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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Hinsichtlich der Kraft durfte Rom indessen wohl zuversichtlich sein; denn
es einPfand sich mit vollem Recht als ein bewaffnetes Volk und war sich
wohl bewußt, welchen Werth eine so unbedingte Einheit von Volk und Heer
besitze; diese aber war typisch festgestellt. Der echteste Soldatengeist ver-
schwistert sich mit dem tüchtigste" Bürgersinne. Der Versuch, das Heer zu
Staatsstreichen im Lager zu benutzen, ist während einer Reihe von Jahrhun-
derten unerhört gewesen und zwar deshalb, weil jenes Heer beständig seiner
inneren Zusammensetzung nach wechselte, weil jeder einzelne Mann in nicht
zu langen Zwischenräumen heimkehrte und an dem politischen Leben der Bür¬
gerschaft wieder theilnahm. Dies stetige Ab- uno Zufluthen militärischer In¬
teressen in die Comitien, politisch denkender Menschen in die Armee hielt beide
Theile des Volkes, den in der Toga, wie den im Waffeurocke, in jenem glück¬
lichen Gleichschritte, der von jeher staunende Bewunderung der Geschichts¬
forscher erweckt hat.

In Bezug auf die Stärke der Legionen freilich fand eine so un¬
mittelbare Wechselwirkung zwischen deren Wachsthum und dem Zunehmen der
Tribuszahl, wie sie früher bestanden, um diese Zeit schon nicht mehr statt.
Bis zum Jahr 385 war mit jeder neuen Tribus die Legion um 200 Mann
gewachsen; während der folgenden Bezirkseinrichtungen hatte das jedoch auf¬
gehört. Die Zahl der Tribus steigt bis auf 31; aber die Legion zählt nach
wie vor 5000 Mann; ja sie sinkt vorübergehend auf den alten Satz von 4000
herab, um dann, trotz weiterer Vermehrung der Bezirke bis auf 35, für fast
ein volles Jahrhundert (von 303 bis 217) die Normalstärke von 4200 Mann
zu behaupten. Das ganze 4. Jahrhundert war eine Zeit des Werdens und
Wachsens, in der sich die Agrarverhältnisse und damit die Organisationen des
gesammten Staatswesens in einem großen Entwickelnngsprozesse befanden. Es
kann daher nicht ausfallen, wenn man, um fortwährende Aenderungen in dem
Zahlensystem des Kriegsheeres zu vermeide", einstweilen bei der alten Legion
der 25 Tribus stehen blieb. Entweder wurden zu dem Ende die Kontingente
aller Tribus gleichmäßig herabgesetzt, oder (und dies ist wahrscheinlicher) die
Bürger der neu hinzutretender Bezirke nahmen vorläufig uicht Theil am regu¬
lären Kriegsdienste, weil sie meist der ärmsten Volksklasse angehörten und vor
Allem an der Begründung ihrer wirthschaftlichen Existenz zu arbeiten hatten.
Uebrigens waren sie bei der zum Theil schon bedeutenden Entfernung ihres
Wohnsitzes von Rom (die Tribus Falerna z. B. lag in Campanien, Velina
im Apennin) feindlichen Angriffen zunächst ausgesetzt; sie mochten daher als
stehende Besatzung ihrer Feldmark und Grenzwache aufgefaßt und demgemäß
nicht ausgehoben werden. Waren doch die maritimen Bürgerkolvnien noch
viel später von der Aushebung befreit, weil sie bei ihrer Deduktion die Strand-


Hinsichtlich der Kraft durfte Rom indessen wohl zuversichtlich sein; denn
es einPfand sich mit vollem Recht als ein bewaffnetes Volk und war sich
wohl bewußt, welchen Werth eine so unbedingte Einheit von Volk und Heer
besitze; diese aber war typisch festgestellt. Der echteste Soldatengeist ver-
schwistert sich mit dem tüchtigste« Bürgersinne. Der Versuch, das Heer zu
Staatsstreichen im Lager zu benutzen, ist während einer Reihe von Jahrhun-
derten unerhört gewesen und zwar deshalb, weil jenes Heer beständig seiner
inneren Zusammensetzung nach wechselte, weil jeder einzelne Mann in nicht
zu langen Zwischenräumen heimkehrte und an dem politischen Leben der Bür¬
gerschaft wieder theilnahm. Dies stetige Ab- uno Zufluthen militärischer In¬
teressen in die Comitien, politisch denkender Menschen in die Armee hielt beide
Theile des Volkes, den in der Toga, wie den im Waffeurocke, in jenem glück¬
lichen Gleichschritte, der von jeher staunende Bewunderung der Geschichts¬
forscher erweckt hat.

In Bezug auf die Stärke der Legionen freilich fand eine so un¬
mittelbare Wechselwirkung zwischen deren Wachsthum und dem Zunehmen der
Tribuszahl, wie sie früher bestanden, um diese Zeit schon nicht mehr statt.
Bis zum Jahr 385 war mit jeder neuen Tribus die Legion um 200 Mann
gewachsen; während der folgenden Bezirkseinrichtungen hatte das jedoch auf¬
gehört. Die Zahl der Tribus steigt bis auf 31; aber die Legion zählt nach
wie vor 5000 Mann; ja sie sinkt vorübergehend auf den alten Satz von 4000
herab, um dann, trotz weiterer Vermehrung der Bezirke bis auf 35, für fast
ein volles Jahrhundert (von 303 bis 217) die Normalstärke von 4200 Mann
zu behaupten. Das ganze 4. Jahrhundert war eine Zeit des Werdens und
Wachsens, in der sich die Agrarverhältnisse und damit die Organisationen des
gesammten Staatswesens in einem großen Entwickelnngsprozesse befanden. Es
kann daher nicht ausfallen, wenn man, um fortwährende Aenderungen in dem
Zahlensystem des Kriegsheeres zu vermeide», einstweilen bei der alten Legion
der 25 Tribus stehen blieb. Entweder wurden zu dem Ende die Kontingente
aller Tribus gleichmäßig herabgesetzt, oder (und dies ist wahrscheinlicher) die
Bürger der neu hinzutretender Bezirke nahmen vorläufig uicht Theil am regu¬
lären Kriegsdienste, weil sie meist der ärmsten Volksklasse angehörten und vor
Allem an der Begründung ihrer wirthschaftlichen Existenz zu arbeiten hatten.
Uebrigens waren sie bei der zum Theil schon bedeutenden Entfernung ihres
Wohnsitzes von Rom (die Tribus Falerna z. B. lag in Campanien, Velina
im Apennin) feindlichen Angriffen zunächst ausgesetzt; sie mochten daher als
stehende Besatzung ihrer Feldmark und Grenzwache aufgefaßt und demgemäß
nicht ausgehoben werden. Waren doch die maritimen Bürgerkolvnien noch
viel später von der Aushebung befreit, weil sie bei ihrer Deduktion die Strand-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/139>, abgerufen am 22.07.2024.