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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Literatur.

Im Dienst der freiwillige" Krankenpflege. SelbstcrlcvtcS, Hermann v. Witz leben.
Berlin, E. S. Mittler u. Sohn, 1877.

Wenn wir die Aufmerksamkeit unserer Leser auf dieses Buch lenken, so
geschieht dies in der Ueberzeugung, daß hier weitaus die beste Leistung auf
diesem Gebiete vorliegt.

Dem Verfasser war bei seiner Ankunft in Mannheim der Auftrag ge¬
worden, in Weißenburg Lazarethe einzurichten. Die Schwierigkeiten solchen
Auftrages sind nur zu ermessen, wenn man sich klar macht, das dem Bevoll¬
mächtigten, der fremd, von Berlin nach achtzehnstündiger erschöpfender Bahn¬
fahrt angekommen war, so gut wie jede Personal- und Lokalkeuutniß abging.
Die leitenden Persönlichkeiten waren mit Arbeit aller Art überbürdet; Be¬
hörden, wie Etappen, Lazarethinspektionen :e>, entweder gar nicht vorhanden, oder
im Augenblick erst aus Personen gebildet, die zum ersten Male im Leben ein¬
ander sahen. Sehr richtig sagt hier die Schrift: "Hier lernte ich die Herren
Delegirten schou genauer kennen. Rücksichtslos unterzogen sich viele der
schwersten Arbeit und oft mußte ich sie ernstlich auffordern, zu ruhen, und
sich schlafen zu legen, damit ihre Kräfte für spätere Zeiten erhalten blieben.
Besonders mußte ich den Obristlieutenaut von Grolmann bitten, seiue Kräfte
zu schonen, und wenigstens des Nachts sich Ruhe zu gönnen. Sein großer
Eifer duldete es nicht. Nach wenigen Wochen erlag er dem Nervenfieber und
starb in seiner Thätigkeit. Auch er war für das Vaterland gefallen.*) -- Leider
erkannte man hier auch bald Kräfte, die nicht zu solchem Dienst sich eigneten.
So fanden sich einige barmherzige Schwestern ein, welche aber, von ihren
Oberinnen abgekommen, wenig nützten und uns bald wieder verließen, da sie
das ihnen aufgetragene sehr nöthige Kochen für die Verwundeten nicht für
ihren Beruf hielten. Später kam ich mit denselben Schwestern wieder in
Nancy zusammen, wo sie, unter einer tüchtigen Oberin stehend, sehr brauchbar
waren." -- "Billroth, der gerade im ärgsten Trubel seine Dienste mir anbot,
hatte ich, da ich seinen Namen überhört und soeben den französischen Aerzten
(Gefangene von der Schlacht von Weißenburg) die Lazarethe übergeben hatte
zu einer Assistenzstelle unter jenen Aerzten bestimmt. Ohne Widerrede



*) Wenn man den Prozentsatz zieht aus der Todtenliste des Johanniterordens, so ist
man erstaunt über die hohe Zahl derjenigen, welche ihr edles Streben mit dem Leben be¬
zahlt haben, meist in Folge von Erschvpfnngs- und Ueberreizuugskmukhciten. Erklärlich
genug, wenn man bedenkt, daß der größte Theil dieser Herren in reiferen! Alter stand, und
hänfig eine lange Dienstzeit im Staatsdienst absolvirt hatte.
Literatur.

Im Dienst der freiwillige» Krankenpflege. SelbstcrlcvtcS, Hermann v. Witz leben.
Berlin, E. S. Mittler u. Sohn, 1877.

Wenn wir die Aufmerksamkeit unserer Leser auf dieses Buch lenken, so
geschieht dies in der Ueberzeugung, daß hier weitaus die beste Leistung auf
diesem Gebiete vorliegt.

Dem Verfasser war bei seiner Ankunft in Mannheim der Auftrag ge¬
worden, in Weißenburg Lazarethe einzurichten. Die Schwierigkeiten solchen
Auftrages sind nur zu ermessen, wenn man sich klar macht, das dem Bevoll¬
mächtigten, der fremd, von Berlin nach achtzehnstündiger erschöpfender Bahn¬
fahrt angekommen war, so gut wie jede Personal- und Lokalkeuutniß abging.
Die leitenden Persönlichkeiten waren mit Arbeit aller Art überbürdet; Be¬
hörden, wie Etappen, Lazarethinspektionen :e>, entweder gar nicht vorhanden, oder
im Augenblick erst aus Personen gebildet, die zum ersten Male im Leben ein¬
ander sahen. Sehr richtig sagt hier die Schrift: „Hier lernte ich die Herren
Delegirten schou genauer kennen. Rücksichtslos unterzogen sich viele der
schwersten Arbeit und oft mußte ich sie ernstlich auffordern, zu ruhen, und
sich schlafen zu legen, damit ihre Kräfte für spätere Zeiten erhalten blieben.
Besonders mußte ich den Obristlieutenaut von Grolmann bitten, seiue Kräfte
zu schonen, und wenigstens des Nachts sich Ruhe zu gönnen. Sein großer
Eifer duldete es nicht. Nach wenigen Wochen erlag er dem Nervenfieber und
starb in seiner Thätigkeit. Auch er war für das Vaterland gefallen.*) — Leider
erkannte man hier auch bald Kräfte, die nicht zu solchem Dienst sich eigneten.
So fanden sich einige barmherzige Schwestern ein, welche aber, von ihren
Oberinnen abgekommen, wenig nützten und uns bald wieder verließen, da sie
das ihnen aufgetragene sehr nöthige Kochen für die Verwundeten nicht für
ihren Beruf hielten. Später kam ich mit denselben Schwestern wieder in
Nancy zusammen, wo sie, unter einer tüchtigen Oberin stehend, sehr brauchbar
waren." — „Billroth, der gerade im ärgsten Trubel seine Dienste mir anbot,
hatte ich, da ich seinen Namen überhört und soeben den französischen Aerzten
(Gefangene von der Schlacht von Weißenburg) die Lazarethe übergeben hatte
zu einer Assistenzstelle unter jenen Aerzten bestimmt. Ohne Widerrede



*) Wenn man den Prozentsatz zieht aus der Todtenliste des Johanniterordens, so ist
man erstaunt über die hohe Zahl derjenigen, welche ihr edles Streben mit dem Leben be¬
zahlt haben, meist in Folge von Erschvpfnngs- und Ueberreizuugskmukhciten. Erklärlich
genug, wenn man bedenkt, daß der größte Theil dieser Herren in reiferen! Alter stand, und
hänfig eine lange Dienstzeit im Staatsdienst absolvirt hatte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/80>, abgerufen am 09.11.2024.