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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Lessing läßt sich von einem Bodmericmer abkanzeln. "Mitleidig wollt'
er mich die kühnen Wege lehren, wo uns die Welt nicht Hort, doch kunst'ge
Welten hören: -- Noch rollt dein leichter Vers auf leichten Jamben fort; du
bringst den gleichen Schall an den gewohnten Ort; noch denkst du, wie man
denkt, eh' man den Witz verwöhnet, daß er sich ekel nnr nach seltnen Bildern
sehnet; noch redst du, wie man redt, eh' man die Zunge bricht, daß sie lateinisch
deutsch mit schönem Stammeln spricht; noch hast dn nicht gewagt ein römisch
Lied zu spielen, das von Gedanken strotzt, doch minder hat zum fühlen; noch
tönt dein schwacher Mund die Göttersprache nicht; noch giebst du jedem Zug
sein ihm gehörig Licht; noch trägt Wort und Begriff bei dir nicht neue Ban¬
den, wer dich gelesen hat, der hat dich auch verstanden; dn bist von kalter Art,
die gern vernünftig denkt, und ihrem Zweifel mehr als ihrem Witze schenkt: --
und willst ein Dichter sein?!"

Darin nun hatte Lessing einen Gesinnungsgenossen an Uz (35 I.), dem von
Wieland so hart angefochtenen, der im "Tempel des Geschmacks" schreibt:
"kann ein verblendet Volk die Thorheit höher treiben? Der nicht wie Britten
denkt, will als ein Britte schreiben! der Deutsche will ein Britte sein und kauft
ein englisch Kleid auf einem Trödel ein. Der Aufwand ist gering: ein schwül¬
stiges Geschwätze, das der Vernunft vergißt wie aller Sprachgesetze, manch
Schulwort, manch verwegner Schwung und schwärmende Begeisterung macht
schon ein ziemlich Kleid nach London's neu'Stein Schnitte: -- dem Kleide fehlt
nur eins, der Britte!"

Mit einem Andern aus derselben Schule aber kam Lessing bald darauf
in einen argen Handel. Sam. Gotth. Lange (43 I.), dessen Pfarre zu
Laublingen der Mittelpunkt des Hallischen Freundeskreises war, als Dichter
der Zärtlichkeit hoch gefeiert, hatte seineu Lieblingspveten Horaz in deutsche
Prosa übersetzt. Gleich beim ersten Durchblättern hatte Lessing eine Menge
der lächerlichsten Schnitzer gefunden, und einen gemeinsamen Freund darauf
aufmerksam gemacht; dieser hatte angefragt, ob er feine Kritiken nicht -- gegen
Entschädigung M Lange's Prwatbelehrung abtreten wolle, und Lessing hatte
nicht unbedingt abgelehnt.

Als nun die Recension dennoch erschien, erklärte Lange öffentlich, Lessing
habe von ihm Geld erpressen wollen. Der Vorwurf war nach der Geschichte
mit Voltaire für Lessings Ruf bedenklich. Er schrieb daher Januar 1754 das
"Vademecum für Herrn Sam. Gotth. Lange", in welchem er zunächst seine
Kritik rechtfertigte und erweiterte, und dann mit Entrüstung den Verdacht der
Bestechlichkeit zurückwies.

Donatschnitzer zu berichtigen, ist sonst ein langweiliges Geschäft, aber
Lessing entwickelte die gefährliche Gabe, es in einer höchst belustigenden Weise


Lessing läßt sich von einem Bodmericmer abkanzeln. „Mitleidig wollt'
er mich die kühnen Wege lehren, wo uns die Welt nicht Hort, doch kunst'ge
Welten hören: — Noch rollt dein leichter Vers auf leichten Jamben fort; du
bringst den gleichen Schall an den gewohnten Ort; noch denkst du, wie man
denkt, eh' man den Witz verwöhnet, daß er sich ekel nnr nach seltnen Bildern
sehnet; noch redst du, wie man redt, eh' man die Zunge bricht, daß sie lateinisch
deutsch mit schönem Stammeln spricht; noch hast dn nicht gewagt ein römisch
Lied zu spielen, das von Gedanken strotzt, doch minder hat zum fühlen; noch
tönt dein schwacher Mund die Göttersprache nicht; noch giebst du jedem Zug
sein ihm gehörig Licht; noch trägt Wort und Begriff bei dir nicht neue Ban¬
den, wer dich gelesen hat, der hat dich auch verstanden; dn bist von kalter Art,
die gern vernünftig denkt, und ihrem Zweifel mehr als ihrem Witze schenkt: —
und willst ein Dichter sein?!"

Darin nun hatte Lessing einen Gesinnungsgenossen an Uz (35 I.), dem von
Wieland so hart angefochtenen, der im „Tempel des Geschmacks" schreibt:
„kann ein verblendet Volk die Thorheit höher treiben? Der nicht wie Britten
denkt, will als ein Britte schreiben! der Deutsche will ein Britte sein und kauft
ein englisch Kleid auf einem Trödel ein. Der Aufwand ist gering: ein schwül¬
stiges Geschwätze, das der Vernunft vergißt wie aller Sprachgesetze, manch
Schulwort, manch verwegner Schwung und schwärmende Begeisterung macht
schon ein ziemlich Kleid nach London's neu'Stein Schnitte: — dem Kleide fehlt
nur eins, der Britte!"

Mit einem Andern aus derselben Schule aber kam Lessing bald darauf
in einen argen Handel. Sam. Gotth. Lange (43 I.), dessen Pfarre zu
Laublingen der Mittelpunkt des Hallischen Freundeskreises war, als Dichter
der Zärtlichkeit hoch gefeiert, hatte seineu Lieblingspveten Horaz in deutsche
Prosa übersetzt. Gleich beim ersten Durchblättern hatte Lessing eine Menge
der lächerlichsten Schnitzer gefunden, und einen gemeinsamen Freund darauf
aufmerksam gemacht; dieser hatte angefragt, ob er feine Kritiken nicht — gegen
Entschädigung M Lange's Prwatbelehrung abtreten wolle, und Lessing hatte
nicht unbedingt abgelehnt.

Als nun die Recension dennoch erschien, erklärte Lange öffentlich, Lessing
habe von ihm Geld erpressen wollen. Der Vorwurf war nach der Geschichte
mit Voltaire für Lessings Ruf bedenklich. Er schrieb daher Januar 1754 das
„Vademecum für Herrn Sam. Gotth. Lange", in welchem er zunächst seine
Kritik rechtfertigte und erweiterte, und dann mit Entrüstung den Verdacht der
Bestechlichkeit zurückwies.

Donatschnitzer zu berichtigen, ist sonst ein langweiliges Geschäft, aber
Lessing entwickelte die gefährliche Gabe, es in einer höchst belustigenden Weise


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[0048] Lessing läßt sich von einem Bodmericmer abkanzeln. „Mitleidig wollt' er mich die kühnen Wege lehren, wo uns die Welt nicht Hort, doch kunst'ge Welten hören: — Noch rollt dein leichter Vers auf leichten Jamben fort; du bringst den gleichen Schall an den gewohnten Ort; noch denkst du, wie man denkt, eh' man den Witz verwöhnet, daß er sich ekel nnr nach seltnen Bildern sehnet; noch redst du, wie man redt, eh' man die Zunge bricht, daß sie lateinisch deutsch mit schönem Stammeln spricht; noch hast dn nicht gewagt ein römisch Lied zu spielen, das von Gedanken strotzt, doch minder hat zum fühlen; noch tönt dein schwacher Mund die Göttersprache nicht; noch giebst du jedem Zug sein ihm gehörig Licht; noch trägt Wort und Begriff bei dir nicht neue Ban¬ den, wer dich gelesen hat, der hat dich auch verstanden; dn bist von kalter Art, die gern vernünftig denkt, und ihrem Zweifel mehr als ihrem Witze schenkt: — und willst ein Dichter sein?!" Darin nun hatte Lessing einen Gesinnungsgenossen an Uz (35 I.), dem von Wieland so hart angefochtenen, der im „Tempel des Geschmacks" schreibt: „kann ein verblendet Volk die Thorheit höher treiben? Der nicht wie Britten denkt, will als ein Britte schreiben! der Deutsche will ein Britte sein und kauft ein englisch Kleid auf einem Trödel ein. Der Aufwand ist gering: ein schwül¬ stiges Geschwätze, das der Vernunft vergißt wie aller Sprachgesetze, manch Schulwort, manch verwegner Schwung und schwärmende Begeisterung macht schon ein ziemlich Kleid nach London's neu'Stein Schnitte: — dem Kleide fehlt nur eins, der Britte!" Mit einem Andern aus derselben Schule aber kam Lessing bald darauf in einen argen Handel. Sam. Gotth. Lange (43 I.), dessen Pfarre zu Laublingen der Mittelpunkt des Hallischen Freundeskreises war, als Dichter der Zärtlichkeit hoch gefeiert, hatte seineu Lieblingspveten Horaz in deutsche Prosa übersetzt. Gleich beim ersten Durchblättern hatte Lessing eine Menge der lächerlichsten Schnitzer gefunden, und einen gemeinsamen Freund darauf aufmerksam gemacht; dieser hatte angefragt, ob er feine Kritiken nicht — gegen Entschädigung M Lange's Prwatbelehrung abtreten wolle, und Lessing hatte nicht unbedingt abgelehnt. Als nun die Recension dennoch erschien, erklärte Lange öffentlich, Lessing habe von ihm Geld erpressen wollen. Der Vorwurf war nach der Geschichte mit Voltaire für Lessings Ruf bedenklich. Er schrieb daher Januar 1754 das „Vademecum für Herrn Sam. Gotth. Lange", in welchem er zunächst seine Kritik rechtfertigte und erweiterte, und dann mit Entrüstung den Verdacht der Bestechlichkeit zurückwies. Donatschnitzer zu berichtigen, ist sonst ein langweiliges Geschäft, aber Lessing entwickelte die gefährliche Gabe, es in einer höchst belustigenden Weise

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/48>, abgerufen am 01.09.2024.