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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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"O Herr, der Du die Finsternis erhellst,
Der Du hell machst das Antlitz der Betrübnis
Gnädiger Gott, der Du ausrichtest, was gefallen,
Aufhilfst den Elenden,
Nach Deinem Lichte schauen die großen Götter,
Die Geister der Erde, alle beugen sich vor Dir
Ihre Häupter insgesammt, sie beugen sich vor dem Mittagssonnenlicht,
Freundlich und freudig, wie ein Weib, dienest Du,
Ja, Du bist ihre Leuchte i" der fernen Himmelswölbnng,
Du bist ihr Banner weit über die Erde hin,
Männer weit und breit, bor Dir beugen und freuen sie sich/'

Und neben diesem Stücke schwungvoller Naturpoesie finde noch eine Stelle
ein Bußpsalm aus dem eben erschienenen 9. Bande der "ü^seorÄL tds ?äst".
Er ist von Revd. Sayce in Oxford übersetzt, dem ich die Verantwortlichkeit
für die englische Fassung überlassen muß, da meine Mittheilungen den An¬
spruch auf originale Forschungen überhaupt nicht erheben dürfen. Die wichtig¬
sten Verse lauten so:


"O mein Gott, meine Übertretung ist groß, viel meine Sünden,
O mein Gott, Du weißt, was ich nicht weiß,
O meine Göttin, Du weißt, was ich nicht weiß,
Meine Uebertretung ist groß, viel meine Sünden.
Die Übertretung, die ich beging, ich kannte sie nicht,
Die Sünde, die ich sündigte, ich kannte sie nicht.
Was mir verboten, aß ich,
Was mir verboten, darauf trat ich.
Mein Herr im Zorne seines Herzens hat mich gezüchtigt,
Gott in der Macht seines Zorns hat mich übcrmocht.
Die Göttin hat mir Leid auferlegt und in Schmerz mich gestürzt;
Ich lag am Boden, und niemand faßte mich an der Hand,
Ich weinte am Boden, und niemand nahm meine Hände,
Ich rief laut, da war niemand, der mich hörte.
Ich bin in Finsternis und Elend, ich erhob mich nicht,
Zu meinem Gotte brachte ich meine Noth, richtete ich mein Gebet,
Den Fuß meiner Göttin umfaßte ich. --
O mein Gott, sieben mal sieben sind meine Uebertretungen,
Meine Übertretungen sind vor mir,*) --

Auf die nahen Anklänge an die semitische Poesie brauche ich an dieser
Stelle des Näheren nicht hinzuweisen; auch die Proben lyrischer Poesie, die
wir Schrader verdanken, sind der alttestamentlichen Lyrik verwandt nach Inhalt
und Form, und die von demselben Gelehrten gedruckte "Höllenfahrt der Istar"
beweist nun auch, was bei dem Mangel an Material bisher nicht bewiesen
werden konnte, daß die semitische Poesie des Epos fähig ist, wenn anders



*) ". Lanii, niht, ot' Ls,dzll,z I>!^'. 26--27.
„O Herr, der Du die Finsternis erhellst,
Der Du hell machst das Antlitz der Betrübnis
Gnädiger Gott, der Du ausrichtest, was gefallen,
Aufhilfst den Elenden,
Nach Deinem Lichte schauen die großen Götter,
Die Geister der Erde, alle beugen sich vor Dir
Ihre Häupter insgesammt, sie beugen sich vor dem Mittagssonnenlicht,
Freundlich und freudig, wie ein Weib, dienest Du,
Ja, Du bist ihre Leuchte i« der fernen Himmelswölbnng,
Du bist ihr Banner weit über die Erde hin,
Männer weit und breit, bor Dir beugen und freuen sie sich/'

Und neben diesem Stücke schwungvoller Naturpoesie finde noch eine Stelle
ein Bußpsalm aus dem eben erschienenen 9. Bande der „ü^seorÄL tds ?äst".
Er ist von Revd. Sayce in Oxford übersetzt, dem ich die Verantwortlichkeit
für die englische Fassung überlassen muß, da meine Mittheilungen den An¬
spruch auf originale Forschungen überhaupt nicht erheben dürfen. Die wichtig¬
sten Verse lauten so:


„O mein Gott, meine Übertretung ist groß, viel meine Sünden,
O mein Gott, Du weißt, was ich nicht weiß,
O meine Göttin, Du weißt, was ich nicht weiß,
Meine Uebertretung ist groß, viel meine Sünden.
Die Übertretung, die ich beging, ich kannte sie nicht,
Die Sünde, die ich sündigte, ich kannte sie nicht.
Was mir verboten, aß ich,
Was mir verboten, darauf trat ich.
Mein Herr im Zorne seines Herzens hat mich gezüchtigt,
Gott in der Macht seines Zorns hat mich übcrmocht.
Die Göttin hat mir Leid auferlegt und in Schmerz mich gestürzt;
Ich lag am Boden, und niemand faßte mich an der Hand,
Ich weinte am Boden, und niemand nahm meine Hände,
Ich rief laut, da war niemand, der mich hörte.
Ich bin in Finsternis und Elend, ich erhob mich nicht,
Zu meinem Gotte brachte ich meine Noth, richtete ich mein Gebet,
Den Fuß meiner Göttin umfaßte ich. —
O mein Gott, sieben mal sieben sind meine Uebertretungen,
Meine Übertretungen sind vor mir,*) —

Auf die nahen Anklänge an die semitische Poesie brauche ich an dieser
Stelle des Näheren nicht hinzuweisen; auch die Proben lyrischer Poesie, die
wir Schrader verdanken, sind der alttestamentlichen Lyrik verwandt nach Inhalt
und Form, und die von demselben Gelehrten gedruckte „Höllenfahrt der Istar"
beweist nun auch, was bei dem Mangel an Material bisher nicht bewiesen
werden konnte, daß die semitische Poesie des Epos fähig ist, wenn anders



*) «. Lanii, niht, ot' Ls,dzll,z I>!^'. 26—27.
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[0059] „O Herr, der Du die Finsternis erhellst, Der Du hell machst das Antlitz der Betrübnis Gnädiger Gott, der Du ausrichtest, was gefallen, Aufhilfst den Elenden, Nach Deinem Lichte schauen die großen Götter, Die Geister der Erde, alle beugen sich vor Dir Ihre Häupter insgesammt, sie beugen sich vor dem Mittagssonnenlicht, Freundlich und freudig, wie ein Weib, dienest Du, Ja, Du bist ihre Leuchte i« der fernen Himmelswölbnng, Du bist ihr Banner weit über die Erde hin, Männer weit und breit, bor Dir beugen und freuen sie sich/' Und neben diesem Stücke schwungvoller Naturpoesie finde noch eine Stelle ein Bußpsalm aus dem eben erschienenen 9. Bande der „ü^seorÄL tds ?äst". Er ist von Revd. Sayce in Oxford übersetzt, dem ich die Verantwortlichkeit für die englische Fassung überlassen muß, da meine Mittheilungen den An¬ spruch auf originale Forschungen überhaupt nicht erheben dürfen. Die wichtig¬ sten Verse lauten so: „O mein Gott, meine Übertretung ist groß, viel meine Sünden, O mein Gott, Du weißt, was ich nicht weiß, O meine Göttin, Du weißt, was ich nicht weiß, Meine Uebertretung ist groß, viel meine Sünden. Die Übertretung, die ich beging, ich kannte sie nicht, Die Sünde, die ich sündigte, ich kannte sie nicht. Was mir verboten, aß ich, Was mir verboten, darauf trat ich. Mein Herr im Zorne seines Herzens hat mich gezüchtigt, Gott in der Macht seines Zorns hat mich übcrmocht. Die Göttin hat mir Leid auferlegt und in Schmerz mich gestürzt; Ich lag am Boden, und niemand faßte mich an der Hand, Ich weinte am Boden, und niemand nahm meine Hände, Ich rief laut, da war niemand, der mich hörte. Ich bin in Finsternis und Elend, ich erhob mich nicht, Zu meinem Gotte brachte ich meine Noth, richtete ich mein Gebet, Den Fuß meiner Göttin umfaßte ich. — O mein Gott, sieben mal sieben sind meine Uebertretungen, Meine Übertretungen sind vor mir,*) — Auf die nahen Anklänge an die semitische Poesie brauche ich an dieser Stelle des Näheren nicht hinzuweisen; auch die Proben lyrischer Poesie, die wir Schrader verdanken, sind der alttestamentlichen Lyrik verwandt nach Inhalt und Form, und die von demselben Gelehrten gedruckte „Höllenfahrt der Istar" beweist nun auch, was bei dem Mangel an Material bisher nicht bewiesen werden konnte, daß die semitische Poesie des Epos fähig ist, wenn anders *) «. Lanii, niht, ot' Ls,dzll,z I>!^'. 26—27.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/59>, abgerufen am 28.07.2024.