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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Vorstellung von einer behaglichen Existenz, die sich früher mit dein Begriff
eines Pfarrerlebens zu verknüpfen Pflegte, gründlich aufgelöst ist und statt
dessen dasselbe im Bilde der Dürftigkeit und des Mangels erscheinen muß.

Indessen es wäre falsch, wenn wir in der materiellen Noth, die gegen¬
wärtig auf so manchem Pfarrhaus lastet, den vorzüglichsten Grund sür das
Schwinden seines Reizes suchen wollten. Auch früher ist es materiell im
Rückstände gegenüber andern Häusern gewesen und doch eine eifrig gesuchte
Stätte. Und es steht zu erwarten, daß in dieser Beziehung wesentliche Hilfe
geschafft werden wird. Die eben geschlossenen Provinzial-Synoden haben
zwei Proponenda zu berathen gehabt, welche sich auf die Besserung der Ge¬
haltverhältnisse der Geistlichen bezogen; das eine, ein Emeritirungsgesetz, das
die Lasten der Geistlichen mindert, das andere ein Entwurf, betreffend die
Aufhebung der Stolgebühren. Gelingt es der bevorstehenden General-Synode,
diese Angelegenheiten befriedigend zu reguliren, so ist ein erfreulicher Schritt
gethan, den materiellen Nothstand des Pfarrhauses zu heben.

Die tiefste Ursache der in Rede stehenden Erscheinung liegt an einem
andern Ort, an dem Sinken des Idealismus in unserm Volke, an der Ver¬
weltlichung der Gesinnung, an der Skepsis, die das Heiligthum der Religion
untergräbt, an der Frivolität, mit der so viele Gebildete und so viele weit ver¬
breitete literarische Publikationen die unantastbaren Güter des sittlichen Lebens
in Frage stellen. Je weiter sich diese Stimmung verbreitet, je mehr diese
Richtung Platz greift, desto mehr Gefahr droht dem evangelischen Pfarrhause,
aber auch unserm Volke, das mit diesem eng und innig verbunden ist. Denn
die Geschicke des einen spiegeln sich in der Entwicklung des andern.

Es muß als eine zeitgemäße Aufgabe bezeichnet werden, auf diesen Zu¬
sammenhang hinzuweisen und dadurch den Werth des evangelischen Pfarr¬
hauses für unser deutsches Volk zu erhärten. Und wir freuen uns, auf zwei
im verflossenen Jahre veröffentlichte Schriften aufmerksam machen zu können,
welche diesen Gegenstand in ausgezeichneter Weise bearbeitet haben. In den
folgenden Mittheilungen und Darlegungen werden wir uns an dieselben an¬
schließen. Der Verfasser der eine" ist Meuß, der in knappster Darstellung
ein auf umfassenden Studien ruhendes farbenreiches Bild des Lebens und der
Frucht des evangelischen Pfarrhauses gezeichnet hat. In seine Fußtapfen ist
Baur getreten und hat auf breiter Basis eine Fülle der anziehendsten Ge¬
staltungen des Pfarrerlebens in warmen Tönen uns vor Augen geführt. Mit
dem kräftigen Brustton eines begeisterungsvvllen Lobgesanges preist er die
Herrlichkeit des evangelischen Pfarrhauses.*) Das geistliche Pfarrhaus ist älter



*) Leben und Frucht des evangelischen Pfarrhauses vornehmlich in Deutschland von

Vorstellung von einer behaglichen Existenz, die sich früher mit dein Begriff
eines Pfarrerlebens zu verknüpfen Pflegte, gründlich aufgelöst ist und statt
dessen dasselbe im Bilde der Dürftigkeit und des Mangels erscheinen muß.

Indessen es wäre falsch, wenn wir in der materiellen Noth, die gegen¬
wärtig auf so manchem Pfarrhaus lastet, den vorzüglichsten Grund sür das
Schwinden seines Reizes suchen wollten. Auch früher ist es materiell im
Rückstände gegenüber andern Häusern gewesen und doch eine eifrig gesuchte
Stätte. Und es steht zu erwarten, daß in dieser Beziehung wesentliche Hilfe
geschafft werden wird. Die eben geschlossenen Provinzial-Synoden haben
zwei Proponenda zu berathen gehabt, welche sich auf die Besserung der Ge¬
haltverhältnisse der Geistlichen bezogen; das eine, ein Emeritirungsgesetz, das
die Lasten der Geistlichen mindert, das andere ein Entwurf, betreffend die
Aufhebung der Stolgebühren. Gelingt es der bevorstehenden General-Synode,
diese Angelegenheiten befriedigend zu reguliren, so ist ein erfreulicher Schritt
gethan, den materiellen Nothstand des Pfarrhauses zu heben.

Die tiefste Ursache der in Rede stehenden Erscheinung liegt an einem
andern Ort, an dem Sinken des Idealismus in unserm Volke, an der Ver¬
weltlichung der Gesinnung, an der Skepsis, die das Heiligthum der Religion
untergräbt, an der Frivolität, mit der so viele Gebildete und so viele weit ver¬
breitete literarische Publikationen die unantastbaren Güter des sittlichen Lebens
in Frage stellen. Je weiter sich diese Stimmung verbreitet, je mehr diese
Richtung Platz greift, desto mehr Gefahr droht dem evangelischen Pfarrhause,
aber auch unserm Volke, das mit diesem eng und innig verbunden ist. Denn
die Geschicke des einen spiegeln sich in der Entwicklung des andern.

Es muß als eine zeitgemäße Aufgabe bezeichnet werden, auf diesen Zu¬
sammenhang hinzuweisen und dadurch den Werth des evangelischen Pfarr¬
hauses für unser deutsches Volk zu erhärten. Und wir freuen uns, auf zwei
im verflossenen Jahre veröffentlichte Schriften aufmerksam machen zu können,
welche diesen Gegenstand in ausgezeichneter Weise bearbeitet haben. In den
folgenden Mittheilungen und Darlegungen werden wir uns an dieselben an¬
schließen. Der Verfasser der eine» ist Meuß, der in knappster Darstellung
ein auf umfassenden Studien ruhendes farbenreiches Bild des Lebens und der
Frucht des evangelischen Pfarrhauses gezeichnet hat. In seine Fußtapfen ist
Baur getreten und hat auf breiter Basis eine Fülle der anziehendsten Ge¬
staltungen des Pfarrerlebens in warmen Tönen uns vor Augen geführt. Mit
dem kräftigen Brustton eines begeisterungsvvllen Lobgesanges preist er die
Herrlichkeit des evangelischen Pfarrhauses.*) Das geistliche Pfarrhaus ist älter



*) Leben und Frucht des evangelischen Pfarrhauses vornehmlich in Deutschland von
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/10>, abgerufen am 22.07.2024.