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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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mit den größten Opfern erknnft werden; und auch dies gab nur für kurze Frist
Ruhe; denn noch oftmals kehrten die Gallier nach Latium zurück, nun aber
entschlossen und siegreich bekämpft vou Marcus Filrius Camillus und später
von seinem Sohne Lucius Furius. Diese Kämpfe haben durch 70 Jahre (390
bis 323) angedauert, und in ihnen hat auch das römische Kriegswesen nam¬
hafte Fortschritte gemacht.

Die wichtigsten Reformen knüpfen sich an den Namen des älteren
Camillus. -- Zunächst gab der Ungestüm der gallischen Angriffe Veranlassung,
diejenige Tiefe der Gefechtsaufstellung, welche bisher nur vorüber¬
gehend durch Eintreten der vorzugsweise zum zerstreuten Gefechte bestimmten
unteren Censnsklassen erzielt worden war, d. h. die achtgliedrige Stel¬
lung zur Norm zu erheben. Diese Heranziehung der niederen Censnsklassen
zum eigentlichen Hoplitendieust und die mit der vermehrten Tiefe der Phalanx
gesteigerte Schwierigkeit der Evolutionen hat dann eben darauf hingewirkt,
das alte Klafsensystem in seiner unmittelbaren Anwendung auf die Schlacht¬
ordnung zu verlassen und dagegen die Mannschaft einerseits gleichmäßiger zu
bewaffnen, andererseits sie, ihrer Geübtheit und Tüchtigkeit gemäß, in den
Gliedern und Rotten zu vertheilen.

Demnächst verbesserte man die Bewaffnung. Um den schlimmen Kopf¬
hieben der gallischen Schwerter begegnen zu können, wurde der bisherige, ver¬
muthlich lederne und nnr mit Erz beschlagene Helm (Min-g.) durch eine glatte
metallene Sturmhaube ersetzt (oaWis). Der bisher von der ersten Censusklasse
geführte argolische Rundschild (elnxoiis), der die Schultern nicht gehörig zu
decken vermochte, wurde jetzt von dem länglich-viereckigen seurrM verdrängt,
das bisher nnr den unteren Klassen als Schutzwaffe gedient hatte. Es wurde
bei dieser Gelegenheit durch eine breite rundumlaufende Metallplatte verbessert
und verstärkt. An ihr brach sich die Kraft der niederfahrenden keltischen Klinge.
Der Spieß blieb in Anwendung; doch übte Camillus seine Mannschaft darauf,
sich desselben auch zum Pariren zu bedienen.

Ganz eigenartig entwickelte sich, wahrscheinlich in Folge trauriger Er¬
fahrungen im gallischen Kriege, der römische Marsch- und Lagerdienst.
Wo das Heer, wenn auch nur für eine einzige Nacht, das Lager nahm, da
ward dies ohne Ausnahme mit einer regelmäßigen Umwallung versehen. Ein
solches System gestattete den Römern, die Vortheile entschlossener Offensive
mit der höheren Sicherheit der Defensive zu verbinden. Mochte ihre Strategie
noch so zufahrend sein; die einzelne Aktion war stets durch das befestigte
Lager wohl basirt und konnte, sobald es nothwendig erschien, vou dem cmgriffs-
weisen Verfahren zur vorbereiteten Vertheidigung übergehen. "Der Römer,"
so meint ein lateinisches Sprichwort, "siegt dnrch Stillsitzen."


mit den größten Opfern erknnft werden; und auch dies gab nur für kurze Frist
Ruhe; denn noch oftmals kehrten die Gallier nach Latium zurück, nun aber
entschlossen und siegreich bekämpft vou Marcus Filrius Camillus und später
von seinem Sohne Lucius Furius. Diese Kämpfe haben durch 70 Jahre (390
bis 323) angedauert, und in ihnen hat auch das römische Kriegswesen nam¬
hafte Fortschritte gemacht.

Die wichtigsten Reformen knüpfen sich an den Namen des älteren
Camillus. — Zunächst gab der Ungestüm der gallischen Angriffe Veranlassung,
diejenige Tiefe der Gefechtsaufstellung, welche bisher nur vorüber¬
gehend durch Eintreten der vorzugsweise zum zerstreuten Gefechte bestimmten
unteren Censnsklassen erzielt worden war, d. h. die achtgliedrige Stel¬
lung zur Norm zu erheben. Diese Heranziehung der niederen Censnsklassen
zum eigentlichen Hoplitendieust und die mit der vermehrten Tiefe der Phalanx
gesteigerte Schwierigkeit der Evolutionen hat dann eben darauf hingewirkt,
das alte Klafsensystem in seiner unmittelbaren Anwendung auf die Schlacht¬
ordnung zu verlassen und dagegen die Mannschaft einerseits gleichmäßiger zu
bewaffnen, andererseits sie, ihrer Geübtheit und Tüchtigkeit gemäß, in den
Gliedern und Rotten zu vertheilen.

Demnächst verbesserte man die Bewaffnung. Um den schlimmen Kopf¬
hieben der gallischen Schwerter begegnen zu können, wurde der bisherige, ver¬
muthlich lederne und nnr mit Erz beschlagene Helm (Min-g.) durch eine glatte
metallene Sturmhaube ersetzt (oaWis). Der bisher von der ersten Censusklasse
geführte argolische Rundschild (elnxoiis), der die Schultern nicht gehörig zu
decken vermochte, wurde jetzt von dem länglich-viereckigen seurrM verdrängt,
das bisher nnr den unteren Klassen als Schutzwaffe gedient hatte. Es wurde
bei dieser Gelegenheit durch eine breite rundumlaufende Metallplatte verbessert
und verstärkt. An ihr brach sich die Kraft der niederfahrenden keltischen Klinge.
Der Spieß blieb in Anwendung; doch übte Camillus seine Mannschaft darauf,
sich desselben auch zum Pariren zu bedienen.

Ganz eigenartig entwickelte sich, wahrscheinlich in Folge trauriger Er¬
fahrungen im gallischen Kriege, der römische Marsch- und Lagerdienst.
Wo das Heer, wenn auch nur für eine einzige Nacht, das Lager nahm, da
ward dies ohne Ausnahme mit einer regelmäßigen Umwallung versehen. Ein
solches System gestattete den Römern, die Vortheile entschlossener Offensive
mit der höheren Sicherheit der Defensive zu verbinden. Mochte ihre Strategie
noch so zufahrend sein; die einzelne Aktion war stets durch das befestigte
Lager wohl basirt und konnte, sobald es nothwendig erschien, vou dem cmgriffs-
weisen Verfahren zur vorbereiteten Vertheidigung übergehen. „Der Römer,"
so meint ein lateinisches Sprichwort, „siegt dnrch Stillsitzen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/133>, abgerufen am 22.07.2024.