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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Die religiöse Toleranz der Lohenzollern.
Von v. Carl Alfred Hase,
Militär-Obcrpfarrcr des 1. Armee-Korps.

Im Februar 1874 schrieb Kaiser Wilhelm an Lord Rüssel, ihm
dankend für die kundgegebenen Sympathien England's: "Mir liegt die Führung
meines Volkes in einem Kampfe ob, welchen schon frühere deutsche Kaiser
Jahrhunderte hindurch mit wechselndem Glück gegen eine Macht zu führen
gehabt haben, deren Herrschaft sich in keinem Lande der Welt mit dem Frieden
und der Wohlfahrt der Völker verträglich erwiesen hat und deren Sieg in unsern
Tagen die Segnungen der Reformation, die Gewissensfreiheit und die Auto¬
rität der Gesetze uicht blos in Deutschland in Frage stellen würde. Ich
führe diesen mir aufgedrungenen Kampf in Erfüllung meiner königlichen
Pflichten und im festen Vertrauen auf Gottes siegbringenden Beistand, aber
anch in dem Geist der Achtung vor dem Glauben Anderer und der evangelischen
Duldsamkeit, welche meine Vorfahren dem Rechte und der Verwaltung meiner
Staaten aufgeprägt haben."

Für dieses königliche Wort vom Geist der Achtung vor dem Glauben
Anderer und von der evangelischen Duldsamkeit der Hohenzollern wollen die
folgenden Blätter einen geschichtlichen Nachweis bringen.

Die religiöse Toleranz ist eine Frucht der neuen Zeit. Dem Alterthum
war sie nach ihrem Wesen fremd. Dem Griechen war die Religion nur wie
heilige Musik, die sein Leben rhythmisch begleitete; dem Römer ward sie zu einer
staatlichen Angelegenheit. Sind Griechen und Römer von religiösem Fanatismus
frei gewesen, so war dies nur ein Zeichen, daß ihrer Religion der warme Herz¬
schlag fehlte. Anders im Volke Israel, diesem ausgewählten Volke religiöser
Begabung. Aber je lebendiger das religiöse Bewußtsein dieses Volkes war,
um so ausschließender verhielt es sich gegen Andere. Auch das Christenthum,
obwohl es den Keim wahrer Toleranz schon in sich trug, trat uicht als religiöse
Toleranz auf. Die apostolische Kirche wußte sich im Gegensatz zur ungläubigen
Welt, wenn auch dieser Gegensatz bei der Erwartung der baldigen Wiederkunft
Christi und der Gedrücktheit ihrer Lage mehr als Weltflucht sich darstellte.
Als nach der furchtbaren Christenverfolgung unter Diocletian durch Konstantin
und Licinius die Toleranzedikte zu Gunsten des Christenthums erlassen wurden,
waren es trotz Konstantin's Heiligenschein zunächst staatliche Rücksichten, welche
jene Gesetze diktirten. -- Wie wenig in der katholischen Kirche mit ihrem immer
mächtiger werdenden Papstthum die Idee der Toleranz zur Geltung gekommen
ist, bedarf keines Beweises. Das Dogma einer alleinseligmachenden Kirche als


Die religiöse Toleranz der Lohenzollern.
Von v. Carl Alfred Hase,
Militär-Obcrpfarrcr des 1. Armee-Korps.

Im Februar 1874 schrieb Kaiser Wilhelm an Lord Rüssel, ihm
dankend für die kundgegebenen Sympathien England's: „Mir liegt die Führung
meines Volkes in einem Kampfe ob, welchen schon frühere deutsche Kaiser
Jahrhunderte hindurch mit wechselndem Glück gegen eine Macht zu führen
gehabt haben, deren Herrschaft sich in keinem Lande der Welt mit dem Frieden
und der Wohlfahrt der Völker verträglich erwiesen hat und deren Sieg in unsern
Tagen die Segnungen der Reformation, die Gewissensfreiheit und die Auto¬
rität der Gesetze uicht blos in Deutschland in Frage stellen würde. Ich
führe diesen mir aufgedrungenen Kampf in Erfüllung meiner königlichen
Pflichten und im festen Vertrauen auf Gottes siegbringenden Beistand, aber
anch in dem Geist der Achtung vor dem Glauben Anderer und der evangelischen
Duldsamkeit, welche meine Vorfahren dem Rechte und der Verwaltung meiner
Staaten aufgeprägt haben."

Für dieses königliche Wort vom Geist der Achtung vor dem Glauben
Anderer und von der evangelischen Duldsamkeit der Hohenzollern wollen die
folgenden Blätter einen geschichtlichen Nachweis bringen.

Die religiöse Toleranz ist eine Frucht der neuen Zeit. Dem Alterthum
war sie nach ihrem Wesen fremd. Dem Griechen war die Religion nur wie
heilige Musik, die sein Leben rhythmisch begleitete; dem Römer ward sie zu einer
staatlichen Angelegenheit. Sind Griechen und Römer von religiösem Fanatismus
frei gewesen, so war dies nur ein Zeichen, daß ihrer Religion der warme Herz¬
schlag fehlte. Anders im Volke Israel, diesem ausgewählten Volke religiöser
Begabung. Aber je lebendiger das religiöse Bewußtsein dieses Volkes war,
um so ausschließender verhielt es sich gegen Andere. Auch das Christenthum,
obwohl es den Keim wahrer Toleranz schon in sich trug, trat uicht als religiöse
Toleranz auf. Die apostolische Kirche wußte sich im Gegensatz zur ungläubigen
Welt, wenn auch dieser Gegensatz bei der Erwartung der baldigen Wiederkunft
Christi und der Gedrücktheit ihrer Lage mehr als Weltflucht sich darstellte.
Als nach der furchtbaren Christenverfolgung unter Diocletian durch Konstantin
und Licinius die Toleranzedikte zu Gunsten des Christenthums erlassen wurden,
waren es trotz Konstantin's Heiligenschein zunächst staatliche Rücksichten, welche
jene Gesetze diktirten. — Wie wenig in der katholischen Kirche mit ihrem immer
mächtiger werdenden Papstthum die Idee der Toleranz zur Geltung gekommen
ist, bedarf keines Beweises. Das Dogma einer alleinseligmachenden Kirche als


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[0179] Die religiöse Toleranz der Lohenzollern. Von v. Carl Alfred Hase, Militär-Obcrpfarrcr des 1. Armee-Korps. Im Februar 1874 schrieb Kaiser Wilhelm an Lord Rüssel, ihm dankend für die kundgegebenen Sympathien England's: „Mir liegt die Führung meines Volkes in einem Kampfe ob, welchen schon frühere deutsche Kaiser Jahrhunderte hindurch mit wechselndem Glück gegen eine Macht zu führen gehabt haben, deren Herrschaft sich in keinem Lande der Welt mit dem Frieden und der Wohlfahrt der Völker verträglich erwiesen hat und deren Sieg in unsern Tagen die Segnungen der Reformation, die Gewissensfreiheit und die Auto¬ rität der Gesetze uicht blos in Deutschland in Frage stellen würde. Ich führe diesen mir aufgedrungenen Kampf in Erfüllung meiner königlichen Pflichten und im festen Vertrauen auf Gottes siegbringenden Beistand, aber anch in dem Geist der Achtung vor dem Glauben Anderer und der evangelischen Duldsamkeit, welche meine Vorfahren dem Rechte und der Verwaltung meiner Staaten aufgeprägt haben." Für dieses königliche Wort vom Geist der Achtung vor dem Glauben Anderer und von der evangelischen Duldsamkeit der Hohenzollern wollen die folgenden Blätter einen geschichtlichen Nachweis bringen. Die religiöse Toleranz ist eine Frucht der neuen Zeit. Dem Alterthum war sie nach ihrem Wesen fremd. Dem Griechen war die Religion nur wie heilige Musik, die sein Leben rhythmisch begleitete; dem Römer ward sie zu einer staatlichen Angelegenheit. Sind Griechen und Römer von religiösem Fanatismus frei gewesen, so war dies nur ein Zeichen, daß ihrer Religion der warme Herz¬ schlag fehlte. Anders im Volke Israel, diesem ausgewählten Volke religiöser Begabung. Aber je lebendiger das religiöse Bewußtsein dieses Volkes war, um so ausschließender verhielt es sich gegen Andere. Auch das Christenthum, obwohl es den Keim wahrer Toleranz schon in sich trug, trat uicht als religiöse Toleranz auf. Die apostolische Kirche wußte sich im Gegensatz zur ungläubigen Welt, wenn auch dieser Gegensatz bei der Erwartung der baldigen Wiederkunft Christi und der Gedrücktheit ihrer Lage mehr als Weltflucht sich darstellte. Als nach der furchtbaren Christenverfolgung unter Diocletian durch Konstantin und Licinius die Toleranzedikte zu Gunsten des Christenthums erlassen wurden, waren es trotz Konstantin's Heiligenschein zunächst staatliche Rücksichten, welche jene Gesetze diktirten. — Wie wenig in der katholischen Kirche mit ihrem immer mächtiger werdenden Papstthum die Idee der Toleranz zur Geltung gekommen ist, bedarf keines Beweises. Das Dogma einer alleinseligmachenden Kirche als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/179>, abgerufen am 22.07.2024.