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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Die Historienmalerei großen Stils ist in Deutschland seit dem deutsch¬
französischen Kriege auch nicht um einen Schritt vorwärts gekommen, wiewohl
man von dem Einflüsse einer nationalen Erregung und Erhebung, die ohne
Gleichen in der Weltgeschichte dasteht, das Gegentheil erwartet hat. Ja, inner¬
halb der letzten zehn Jahre ist kaum ein Historienbild geschaffen worden, das
einen Eindruck hinterlassen hat, der sich mit dem messen könnte, den die
Historienbilder der Düsseldorfer Schule z. B. Lessing's "Huß auf dem Scheiter¬
haufen" hervorgerufen haben. Es existirt zwar in Deutschland eine "Verbin¬
dung für historische Kunst", welche die Hebung und Förderung der Historien¬
malerei bezweckt, aber diese Vereinigung bestellt jährlich nur ein einziges
Historienbild von größerem Umfange. Die Leiter der öffentlichen Sammlun¬
gen moderner Gemälde -- es sind ihrer nicht allzuviele in Deutschland, höch¬
stens ein Dutzend -- sind meist auf kärgliche Mittel angewiesen und überdies
durch allerlei lokale Verhältnisse in ihren Maßnahmen gebunden. Sie sollen
für die ausgesetzten Summen möglichst viele Bilder erwerben, um möglichst
vielen Künstlern das Benefizium einer ehrenvollen Unterstützung zu Theil
werden zu lassen. Oft leitet sie auch der Ehrgeiz, ihre Säle möglichst schnell
mit Bildern zu füllen -- genug, die historische Malerei kommt in Deutschland
an allen Ecken und Enden zu kurz, um so mehr, als sie von der Kirche ganz
ignorirt und von dem Staate nur in mäßigem Umfange und auch das erst
seil ganz kurzer Zeit protegirt wird.

Anders in Frankreich, wo jede größere Provinzialstadt ihr Museum hat,
wo sich ein edler Wetteifer unter den verschiedenen Munizipalitäten betreffs
der Erwerbung von Gemälden entspinnt, die auf einem Pariser "Salon" -- so
nennt man die Jahresausstellung der Pariser Künstler -- Aufsehen erregt
haben. Paris geht natürlich den Provinzialstädten mit gutem Beispiel voran.
Die Pariser Stadtverwaltung hat zudem uoch die Aufgabe, die Kunstschütze
zu ersetzen, welche die Mordbrenner der Kommune vernichtet haben. Der
Pavillon der Stadt Paris, welcher sich in der Mitte des Jndustriepalastes er¬
hebt und die Kunsthalle in zwei Hälften theilt, zeigt uns bereits, wie ernst die
Stadtverwaltung ihre Aufgabe nimmt, wie sehr sie bestrebt ist, die Lücken
auszufüllen, welche die Fackeln und das Petroleum gerissen. Ist in Deutsch¬
land schon eine Stadtverwaltung auf den Gedanken gekommen, das Lokal ihres
Standesamtes mit Gemälden zu schmücken? Man hat sich kaum hier und da
entschlossen, einem Orte, wo menschliche Geschicke zu Tausenden besiegelt werden,
das fahle, graue Kolorit der Amtsstube zu nehmen, während man in Paris
die Säle, in denen die bürgerlichen Trauungen stattfinden, mit sinnreichen,
zum Herzen sprechenden Gemälden schmückt. So sehen wir z. B. im Pavillon
der Stadt Paris eine Reihe von Plafondmalereien aus der LMs et68 Ug,riaA<Z8


Die Historienmalerei großen Stils ist in Deutschland seit dem deutsch¬
französischen Kriege auch nicht um einen Schritt vorwärts gekommen, wiewohl
man von dem Einflüsse einer nationalen Erregung und Erhebung, die ohne
Gleichen in der Weltgeschichte dasteht, das Gegentheil erwartet hat. Ja, inner¬
halb der letzten zehn Jahre ist kaum ein Historienbild geschaffen worden, das
einen Eindruck hinterlassen hat, der sich mit dem messen könnte, den die
Historienbilder der Düsseldorfer Schule z. B. Lessing's „Huß auf dem Scheiter¬
haufen" hervorgerufen haben. Es existirt zwar in Deutschland eine „Verbin¬
dung für historische Kunst", welche die Hebung und Förderung der Historien¬
malerei bezweckt, aber diese Vereinigung bestellt jährlich nur ein einziges
Historienbild von größerem Umfange. Die Leiter der öffentlichen Sammlun¬
gen moderner Gemälde — es sind ihrer nicht allzuviele in Deutschland, höch¬
stens ein Dutzend — sind meist auf kärgliche Mittel angewiesen und überdies
durch allerlei lokale Verhältnisse in ihren Maßnahmen gebunden. Sie sollen
für die ausgesetzten Summen möglichst viele Bilder erwerben, um möglichst
vielen Künstlern das Benefizium einer ehrenvollen Unterstützung zu Theil
werden zu lassen. Oft leitet sie auch der Ehrgeiz, ihre Säle möglichst schnell
mit Bildern zu füllen — genug, die historische Malerei kommt in Deutschland
an allen Ecken und Enden zu kurz, um so mehr, als sie von der Kirche ganz
ignorirt und von dem Staate nur in mäßigem Umfange und auch das erst
seil ganz kurzer Zeit protegirt wird.

Anders in Frankreich, wo jede größere Provinzialstadt ihr Museum hat,
wo sich ein edler Wetteifer unter den verschiedenen Munizipalitäten betreffs
der Erwerbung von Gemälden entspinnt, die auf einem Pariser „Salon" — so
nennt man die Jahresausstellung der Pariser Künstler — Aufsehen erregt
haben. Paris geht natürlich den Provinzialstädten mit gutem Beispiel voran.
Die Pariser Stadtverwaltung hat zudem uoch die Aufgabe, die Kunstschütze
zu ersetzen, welche die Mordbrenner der Kommune vernichtet haben. Der
Pavillon der Stadt Paris, welcher sich in der Mitte des Jndustriepalastes er¬
hebt und die Kunsthalle in zwei Hälften theilt, zeigt uns bereits, wie ernst die
Stadtverwaltung ihre Aufgabe nimmt, wie sehr sie bestrebt ist, die Lücken
auszufüllen, welche die Fackeln und das Petroleum gerissen. Ist in Deutsch¬
land schon eine Stadtverwaltung auf den Gedanken gekommen, das Lokal ihres
Standesamtes mit Gemälden zu schmücken? Man hat sich kaum hier und da
entschlossen, einem Orte, wo menschliche Geschicke zu Tausenden besiegelt werden,
das fahle, graue Kolorit der Amtsstube zu nehmen, während man in Paris
die Säle, in denen die bürgerlichen Trauungen stattfinden, mit sinnreichen,
zum Herzen sprechenden Gemälden schmückt. So sehen wir z. B. im Pavillon
der Stadt Paris eine Reihe von Plafondmalereien aus der LMs et68 Ug,riaA<Z8


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/151>, abgerufen am 22.07.2024.