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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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gestellte lebende Bilder und Theaterseenen. Als die Sansculottes ihrer Tracht
überdrüssig wurden, als die Jncrohables des Direktoriums ihre Rolle ausge¬
spielt hatten, kleideten sich die würdigen Republikaner und Republikanerinnen
A 1s. roraaws, insbesondere die letzteren. Aber sie wählten nicht die matronale
Tracht eine Octavia zu ihrem Vorbilde, sondern das Lotterkostüm einer Messalina.

Auch die Republikaner neuesten Stils haben wenig Glück mit ihrer Copie
der römischen Strenge und Würde. Wahrend in der Malerei die weichliche
Ueppigkeit des zweiten Kaiserreichs immer noch bei weitem mehr Anhänger
findet, als die republikanischer Tugend, hat der ueufranzösische Baustil, wie
er sich in dem Trocaderopalaste äußert, die Gefälligkeit und die Grazie einge¬
büßt, welche die moderne Architektur Frankreichs namentlich in decorativer
Hinsicht auszeichnete.

Der Bau auf dem Trocadero trägt freilich den Charakter einer ernsten
Größe; aber es ist jene unheimliche, feierliche Größe, jene unnahbare Steif¬
heit, wie sie den assyrischen Königshäusern und den Palästen der Pharaonen
eigen war. Auf jeden plastischen Schmuck ist verzichtet worden. Nur durch
die strenge Form und durch die Entfaltung kolossaler Massen wollte man
wirken. Und man hat diese Wirkung nur zum geringen Theil erreicht, und
das, was man erreicht hat, ist auf Kosten der echten, heiteren, befreienden Schön¬
heit erreicht worden, von der kein Strahl auf den Riesenbau des Troeadero
gefallen ist.

Wie anders wirkte dagegen der üppige, reich mit Statuen und Reliefs
geschmückte Renaissancebau in Wien mit seinen Hallen, Galerieen, Triumph¬
bögen und Kuppeln! Wie mächtig wirkte die kolossale Rotunde mit ihrer
Kaiserkrone!

Aus der Rundung des Mittelbaues tritt ein Balkon heraus, der das
Wasserreservoir für die Cascaden überwölbt. Auf der Ballustrade dieses Bal¬
kons stehen sechs Statuen aus vergoldetem Erz, die Personificationen der Welt¬
theile, deren Zahl sich nach französischer Rechnung auf sechs beläuft. Unter¬
halb dieses Balkons stehen, zu beiden Seiten der Caskade, in Nischen zwei
andere weibliche Statuen, welche das Wasser und die Luft versinnbildlichen.

Aus die Cascade des Troeadero thun die Franzosen sich nicht wenig zu
Gute. Man darf jedoch an diesen mit vieler Mühe inscenirten Wasserfall keine
deutschen Begriffe anlegen. Gilt doch schon den Franzosen die armselige Cas¬
cade im Bois de Boulogne für ein Wunderwerk, um wie viel mehr der Wasser-
sturz des Troeadero, der acht Bassins von mittlerem Umfange durchläuft, um
sich in einem neunten Endbassin zu sammeln, das einen Durchmesser von 60
Metern hat. Angeblich sollen täglich 27,000 Cubikmeter Wasser in dieses Bassin
hinabstürzen. Aber weder die Wirkung des Cascade noch die ihrer winzigen


gestellte lebende Bilder und Theaterseenen. Als die Sansculottes ihrer Tracht
überdrüssig wurden, als die Jncrohables des Direktoriums ihre Rolle ausge¬
spielt hatten, kleideten sich die würdigen Republikaner und Republikanerinnen
A 1s. roraaws, insbesondere die letzteren. Aber sie wählten nicht die matronale
Tracht eine Octavia zu ihrem Vorbilde, sondern das Lotterkostüm einer Messalina.

Auch die Republikaner neuesten Stils haben wenig Glück mit ihrer Copie
der römischen Strenge und Würde. Wahrend in der Malerei die weichliche
Ueppigkeit des zweiten Kaiserreichs immer noch bei weitem mehr Anhänger
findet, als die republikanischer Tugend, hat der ueufranzösische Baustil, wie
er sich in dem Trocaderopalaste äußert, die Gefälligkeit und die Grazie einge¬
büßt, welche die moderne Architektur Frankreichs namentlich in decorativer
Hinsicht auszeichnete.

Der Bau auf dem Trocadero trägt freilich den Charakter einer ernsten
Größe; aber es ist jene unheimliche, feierliche Größe, jene unnahbare Steif¬
heit, wie sie den assyrischen Königshäusern und den Palästen der Pharaonen
eigen war. Auf jeden plastischen Schmuck ist verzichtet worden. Nur durch
die strenge Form und durch die Entfaltung kolossaler Massen wollte man
wirken. Und man hat diese Wirkung nur zum geringen Theil erreicht, und
das, was man erreicht hat, ist auf Kosten der echten, heiteren, befreienden Schön¬
heit erreicht worden, von der kein Strahl auf den Riesenbau des Troeadero
gefallen ist.

Wie anders wirkte dagegen der üppige, reich mit Statuen und Reliefs
geschmückte Renaissancebau in Wien mit seinen Hallen, Galerieen, Triumph¬
bögen und Kuppeln! Wie mächtig wirkte die kolossale Rotunde mit ihrer
Kaiserkrone!

Aus der Rundung des Mittelbaues tritt ein Balkon heraus, der das
Wasserreservoir für die Cascaden überwölbt. Auf der Ballustrade dieses Bal¬
kons stehen sechs Statuen aus vergoldetem Erz, die Personificationen der Welt¬
theile, deren Zahl sich nach französischer Rechnung auf sechs beläuft. Unter¬
halb dieses Balkons stehen, zu beiden Seiten der Caskade, in Nischen zwei
andere weibliche Statuen, welche das Wasser und die Luft versinnbildlichen.

Aus die Cascade des Troeadero thun die Franzosen sich nicht wenig zu
Gute. Man darf jedoch an diesen mit vieler Mühe inscenirten Wasserfall keine
deutschen Begriffe anlegen. Gilt doch schon den Franzosen die armselige Cas¬
cade im Bois de Boulogne für ein Wunderwerk, um wie viel mehr der Wasser-
sturz des Troeadero, der acht Bassins von mittlerem Umfange durchläuft, um
sich in einem neunten Endbassin zu sammeln, das einen Durchmesser von 60
Metern hat. Angeblich sollen täglich 27,000 Cubikmeter Wasser in dieses Bassin
hinabstürzen. Aber weder die Wirkung des Cascade noch die ihrer winzigen


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[0513] gestellte lebende Bilder und Theaterseenen. Als die Sansculottes ihrer Tracht überdrüssig wurden, als die Jncrohables des Direktoriums ihre Rolle ausge¬ spielt hatten, kleideten sich die würdigen Republikaner und Republikanerinnen A 1s. roraaws, insbesondere die letzteren. Aber sie wählten nicht die matronale Tracht eine Octavia zu ihrem Vorbilde, sondern das Lotterkostüm einer Messalina. Auch die Republikaner neuesten Stils haben wenig Glück mit ihrer Copie der römischen Strenge und Würde. Wahrend in der Malerei die weichliche Ueppigkeit des zweiten Kaiserreichs immer noch bei weitem mehr Anhänger findet, als die republikanischer Tugend, hat der ueufranzösische Baustil, wie er sich in dem Trocaderopalaste äußert, die Gefälligkeit und die Grazie einge¬ büßt, welche die moderne Architektur Frankreichs namentlich in decorativer Hinsicht auszeichnete. Der Bau auf dem Trocadero trägt freilich den Charakter einer ernsten Größe; aber es ist jene unheimliche, feierliche Größe, jene unnahbare Steif¬ heit, wie sie den assyrischen Königshäusern und den Palästen der Pharaonen eigen war. Auf jeden plastischen Schmuck ist verzichtet worden. Nur durch die strenge Form und durch die Entfaltung kolossaler Massen wollte man wirken. Und man hat diese Wirkung nur zum geringen Theil erreicht, und das, was man erreicht hat, ist auf Kosten der echten, heiteren, befreienden Schön¬ heit erreicht worden, von der kein Strahl auf den Riesenbau des Troeadero gefallen ist. Wie anders wirkte dagegen der üppige, reich mit Statuen und Reliefs geschmückte Renaissancebau in Wien mit seinen Hallen, Galerieen, Triumph¬ bögen und Kuppeln! Wie mächtig wirkte die kolossale Rotunde mit ihrer Kaiserkrone! Aus der Rundung des Mittelbaues tritt ein Balkon heraus, der das Wasserreservoir für die Cascaden überwölbt. Auf der Ballustrade dieses Bal¬ kons stehen sechs Statuen aus vergoldetem Erz, die Personificationen der Welt¬ theile, deren Zahl sich nach französischer Rechnung auf sechs beläuft. Unter¬ halb dieses Balkons stehen, zu beiden Seiten der Caskade, in Nischen zwei andere weibliche Statuen, welche das Wasser und die Luft versinnbildlichen. Aus die Cascade des Troeadero thun die Franzosen sich nicht wenig zu Gute. Man darf jedoch an diesen mit vieler Mühe inscenirten Wasserfall keine deutschen Begriffe anlegen. Gilt doch schon den Franzosen die armselige Cas¬ cade im Bois de Boulogne für ein Wunderwerk, um wie viel mehr der Wasser- sturz des Troeadero, der acht Bassins von mittlerem Umfange durchläuft, um sich in einem neunten Endbassin zu sammeln, das einen Durchmesser von 60 Metern hat. Angeblich sollen täglich 27,000 Cubikmeter Wasser in dieses Bassin hinabstürzen. Aber weder die Wirkung des Cascade noch die ihrer winzigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/513>, abgerufen am 01.09.2024.