete und diese kleine englische Schaar bei Potsdam einen Ruhetag hielt, verbreiteten lutherische Geistliche den widersinnigen Glauben, daß diese Engländer in der Nacht Berlin überfallen und mit Gewalt den reformirten Gottesdienst einführen würden. Die Bürger bewaffneten sich und hielten die ganze Nacht die Thore besetzt. Als der un¬ glückliche Ausgang der Schlacht am Weißen Berge und die furchtbare Rache des Kaisers in Böhmen bekannt wurde, triumphirte die Bevölkerung in Bran¬ denburg. Durch jenen nächtlichen Tumult aus Furcht vor den Engländern war im Schloß an der Spree ein kleiner Prinz mehrmals ans dem Schlafe geschreckt worden. Der Magistrat hielt deshalb für nöthig, ob des ungebührlichen Lärms sich zu entschuldigen. Als aber die fürstlichen Eltern gegen allen lutheri¬ schen Brauch mit der Taufe dieses Kindes fast sechs Monate verzogen, erregte das schweres Aergerniß, und doch hatte diese Verzögerung ihren Grund nur darin, daß der Kurfürst bei seiner schwankenden Politik nicht wußte, welche Pathen wählen, und daß es zur Herrichtung einer feierlichen Taufe an den nöthigen Mitteln fehlte. Der kleine Prinz war der nachmalige große Kurfürst. Als Friedrich Wilhelm 1640 zur Regierung kam, konnte er nur mit Mühe und unter drückenden Bedingungen die Belehrung mit dem Herzogthum Preußen von Seiten Polens erlangen. Unter den Bedingungen war wieder die, daß nur die katholische Religion und die Augsburgische öffentlich solle geduldet werdeu. Alle Sekten waren unbedingt ausgeschlossen. Durch des großen Kurfürsten Energie ging Brandenburg gestärkt aus dem dreißigjährigen Kriege hervor. Daß die neue Lehre mit Feuer und Schwert nicht ausgerottet werden könne, hatte der Krieg bewiesen. Im Frie¬ den zu Osnabrück wurde der Augsburger Neligionsfriede von neuem bestätigt. Die Reformirten sind den Katholiken gegenüber Augsburgische Kon¬ fessionsverwandte. Es war der Geist Johann Sigismund's, welcher durch deu Einfluß seines Enkels zum Rechte kam. Das Prinzip der Toleranz war damit innerhalb der in Frage kommenden Konfessionen staatsrechtlich anerkannt. Kurfürst Friedrich Wilhelm kam nur seineu Pflichten als Reichsfürst nach, wenn er in seinen Landen alles gegenseitige Verketzern auf den Kanzeln, auch der Lutheraner und Reformirten, durch ein Edikt von 1654 von neuem unter¬ sagte. Trotzdem geschah es, daß der Rektor Hellwig von der Stadtschule in Berlin zu Ostern 1661 ein geistliches Spiel durch die Schüler auf¬ führen ließ, welches das Leiden Christi darstellte, in Wahrheit aber eine rohe Verspottung der Reformirten war, und daß der Prediger Heinzelmann von der Kanzel herab Alle, die nicht lutherischen Glaubens waren, verfluchte. Kur¬ fürstliche Verordnungen aus dein Jahre 1662 bezeugen die Einsicht, mit welcher Grenzboten III. 1378. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/185>, abgerufen am 23.07.2024.