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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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der Mairie des vierten Pariser Arrondissements von Cormon, welche die Ge¬
burt, die Heirath, die Wohlthätigkeit, die Erziehung, den Krieg und den Tod
in genrehaften Darstellungen symbolisiren. Wir sehen dort die großen allego¬
rischen Gemälde, die Bonnae für den Saal des Assisenhofes im Pariser Justiz¬
palast gemalt hat, und daneben eine zweite Reihe auf Vermählung und
Hochzeit bezüglicher Darstellungen aus einer andern Mairie von E. Levy,
Bilder mit zahlreichen, lebensgroßen Figuren, deren liebliche, naive Anmuth
mit den religiösen Gemälden der italienischen Frührenaissance wetteifert.

Ich habe oben gesagt, daß die französische Kunst heute eine ähnliche
Stellung einnimmt wie zu den Zeiten des Perikles die griechische. Hat sich
nun aber auch, so wird man fragen, insbesondere die französische Historien¬
malerei der großen Fürsorge würdig gemacht, die ihr von allen Seiten zu
Theil wird? Steht die französische Kunst unter gleichen Begünstigungen auch
qualitativ auf derselben hohen Stufe, welche die Kunst Griechenland's im
perikleischeu Zeitalter eingenommen hat?

Auf diese Frage muß rund und nett mit Nein! geantwortet werden. Die
französische Malerei großen Stils -- die gra-nah xöinturs -- befindet sich im
Großen und Ganzen auf bedauerlichen Irrwegen. Sie huldigt, um das mit
wenigen Worten hier voraufzunehmen, was wir im Folgenden begründen werden,
einem grauenhaften, völlig kunstwidrigen Realismus, sie greift uach den aben¬
teuerlichsten, bizarrsten Stoffen, sie spielt mit Grauen und Entsetzen, sie schwelgt
im Brutalen, sie wälzt sich förmlich im Blute. Indem wir gegen diese ver¬
derbliche Richtung mit aller Energie Front machen und das hohle Treiben der
französischen Historienmalerei in seiner ganzer Blöße aufdecken, treffen wir zu¬
gleich eine, wenn auch vor der Hand noch kleine Klasse deutscher Maler, die,
von der Krankheit der modernen Historienmalerei Frankreich's angesteckt, die
Apotheose des Bizarren und Grauenhaften auch in die deutsche Kunst einzu¬
bürgern versuchen.

Das Vorwort zum offiziellen Katalog der französischen Kunstausstellung
konstatirt mit großer Befriedigung einen bedeutenden Aufschwung der Historien¬
malerei seit der Weltausstellung von 1867. Damals hatte die französische
Historienmalerei eben ihre beiden Häupter verloren, Delacroix und Ingres.
In den nächsten zehn Jahren folgten ihnen die Jüngeren, die ihren Einfluß
mehr oder minder stark empfunden und weiterverbreitet hatten: Pieve, Rouget,
Schuetz, Hesse, Pils u. a. Im Jahre 1867 mußte die internationale Jury
einen Rückgang der historischen und monumentalen Malerei in Frankreich --
aber auch in den andern Ländern Europa's -- konstatiren. Das blieb bis
zum Jahre 1872. In dieser Periode genoß in Frankreich die Genremalerei
fast ausschließlich der öffentlichen Gunst. Erst in deu Jahren 1872 und 1873


der Mairie des vierten Pariser Arrondissements von Cormon, welche die Ge¬
burt, die Heirath, die Wohlthätigkeit, die Erziehung, den Krieg und den Tod
in genrehaften Darstellungen symbolisiren. Wir sehen dort die großen allego¬
rischen Gemälde, die Bonnae für den Saal des Assisenhofes im Pariser Justiz¬
palast gemalt hat, und daneben eine zweite Reihe auf Vermählung und
Hochzeit bezüglicher Darstellungen aus einer andern Mairie von E. Levy,
Bilder mit zahlreichen, lebensgroßen Figuren, deren liebliche, naive Anmuth
mit den religiösen Gemälden der italienischen Frührenaissance wetteifert.

Ich habe oben gesagt, daß die französische Kunst heute eine ähnliche
Stellung einnimmt wie zu den Zeiten des Perikles die griechische. Hat sich
nun aber auch, so wird man fragen, insbesondere die französische Historien¬
malerei der großen Fürsorge würdig gemacht, die ihr von allen Seiten zu
Theil wird? Steht die französische Kunst unter gleichen Begünstigungen auch
qualitativ auf derselben hohen Stufe, welche die Kunst Griechenland's im
perikleischeu Zeitalter eingenommen hat?

Auf diese Frage muß rund und nett mit Nein! geantwortet werden. Die
französische Malerei großen Stils — die gra-nah xöinturs — befindet sich im
Großen und Ganzen auf bedauerlichen Irrwegen. Sie huldigt, um das mit
wenigen Worten hier voraufzunehmen, was wir im Folgenden begründen werden,
einem grauenhaften, völlig kunstwidrigen Realismus, sie greift uach den aben¬
teuerlichsten, bizarrsten Stoffen, sie spielt mit Grauen und Entsetzen, sie schwelgt
im Brutalen, sie wälzt sich förmlich im Blute. Indem wir gegen diese ver¬
derbliche Richtung mit aller Energie Front machen und das hohle Treiben der
französischen Historienmalerei in seiner ganzer Blöße aufdecken, treffen wir zu¬
gleich eine, wenn auch vor der Hand noch kleine Klasse deutscher Maler, die,
von der Krankheit der modernen Historienmalerei Frankreich's angesteckt, die
Apotheose des Bizarren und Grauenhaften auch in die deutsche Kunst einzu¬
bürgern versuchen.

Das Vorwort zum offiziellen Katalog der französischen Kunstausstellung
konstatirt mit großer Befriedigung einen bedeutenden Aufschwung der Historien¬
malerei seit der Weltausstellung von 1867. Damals hatte die französische
Historienmalerei eben ihre beiden Häupter verloren, Delacroix und Ingres.
In den nächsten zehn Jahren folgten ihnen die Jüngeren, die ihren Einfluß
mehr oder minder stark empfunden und weiterverbreitet hatten: Pieve, Rouget,
Schuetz, Hesse, Pils u. a. Im Jahre 1867 mußte die internationale Jury
einen Rückgang der historischen und monumentalen Malerei in Frankreich —
aber auch in den andern Ländern Europa's — konstatiren. Das blieb bis
zum Jahre 1872. In dieser Periode genoß in Frankreich die Genremalerei
fast ausschließlich der öffentlichen Gunst. Erst in deu Jahren 1872 und 1873


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[0152] der Mairie des vierten Pariser Arrondissements von Cormon, welche die Ge¬ burt, die Heirath, die Wohlthätigkeit, die Erziehung, den Krieg und den Tod in genrehaften Darstellungen symbolisiren. Wir sehen dort die großen allego¬ rischen Gemälde, die Bonnae für den Saal des Assisenhofes im Pariser Justiz¬ palast gemalt hat, und daneben eine zweite Reihe auf Vermählung und Hochzeit bezüglicher Darstellungen aus einer andern Mairie von E. Levy, Bilder mit zahlreichen, lebensgroßen Figuren, deren liebliche, naive Anmuth mit den religiösen Gemälden der italienischen Frührenaissance wetteifert. Ich habe oben gesagt, daß die französische Kunst heute eine ähnliche Stellung einnimmt wie zu den Zeiten des Perikles die griechische. Hat sich nun aber auch, so wird man fragen, insbesondere die französische Historien¬ malerei der großen Fürsorge würdig gemacht, die ihr von allen Seiten zu Theil wird? Steht die französische Kunst unter gleichen Begünstigungen auch qualitativ auf derselben hohen Stufe, welche die Kunst Griechenland's im perikleischeu Zeitalter eingenommen hat? Auf diese Frage muß rund und nett mit Nein! geantwortet werden. Die französische Malerei großen Stils — die gra-nah xöinturs — befindet sich im Großen und Ganzen auf bedauerlichen Irrwegen. Sie huldigt, um das mit wenigen Worten hier voraufzunehmen, was wir im Folgenden begründen werden, einem grauenhaften, völlig kunstwidrigen Realismus, sie greift uach den aben¬ teuerlichsten, bizarrsten Stoffen, sie spielt mit Grauen und Entsetzen, sie schwelgt im Brutalen, sie wälzt sich förmlich im Blute. Indem wir gegen diese ver¬ derbliche Richtung mit aller Energie Front machen und das hohle Treiben der französischen Historienmalerei in seiner ganzer Blöße aufdecken, treffen wir zu¬ gleich eine, wenn auch vor der Hand noch kleine Klasse deutscher Maler, die, von der Krankheit der modernen Historienmalerei Frankreich's angesteckt, die Apotheose des Bizarren und Grauenhaften auch in die deutsche Kunst einzu¬ bürgern versuchen. Das Vorwort zum offiziellen Katalog der französischen Kunstausstellung konstatirt mit großer Befriedigung einen bedeutenden Aufschwung der Historien¬ malerei seit der Weltausstellung von 1867. Damals hatte die französische Historienmalerei eben ihre beiden Häupter verloren, Delacroix und Ingres. In den nächsten zehn Jahren folgten ihnen die Jüngeren, die ihren Einfluß mehr oder minder stark empfunden und weiterverbreitet hatten: Pieve, Rouget, Schuetz, Hesse, Pils u. a. Im Jahre 1867 mußte die internationale Jury einen Rückgang der historischen und monumentalen Malerei in Frankreich — aber auch in den andern Ländern Europa's — konstatiren. Das blieb bis zum Jahre 1872. In dieser Periode genoß in Frankreich die Genremalerei fast ausschließlich der öffentlichen Gunst. Erst in deu Jahren 1872 und 1873

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/152>, abgerufen am 22.07.2024.