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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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als die Reformation, denn auch im Mittelalter wurde der Zölibat, den asketischer
Trieb und hierarchischer Zwang zur Geltung gebracht hatten, doch hier und
da von den Klerikern umgangen, und die Kirche konnte der Macht des Natur¬
triebes nicht wehren. sträubte sich doch im 15. Jahrhundert das Schweizer-
Volk gegen unverheiratete Geistliche, vor denen es die eigne Familie nicht
geschützt glaubte, und übte doch der Bischof von Konstanz gegen eine Abgabe
von vier Gulden Nachsicht. Das geistliche Haus, in dem Heinrich Bullinger,
der Nachfolger Zwingli's geboren wurde, genoß in weiten Kreisen Ehre und
Ansehen. Aber allerdings das war eine Ausnahme, im Mittelalter führte, wie
Menß sagt, im Allgemeinen das Pfarrhaus eine verschämte Existenz, Jung¬
frauen von gutem Herkommen und ehrbaren Charakter traten nicht in dasselbe
ein, und Priesterkinder, wenn sie auch einer treuen und stetigen Verbindung
der Eltern ihr Leben verdankten, galten für unehelich. Es war erst die
Reformation, welche den Makel vom ehelichen Priesterthum nahm und das
ewige Naturrecht der Ehe auch für den Geistlichen beanspruchte. Luther war
nicht der erste, der thatsächlich den Bann brach, später als seine Genossen
trat er in die Ehe. Und der gewichtigste Grund, diesen Schritt zu thun, war
die erkannte Nothwendigkeit, durch seine Autorität, durch sein thatsächliches
Vorgehen die Vorurtheile gegen die Priesterehe zu entwaffnen. Und es gelang
ihm: das protestantische Volk begrüßte die Priesterehe mit aufrichtigem Beifall
und feierte die Verheirathung der evangelischen Geistlichen oft mit demonstrativer
Festlichkeit. So tiefe Wurzeln hatte binnen kurzem die Priesterehe gefaßt, daß
das Interim Karl's des Fünften sie nicht mehr anzutasten wagte. Und so
sehen wir denn auch Töchter angesehener Bürgerhäuser, auch adliger Familien
die Ehe mit protestantischen Pfarrern eingehen. Mancher hervorragenden und
durch Bildung ausgezeichneten Fran begegnen wir hier. Die Gattin des
Matthäus Zell in Straßburg, mächtig des Wortes in Schrift und Rede, stand
mit Luther im Briefwechsel und hielt am Grabe des Gatten eine Mahnredc
an ihre Mitbürger. Die Ehefrau des Urbanus Rhegius, eine Augsburgerin,
las das alte Testament im Grundtext. Daß diese Ehen der reformatorischen
Männer zum größten Theil uicht die Frucht persönlichster Liebesbeziehungen
waren, sondern mit einer gewissen Geschäftsmäßigkeit geschlossen wurden, lag
im Geist der Zeit. Doch war es nichts so ausnahmsloses, daß uicht nur Hein¬
rich Bullinger, sondern auch Luther's Ehe als Ergebnisse freiester Wahl


Vr. Eduard Menß, ort. Professor der Theologie an der Universität zu Breslau. Königl.
Konsistorialrath. Bielefeld und Leipzig. Velhagen und Klasing 1877. Das deutsche evan¬
gelische Pfarrhaus. Seine Gründung, seine Entfaltung und sein Bestand. Bon Wilhelm
Ba ur, or. der Theologie, Hof- und Domprediger zu Berlin. Bremen, Verlag von Müller.
1. Aufl., 1877. 2. Aufl., 1878.

als die Reformation, denn auch im Mittelalter wurde der Zölibat, den asketischer
Trieb und hierarchischer Zwang zur Geltung gebracht hatten, doch hier und
da von den Klerikern umgangen, und die Kirche konnte der Macht des Natur¬
triebes nicht wehren. sträubte sich doch im 15. Jahrhundert das Schweizer-
Volk gegen unverheiratete Geistliche, vor denen es die eigne Familie nicht
geschützt glaubte, und übte doch der Bischof von Konstanz gegen eine Abgabe
von vier Gulden Nachsicht. Das geistliche Haus, in dem Heinrich Bullinger,
der Nachfolger Zwingli's geboren wurde, genoß in weiten Kreisen Ehre und
Ansehen. Aber allerdings das war eine Ausnahme, im Mittelalter führte, wie
Menß sagt, im Allgemeinen das Pfarrhaus eine verschämte Existenz, Jung¬
frauen von gutem Herkommen und ehrbaren Charakter traten nicht in dasselbe
ein, und Priesterkinder, wenn sie auch einer treuen und stetigen Verbindung
der Eltern ihr Leben verdankten, galten für unehelich. Es war erst die
Reformation, welche den Makel vom ehelichen Priesterthum nahm und das
ewige Naturrecht der Ehe auch für den Geistlichen beanspruchte. Luther war
nicht der erste, der thatsächlich den Bann brach, später als seine Genossen
trat er in die Ehe. Und der gewichtigste Grund, diesen Schritt zu thun, war
die erkannte Nothwendigkeit, durch seine Autorität, durch sein thatsächliches
Vorgehen die Vorurtheile gegen die Priesterehe zu entwaffnen. Und es gelang
ihm: das protestantische Volk begrüßte die Priesterehe mit aufrichtigem Beifall
und feierte die Verheirathung der evangelischen Geistlichen oft mit demonstrativer
Festlichkeit. So tiefe Wurzeln hatte binnen kurzem die Priesterehe gefaßt, daß
das Interim Karl's des Fünften sie nicht mehr anzutasten wagte. Und so
sehen wir denn auch Töchter angesehener Bürgerhäuser, auch adliger Familien
die Ehe mit protestantischen Pfarrern eingehen. Mancher hervorragenden und
durch Bildung ausgezeichneten Fran begegnen wir hier. Die Gattin des
Matthäus Zell in Straßburg, mächtig des Wortes in Schrift und Rede, stand
mit Luther im Briefwechsel und hielt am Grabe des Gatten eine Mahnredc
an ihre Mitbürger. Die Ehefrau des Urbanus Rhegius, eine Augsburgerin,
las das alte Testament im Grundtext. Daß diese Ehen der reformatorischen
Männer zum größten Theil uicht die Frucht persönlichster Liebesbeziehungen
waren, sondern mit einer gewissen Geschäftsmäßigkeit geschlossen wurden, lag
im Geist der Zeit. Doch war es nichts so ausnahmsloses, daß uicht nur Hein¬
rich Bullinger, sondern auch Luther's Ehe als Ergebnisse freiester Wahl


Vr. Eduard Menß, ort. Professor der Theologie an der Universität zu Breslau. Königl.
Konsistorialrath. Bielefeld und Leipzig. Velhagen und Klasing 1877. Das deutsche evan¬
gelische Pfarrhaus. Seine Gründung, seine Entfaltung und sein Bestand. Bon Wilhelm
Ba ur, or. der Theologie, Hof- und Domprediger zu Berlin. Bremen, Verlag von Müller.
1. Aufl., 1877. 2. Aufl., 1878.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/11>, abgerufen am 22.07.2024.