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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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glückseliger Gedanke, diese Kenntnisse, anstatt, wie es jede verständige Inter¬
pretation thut, sie bei der Vorbesprechung des Stoffes mit zu übermitteln,
lieber in Anmerkungen zu verzeddeln, einen Theil davon zu irgend einem
Worte in der ersten Strophe, einen andern, gar nicht davon zu trennenden
Theil zur dritten oder vierten Strophe als Note zu geben!

Aerger aber noch als mit diesem sachlichen Notizenkram treibt es der
Herausgeber mit seinen sprachlichen Erklärungen. Herr Armknecht hat offen¬
bar eine ganz närrische Freude an seinen etymologischen Kenntnissen. Er weiß
z. B., daß "keck" so viel bedeutet, wie lebendig, munter, und daß es dasselbe
Wort ist, wie die erste Hälfte von "Quecksilber", er kennt die Ableitung von
Nachtigall, Ambos, Herberge, Wildpret, Gespenst, Leichnam, Bahre, König, Held
und vielen anderen schönen Worten, und da er nnn für's Leben gern möchte,
daß auch andere Menschenkinder diese Wissenschaft besäßen, so werden denn nun
überall, wo sich irgend die Gelegenheit bietet, derartige Worterklärungen "an¬
gebracht". Während aber jene sachlichen Notizen wirklich, wenn sie am richtigen
Orte und im gehörigen Zusammenhange gegeben werden, zum Verständniß der
Dichtung beitragen, was in aller Welt sollen diese Worterklärungen? Weiß
unsere Jugend nicht, was ein König, eine Herberge, eine Nachtigall ist? Ist
es nicht eine Thorheit, ihr den Genuß der Werke unserer Dichter dadurch zu
verleiden, daß man sie auf Schritt und Tritt mit dieser lexikalischen Weisheit
behelligt?

Und dazu nun dieses Gerede über Strophenbau und Metrik, welches
jedem einzelnen Gedichte vorausgeht! Muß man sich wirklich erst vorzählen
lassen, aus wieviel Strophen ein Gedicht besteht, aus wieviel Zeilen die Strophe
sich zusammensetzt, wo die Reime liegen, und wo die Hebungen und Senkungen,
ehe man das Gedicht lesen kann? Klare nicht ein Blick auf das Blatt und
ein Ueberfliegen der ersten Strophe schneller und deutlicher über diese Dinge
auf, als der Wortschwall, den der Herausgeber vor jedem Gedichte aufs neue
darüber von sich giebt?

Doch eine Probe wird besser, als alle Kritik, die Verkehrtheit der Methode,
die der Herausgeber dieser "Eklogen" zur Anwendung bringt, beweisen. Ich
wähle die erste, beste Schiller'sche Ballade, den "Ring des Polykrates".

Die Ueberschrift lautet bei ihm: "Friedrich von Schiller, geboren 10.
November 1759 in Marbach, gestorben 9. Mai 1805 in Weimar. 42. Der
Ring des Polykrates." Das "von" läßt der Herausgeber bei Schiller und
Goethe nie weg, scheint also nie gelesen zu haben, was beide selbst über ihre
Erhebung in den Adelsstand urtheilten. Was hat das deutsche Volk mit
Friedrich "von" Schiller zu thun? Ist ihm denn Schiller nicht genug?
Geburth- und Todestag werden angeführt, so oft der Name des Dichters


glückseliger Gedanke, diese Kenntnisse, anstatt, wie es jede verständige Inter¬
pretation thut, sie bei der Vorbesprechung des Stoffes mit zu übermitteln,
lieber in Anmerkungen zu verzeddeln, einen Theil davon zu irgend einem
Worte in der ersten Strophe, einen andern, gar nicht davon zu trennenden
Theil zur dritten oder vierten Strophe als Note zu geben!

Aerger aber noch als mit diesem sachlichen Notizenkram treibt es der
Herausgeber mit seinen sprachlichen Erklärungen. Herr Armknecht hat offen¬
bar eine ganz närrische Freude an seinen etymologischen Kenntnissen. Er weiß
z. B., daß „keck" so viel bedeutet, wie lebendig, munter, und daß es dasselbe
Wort ist, wie die erste Hälfte von „Quecksilber", er kennt die Ableitung von
Nachtigall, Ambos, Herberge, Wildpret, Gespenst, Leichnam, Bahre, König, Held
und vielen anderen schönen Worten, und da er nnn für's Leben gern möchte,
daß auch andere Menschenkinder diese Wissenschaft besäßen, so werden denn nun
überall, wo sich irgend die Gelegenheit bietet, derartige Worterklärungen „an¬
gebracht". Während aber jene sachlichen Notizen wirklich, wenn sie am richtigen
Orte und im gehörigen Zusammenhange gegeben werden, zum Verständniß der
Dichtung beitragen, was in aller Welt sollen diese Worterklärungen? Weiß
unsere Jugend nicht, was ein König, eine Herberge, eine Nachtigall ist? Ist
es nicht eine Thorheit, ihr den Genuß der Werke unserer Dichter dadurch zu
verleiden, daß man sie auf Schritt und Tritt mit dieser lexikalischen Weisheit
behelligt?

Und dazu nun dieses Gerede über Strophenbau und Metrik, welches
jedem einzelnen Gedichte vorausgeht! Muß man sich wirklich erst vorzählen
lassen, aus wieviel Strophen ein Gedicht besteht, aus wieviel Zeilen die Strophe
sich zusammensetzt, wo die Reime liegen, und wo die Hebungen und Senkungen,
ehe man das Gedicht lesen kann? Klare nicht ein Blick auf das Blatt und
ein Ueberfliegen der ersten Strophe schneller und deutlicher über diese Dinge
auf, als der Wortschwall, den der Herausgeber vor jedem Gedichte aufs neue
darüber von sich giebt?

Doch eine Probe wird besser, als alle Kritik, die Verkehrtheit der Methode,
die der Herausgeber dieser „Eklogen" zur Anwendung bringt, beweisen. Ich
wähle die erste, beste Schiller'sche Ballade, den „Ring des Polykrates".

Die Ueberschrift lautet bei ihm: „Friedrich von Schiller, geboren 10.
November 1759 in Marbach, gestorben 9. Mai 1805 in Weimar. 42. Der
Ring des Polykrates." Das „von" läßt der Herausgeber bei Schiller und
Goethe nie weg, scheint also nie gelesen zu haben, was beide selbst über ihre
Erhebung in den Adelsstand urtheilten. Was hat das deutsche Volk mit
Friedrich „von" Schiller zu thun? Ist ihm denn Schiller nicht genug?
Geburth- und Todestag werden angeführt, so oft der Name des Dichters


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[0502] glückseliger Gedanke, diese Kenntnisse, anstatt, wie es jede verständige Inter¬ pretation thut, sie bei der Vorbesprechung des Stoffes mit zu übermitteln, lieber in Anmerkungen zu verzeddeln, einen Theil davon zu irgend einem Worte in der ersten Strophe, einen andern, gar nicht davon zu trennenden Theil zur dritten oder vierten Strophe als Note zu geben! Aerger aber noch als mit diesem sachlichen Notizenkram treibt es der Herausgeber mit seinen sprachlichen Erklärungen. Herr Armknecht hat offen¬ bar eine ganz närrische Freude an seinen etymologischen Kenntnissen. Er weiß z. B., daß „keck" so viel bedeutet, wie lebendig, munter, und daß es dasselbe Wort ist, wie die erste Hälfte von „Quecksilber", er kennt die Ableitung von Nachtigall, Ambos, Herberge, Wildpret, Gespenst, Leichnam, Bahre, König, Held und vielen anderen schönen Worten, und da er nnn für's Leben gern möchte, daß auch andere Menschenkinder diese Wissenschaft besäßen, so werden denn nun überall, wo sich irgend die Gelegenheit bietet, derartige Worterklärungen „an¬ gebracht". Während aber jene sachlichen Notizen wirklich, wenn sie am richtigen Orte und im gehörigen Zusammenhange gegeben werden, zum Verständniß der Dichtung beitragen, was in aller Welt sollen diese Worterklärungen? Weiß unsere Jugend nicht, was ein König, eine Herberge, eine Nachtigall ist? Ist es nicht eine Thorheit, ihr den Genuß der Werke unserer Dichter dadurch zu verleiden, daß man sie auf Schritt und Tritt mit dieser lexikalischen Weisheit behelligt? Und dazu nun dieses Gerede über Strophenbau und Metrik, welches jedem einzelnen Gedichte vorausgeht! Muß man sich wirklich erst vorzählen lassen, aus wieviel Strophen ein Gedicht besteht, aus wieviel Zeilen die Strophe sich zusammensetzt, wo die Reime liegen, und wo die Hebungen und Senkungen, ehe man das Gedicht lesen kann? Klare nicht ein Blick auf das Blatt und ein Ueberfliegen der ersten Strophe schneller und deutlicher über diese Dinge auf, als der Wortschwall, den der Herausgeber vor jedem Gedichte aufs neue darüber von sich giebt? Doch eine Probe wird besser, als alle Kritik, die Verkehrtheit der Methode, die der Herausgeber dieser „Eklogen" zur Anwendung bringt, beweisen. Ich wähle die erste, beste Schiller'sche Ballade, den „Ring des Polykrates". Die Ueberschrift lautet bei ihm: „Friedrich von Schiller, geboren 10. November 1759 in Marbach, gestorben 9. Mai 1805 in Weimar. 42. Der Ring des Polykrates." Das „von" läßt der Herausgeber bei Schiller und Goethe nie weg, scheint also nie gelesen zu haben, was beide selbst über ihre Erhebung in den Adelsstand urtheilten. Was hat das deutsche Volk mit Friedrich „von" Schiller zu thun? Ist ihm denn Schiller nicht genug? Geburth- und Todestag werden angeführt, so oft der Name des Dichters

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/502>, abgerufen am 01.09.2024.