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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Noch vor wenigen Lustren waren die politischen und volkswirtschaftlichen
Verhältnisse in den Vereinigten Staaten so beschaffen, daß sozialdemokratische und
kommunistische Agitationen dort wenig Boden fassen konnten. Trotz der schnellen
und oft ziemlich mühelosem Anhäufung von Reichthümern in den Händen Einzelner,
war es doch der großen Masse der gewöhnlichen Arbeiterklassen möglich, nicht nur
ein verlMtnißmäßig sorgenfreies Leben zu führen, sondern durch Fleiß und Spar¬
samkeit auch ein bescheidenes Eigenthum zu erwerben. Namentlich gelang es
vielen deutschen Einwanderern, die bekanntlich im Anfange der fünfziger Jahre
massenhaft über den Ozean zogen, theils in den Städten, theils auf dem
platten Lande in kurzer Zeit.sich auf eigenem Grund und Boden ein freund¬
liches und sicheres Heimwesen zu gründen. Die sozialen und ökonomischen
Zustünde in der nordamerikanischen Union schienen in der That so geartet zu
sein, daß man sich mit gutem Grunde der Hoffnung hingeben durfte, unter
Benutzung der Fortschritte der Wissenschaft und der in Europa gemachten Er¬
fahrungen jede berechtigte, politische oder volkswirthschaftliche Reform ans dem
Wege des natürlichen und gesetzmäßigen Fortschritts ohne gewaltsame Er¬
schütterungen zu erreichen. Die einzige schwarze Wolke, welche der politisch-soziale
Horizont der Vereinigten Staaten auswies, war das Institut der Negersklaverei.
Die Negersklaverei war es denn auch, welche in erster Linie den langandauernden
blutigen Sezessionskrieg ins Leben rief; und dieser unselige Bürgerkrieg ist wiederum
die Hauptursache davou gewesen, daß die Lebenskraft der Union auf politischem
und sozialem Gebiete den härtesten Prüfungen unterworfen ward.

Schon während des Sezessivnskrieges, vornehmlich aber nach Beendigung
desselben durch Niederwerfung des rebellischen Südens, erhob die Korruption
ihr giftiges Haupt gefahrdrohender, als je zuvor. Während der achtjährigen
Administration des Präsidenten U. S. Grant durchdrang die Korruption alle
Zweige des Staates und des Geschäftslebens in unerhörter Weise; die durch
Eigennutz und Herrschsucht bewirkte Ausartung des politischen Parteiwesens
machte das durch die Bundesverfassung garantirte Recht der Selbstregierung
in vielen Fällen ganz illusorisch, die Bürger verloren den gewissenlosen Machi¬
nationen selbstsüchtiger Parteigänger gegenüber die Lust, sich bei politischen
Fragen zu betheiligen, und -- um das Unglück vollständig zu machen -- rief
der Weltkrach von 1873 auch jenseits des Atlantischen Oceans eine Geschäfts¬
stockung hervor, wie sie an Schwere, Dauer und Umfang bis dahin von dem
Volke der nordamerikanischen Union noch nicht empfunden worden war. Selbst¬
verständlich litten wie überall, die arbeitenden Klassen auch in Amerika unter


Noch vor wenigen Lustren waren die politischen und volkswirtschaftlichen
Verhältnisse in den Vereinigten Staaten so beschaffen, daß sozialdemokratische und
kommunistische Agitationen dort wenig Boden fassen konnten. Trotz der schnellen
und oft ziemlich mühelosem Anhäufung von Reichthümern in den Händen Einzelner,
war es doch der großen Masse der gewöhnlichen Arbeiterklassen möglich, nicht nur
ein verlMtnißmäßig sorgenfreies Leben zu führen, sondern durch Fleiß und Spar¬
samkeit auch ein bescheidenes Eigenthum zu erwerben. Namentlich gelang es
vielen deutschen Einwanderern, die bekanntlich im Anfange der fünfziger Jahre
massenhaft über den Ozean zogen, theils in den Städten, theils auf dem
platten Lande in kurzer Zeit.sich auf eigenem Grund und Boden ein freund¬
liches und sicheres Heimwesen zu gründen. Die sozialen und ökonomischen
Zustünde in der nordamerikanischen Union schienen in der That so geartet zu
sein, daß man sich mit gutem Grunde der Hoffnung hingeben durfte, unter
Benutzung der Fortschritte der Wissenschaft und der in Europa gemachten Er¬
fahrungen jede berechtigte, politische oder volkswirthschaftliche Reform ans dem
Wege des natürlichen und gesetzmäßigen Fortschritts ohne gewaltsame Er¬
schütterungen zu erreichen. Die einzige schwarze Wolke, welche der politisch-soziale
Horizont der Vereinigten Staaten auswies, war das Institut der Negersklaverei.
Die Negersklaverei war es denn auch, welche in erster Linie den langandauernden
blutigen Sezessionskrieg ins Leben rief; und dieser unselige Bürgerkrieg ist wiederum
die Hauptursache davou gewesen, daß die Lebenskraft der Union auf politischem
und sozialem Gebiete den härtesten Prüfungen unterworfen ward.

Schon während des Sezessivnskrieges, vornehmlich aber nach Beendigung
desselben durch Niederwerfung des rebellischen Südens, erhob die Korruption
ihr giftiges Haupt gefahrdrohender, als je zuvor. Während der achtjährigen
Administration des Präsidenten U. S. Grant durchdrang die Korruption alle
Zweige des Staates und des Geschäftslebens in unerhörter Weise; die durch
Eigennutz und Herrschsucht bewirkte Ausartung des politischen Parteiwesens
machte das durch die Bundesverfassung garantirte Recht der Selbstregierung
in vielen Fällen ganz illusorisch, die Bürger verloren den gewissenlosen Machi¬
nationen selbstsüchtiger Parteigänger gegenüber die Lust, sich bei politischen
Fragen zu betheiligen, und — um das Unglück vollständig zu machen — rief
der Weltkrach von 1873 auch jenseits des Atlantischen Oceans eine Geschäfts¬
stockung hervor, wie sie an Schwere, Dauer und Umfang bis dahin von dem
Volke der nordamerikanischen Union noch nicht empfunden worden war. Selbst¬
verständlich litten wie überall, die arbeitenden Klassen auch in Amerika unter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/16>, abgerufen am 22.07.2024.