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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Vermvgmlgsgewalt eines Anderen sein. Als die Träger der Staatsgewalt,
von der tiefen Unwürdigkeit und Unsittlichkeit eines solchen Verhältnisses durch¬
drungen, die Sklaverei abschafften, waren sie vollständig im Recht, Mit uicht
minder gutem Recht konnten aber die Sklavenbesitzer vollen Ersatz für den
Werth verlangen, den die Sklaven für sie hatten. Denn sie hatten, gestützt und
im Vertraue" auf die bestehenden Staatsgesetze das Eigenthum um ihnen gültig
erworben. Dieser korrekte Standpunkt ist auch in der That in den Kolonien
mehrerer europäischer Staaten strikt durchgeführt worden.

Als in der Neuzeit die alten privatrechtlichen Frohnden und Zehnten in
Folge der veränderten ökonomischen Verhältnisse die gedeihliche wirthschaftliche
Entwickelung der Gesammtheit hinderten, hob man sie auf. Durch das Da¬
zwischentreten des Staates aber wurde es möglich, daß die bisherigen Berech¬
tigten anstatt derselben Kapitalien oder Rentenbriefe erhielten, deren jährlicher
Zinsbetrag dem Werthe der aufgehobenen Leistungen entsprach.

Ein schreiendes Unrecht aber würde es sein, wollte der sozialistisch gewordene
Staat den weitaus größten Theil der bisherigen privaten Vermögensobjekte
seinen rechtmäßigen Besitzern wider ihren Willen entziehen, ohne ihnen ihr
Interesse voll zu vergüten. Man denke sich z. B. zwei Männer mit gleichem
Einkommen, von denen der Eine seine Einnahmen verjubelte, der Andere viel¬
leicht sich das Geld vom Munde abdarbte, um sich selbst ein sorgenfreies
Alter, seinen Kindern die Mittel zu einer guten Erziehung zu verschaffen. Der
Letztere hat sich im Vertrauen auf die bestehende Rechtsordnung Opfer auferlegt,
die mit der Konfiskation der privaten Produktivkapitalieu vergeblich dargebracht sein
würden. Denn mag nnn die Vertheilnng der Genußmittel im sozialistischen
Staat nach dem Bedarf oder nach dem Arbeitsertrag der Einzelnen geschehen --
immer würde er ebensoviel bekommen, wenn er sich jene Entbehrungen nicht
auferlegt hätte.

Wenn also nicht nachgewiesen werden kaun, daß der sozialistische Staat
im Stande ist, die privaten Prodnktivkapitalien ihrem vollen Werth entsprechend
abzulösen, so ist vom Standpunkt des Rechts wie der Billigkeit die Konfiskation
derselben, und damit die ganze Einführung des sozialistischen Staates ein
Unding.

Die ungeheure Rechtsverletzung, welche in einer einfachen Konfiskation
der privaten Produktivkapitalien durch den Staat liegen würde, hat selbst einige
Sozialisten stutzig gemacht. Auch Schäffle hilft sich in seiner Quintessenz des
Sozialismus über die Rechtsfrage damit hinweg, daß er die jetzigen Kapital¬
besitzer durch eine 30-- 50 Jahre laug dauernde jährliche Zahlung von Genu߬
mitteln entschädigen will. Eine Familie, die jetzt z. B. eine Million Mark
an Grundstücken besitzt, soll vielleicht 40 Jahre lang an Lebensmitteln, Kiel-


Vermvgmlgsgewalt eines Anderen sein. Als die Träger der Staatsgewalt,
von der tiefen Unwürdigkeit und Unsittlichkeit eines solchen Verhältnisses durch¬
drungen, die Sklaverei abschafften, waren sie vollständig im Recht, Mit uicht
minder gutem Recht konnten aber die Sklavenbesitzer vollen Ersatz für den
Werth verlangen, den die Sklaven für sie hatten. Denn sie hatten, gestützt und
im Vertraue» auf die bestehenden Staatsgesetze das Eigenthum um ihnen gültig
erworben. Dieser korrekte Standpunkt ist auch in der That in den Kolonien
mehrerer europäischer Staaten strikt durchgeführt worden.

Als in der Neuzeit die alten privatrechtlichen Frohnden und Zehnten in
Folge der veränderten ökonomischen Verhältnisse die gedeihliche wirthschaftliche
Entwickelung der Gesammtheit hinderten, hob man sie auf. Durch das Da¬
zwischentreten des Staates aber wurde es möglich, daß die bisherigen Berech¬
tigten anstatt derselben Kapitalien oder Rentenbriefe erhielten, deren jährlicher
Zinsbetrag dem Werthe der aufgehobenen Leistungen entsprach.

Ein schreiendes Unrecht aber würde es sein, wollte der sozialistisch gewordene
Staat den weitaus größten Theil der bisherigen privaten Vermögensobjekte
seinen rechtmäßigen Besitzern wider ihren Willen entziehen, ohne ihnen ihr
Interesse voll zu vergüten. Man denke sich z. B. zwei Männer mit gleichem
Einkommen, von denen der Eine seine Einnahmen verjubelte, der Andere viel¬
leicht sich das Geld vom Munde abdarbte, um sich selbst ein sorgenfreies
Alter, seinen Kindern die Mittel zu einer guten Erziehung zu verschaffen. Der
Letztere hat sich im Vertrauen auf die bestehende Rechtsordnung Opfer auferlegt,
die mit der Konfiskation der privaten Produktivkapitalieu vergeblich dargebracht sein
würden. Denn mag nnn die Vertheilnng der Genußmittel im sozialistischen
Staat nach dem Bedarf oder nach dem Arbeitsertrag der Einzelnen geschehen —
immer würde er ebensoviel bekommen, wenn er sich jene Entbehrungen nicht
auferlegt hätte.

Wenn also nicht nachgewiesen werden kaun, daß der sozialistische Staat
im Stande ist, die privaten Prodnktivkapitalien ihrem vollen Werth entsprechend
abzulösen, so ist vom Standpunkt des Rechts wie der Billigkeit die Konfiskation
derselben, und damit die ganze Einführung des sozialistischen Staates ein
Unding.

Die ungeheure Rechtsverletzung, welche in einer einfachen Konfiskation
der privaten Produktivkapitalien durch den Staat liegen würde, hat selbst einige
Sozialisten stutzig gemacht. Auch Schäffle hilft sich in seiner Quintessenz des
Sozialismus über die Rechtsfrage damit hinweg, daß er die jetzigen Kapital¬
besitzer durch eine 30— 50 Jahre laug dauernde jährliche Zahlung von Genu߬
mitteln entschädigen will. Eine Familie, die jetzt z. B. eine Million Mark
an Grundstücken besitzt, soll vielleicht 40 Jahre lang an Lebensmitteln, Kiel-


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[0146] Vermvgmlgsgewalt eines Anderen sein. Als die Träger der Staatsgewalt, von der tiefen Unwürdigkeit und Unsittlichkeit eines solchen Verhältnisses durch¬ drungen, die Sklaverei abschafften, waren sie vollständig im Recht, Mit uicht minder gutem Recht konnten aber die Sklavenbesitzer vollen Ersatz für den Werth verlangen, den die Sklaven für sie hatten. Denn sie hatten, gestützt und im Vertraue» auf die bestehenden Staatsgesetze das Eigenthum um ihnen gültig erworben. Dieser korrekte Standpunkt ist auch in der That in den Kolonien mehrerer europäischer Staaten strikt durchgeführt worden. Als in der Neuzeit die alten privatrechtlichen Frohnden und Zehnten in Folge der veränderten ökonomischen Verhältnisse die gedeihliche wirthschaftliche Entwickelung der Gesammtheit hinderten, hob man sie auf. Durch das Da¬ zwischentreten des Staates aber wurde es möglich, daß die bisherigen Berech¬ tigten anstatt derselben Kapitalien oder Rentenbriefe erhielten, deren jährlicher Zinsbetrag dem Werthe der aufgehobenen Leistungen entsprach. Ein schreiendes Unrecht aber würde es sein, wollte der sozialistisch gewordene Staat den weitaus größten Theil der bisherigen privaten Vermögensobjekte seinen rechtmäßigen Besitzern wider ihren Willen entziehen, ohne ihnen ihr Interesse voll zu vergüten. Man denke sich z. B. zwei Männer mit gleichem Einkommen, von denen der Eine seine Einnahmen verjubelte, der Andere viel¬ leicht sich das Geld vom Munde abdarbte, um sich selbst ein sorgenfreies Alter, seinen Kindern die Mittel zu einer guten Erziehung zu verschaffen. Der Letztere hat sich im Vertrauen auf die bestehende Rechtsordnung Opfer auferlegt, die mit der Konfiskation der privaten Produktivkapitalieu vergeblich dargebracht sein würden. Denn mag nnn die Vertheilnng der Genußmittel im sozialistischen Staat nach dem Bedarf oder nach dem Arbeitsertrag der Einzelnen geschehen — immer würde er ebensoviel bekommen, wenn er sich jene Entbehrungen nicht auferlegt hätte. Wenn also nicht nachgewiesen werden kaun, daß der sozialistische Staat im Stande ist, die privaten Prodnktivkapitalien ihrem vollen Werth entsprechend abzulösen, so ist vom Standpunkt des Rechts wie der Billigkeit die Konfiskation derselben, und damit die ganze Einführung des sozialistischen Staates ein Unding. Die ungeheure Rechtsverletzung, welche in einer einfachen Konfiskation der privaten Produktivkapitalien durch den Staat liegen würde, hat selbst einige Sozialisten stutzig gemacht. Auch Schäffle hilft sich in seiner Quintessenz des Sozialismus über die Rechtsfrage damit hinweg, daß er die jetzigen Kapital¬ besitzer durch eine 30— 50 Jahre laug dauernde jährliche Zahlung von Genu߬ mitteln entschädigen will. Eine Familie, die jetzt z. B. eine Million Mark an Grundstücken besitzt, soll vielleicht 40 Jahre lang an Lebensmitteln, Kiel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/146>, abgerufen am 22.07.2024.