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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Licht in dieser Richtung verdanken, noch 1850 schrieb: "Daß Kaspar Hauser ein
Sohn des Herrn vou Gutenberg gewesen, kann nicht bezweifelt werden", so tritt ihm
gewiß jeder Unbefangene bei. Schon die so energische Einmischung der Familie
in den Gang der Untersuchung, das Machtwort des Herzogs zur Niederschlagung
derselben, erweckt bei Jedem die Ueberzeugung, daß Eberhardt auf der richtigen
Fährte gewesen. Zu derselben Ueberzeugung führt uns aber jede andre Er¬
wägung, die der Fall Kaspar Hauser aufdrängt. Jedes Räthsel, das bisher
sein Leben uns aufgab: seine dunkle Jugend, seine Verborgenheit vor der Welt
bis zum siebzehnten Jahr, seine plötzliche Aussetzung in Nürnberg, die Ver¬
trautheit des Absenders mit dem Namen des Rittmeisters von Wessenig, die
Nutzlosigkeit der Ausschreibung der königlichen Belohnung von 10,000 si., löst
sich einfach, wenn man annimmt, er sei der Sohn des Bamberger Domherrn von
Gutenberg gewesen. Der Verschwiegenheit der Königsheim scheint der edle
Prälat -- vielleicht mit Recht -- von Anfang an nicht getraut zu haben; de߬
halb ließ er das Kind ihr wegnehmen, es der Mutter gegenüber für todt er¬
klären, es verborgen erziehen. Niemand in Baiern konnte damals, solange er
es für gut fand, sein Kind vor der Welt besser verbergen, als ein hoher geist¬
licher Herr. Als dieser selbst verstorben war, hielt man die Aussetzung Hanser's
in der Welt unbedenklich. Kurz, selbst alle die schwülstigen Zweifel, welche
die Garnier-Seiler, die Kolb und selbst Feuerbach in seinem Memoire -- in
die wirklich bekannten und wahren Lebensschicksale Hanser's hineingetragen
haben, lösen sich in einfachster Weise, wenn man mit dem ehrenfester Polizei¬
rath Eberhardt sagt: Kaspar Hauser war der Sohn des Domherrn von Guten¬
berg in Bamberg'und der Demoiselle Königsheim. --

Wir werden nun nur noch zu berichten und zu prüfen haben, wie die
Vertheidiger des badischen Prinzenthums Kaspar Hanser's mit den urkundlichen
Enthüllungen umspringen, welche die badische Negierung 1875 aus dem badi¬
H. B. schen Haus- und Staatsarchiv veröffentlicht hat.




Notiz.

Mit Rücksicht auf die herannahenden Feiertage war dieses Heft
schon druckfertig gestellt, als die Kunde von dem entsetzlichen zweiten Mord¬
versuch auf unsern Kaiser eintraf. Wir müssen daher den Bericht und
das Urtheil über diese Schandthat unsrer nächsten Nummer vorbehalten.


D. Red.




Verantwortlicher Redakteur - Dr. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. - Druck von Hüthcl Herrmann in Leipzig.

Licht in dieser Richtung verdanken, noch 1850 schrieb: „Daß Kaspar Hauser ein
Sohn des Herrn vou Gutenberg gewesen, kann nicht bezweifelt werden", so tritt ihm
gewiß jeder Unbefangene bei. Schon die so energische Einmischung der Familie
in den Gang der Untersuchung, das Machtwort des Herzogs zur Niederschlagung
derselben, erweckt bei Jedem die Ueberzeugung, daß Eberhardt auf der richtigen
Fährte gewesen. Zu derselben Ueberzeugung führt uns aber jede andre Er¬
wägung, die der Fall Kaspar Hauser aufdrängt. Jedes Räthsel, das bisher
sein Leben uns aufgab: seine dunkle Jugend, seine Verborgenheit vor der Welt
bis zum siebzehnten Jahr, seine plötzliche Aussetzung in Nürnberg, die Ver¬
trautheit des Absenders mit dem Namen des Rittmeisters von Wessenig, die
Nutzlosigkeit der Ausschreibung der königlichen Belohnung von 10,000 si., löst
sich einfach, wenn man annimmt, er sei der Sohn des Bamberger Domherrn von
Gutenberg gewesen. Der Verschwiegenheit der Königsheim scheint der edle
Prälat — vielleicht mit Recht — von Anfang an nicht getraut zu haben; de߬
halb ließ er das Kind ihr wegnehmen, es der Mutter gegenüber für todt er¬
klären, es verborgen erziehen. Niemand in Baiern konnte damals, solange er
es für gut fand, sein Kind vor der Welt besser verbergen, als ein hoher geist¬
licher Herr. Als dieser selbst verstorben war, hielt man die Aussetzung Hanser's
in der Welt unbedenklich. Kurz, selbst alle die schwülstigen Zweifel, welche
die Garnier-Seiler, die Kolb und selbst Feuerbach in seinem Memoire — in
die wirklich bekannten und wahren Lebensschicksale Hanser's hineingetragen
haben, lösen sich in einfachster Weise, wenn man mit dem ehrenfester Polizei¬
rath Eberhardt sagt: Kaspar Hauser war der Sohn des Domherrn von Guten¬
berg in Bamberg'und der Demoiselle Königsheim. —

Wir werden nun nur noch zu berichten und zu prüfen haben, wie die
Vertheidiger des badischen Prinzenthums Kaspar Hanser's mit den urkundlichen
Enthüllungen umspringen, welche die badische Negierung 1875 aus dem badi¬
H. B. schen Haus- und Staatsarchiv veröffentlicht hat.




Notiz.

Mit Rücksicht auf die herannahenden Feiertage war dieses Heft
schon druckfertig gestellt, als die Kunde von dem entsetzlichen zweiten Mord¬
versuch auf unsern Kaiser eintraf. Wir müssen daher den Bericht und
das Urtheil über diese Schandthat unsrer nächsten Nummer vorbehalten.


D. Red.




Verantwortlicher Redakteur - Dr. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. - Druck von Hüthcl Herrmann in Leipzig.
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[0444] Licht in dieser Richtung verdanken, noch 1850 schrieb: „Daß Kaspar Hauser ein Sohn des Herrn vou Gutenberg gewesen, kann nicht bezweifelt werden", so tritt ihm gewiß jeder Unbefangene bei. Schon die so energische Einmischung der Familie in den Gang der Untersuchung, das Machtwort des Herzogs zur Niederschlagung derselben, erweckt bei Jedem die Ueberzeugung, daß Eberhardt auf der richtigen Fährte gewesen. Zu derselben Ueberzeugung führt uns aber jede andre Er¬ wägung, die der Fall Kaspar Hauser aufdrängt. Jedes Räthsel, das bisher sein Leben uns aufgab: seine dunkle Jugend, seine Verborgenheit vor der Welt bis zum siebzehnten Jahr, seine plötzliche Aussetzung in Nürnberg, die Ver¬ trautheit des Absenders mit dem Namen des Rittmeisters von Wessenig, die Nutzlosigkeit der Ausschreibung der königlichen Belohnung von 10,000 si., löst sich einfach, wenn man annimmt, er sei der Sohn des Bamberger Domherrn von Gutenberg gewesen. Der Verschwiegenheit der Königsheim scheint der edle Prälat — vielleicht mit Recht — von Anfang an nicht getraut zu haben; de߬ halb ließ er das Kind ihr wegnehmen, es der Mutter gegenüber für todt er¬ klären, es verborgen erziehen. Niemand in Baiern konnte damals, solange er es für gut fand, sein Kind vor der Welt besser verbergen, als ein hoher geist¬ licher Herr. Als dieser selbst verstorben war, hielt man die Aussetzung Hanser's in der Welt unbedenklich. Kurz, selbst alle die schwülstigen Zweifel, welche die Garnier-Seiler, die Kolb und selbst Feuerbach in seinem Memoire — in die wirklich bekannten und wahren Lebensschicksale Hanser's hineingetragen haben, lösen sich in einfachster Weise, wenn man mit dem ehrenfester Polizei¬ rath Eberhardt sagt: Kaspar Hauser war der Sohn des Domherrn von Guten¬ berg in Bamberg'und der Demoiselle Königsheim. — Wir werden nun nur noch zu berichten und zu prüfen haben, wie die Vertheidiger des badischen Prinzenthums Kaspar Hanser's mit den urkundlichen Enthüllungen umspringen, welche die badische Negierung 1875 aus dem badi¬ H. B. schen Haus- und Staatsarchiv veröffentlicht hat. Notiz. Mit Rücksicht auf die herannahenden Feiertage war dieses Heft schon druckfertig gestellt, als die Kunde von dem entsetzlichen zweiten Mord¬ versuch auf unsern Kaiser eintraf. Wir müssen daher den Bericht und das Urtheil über diese Schandthat unsrer nächsten Nummer vorbehalten. D. Red. Verantwortlicher Redakteur - Dr. Haus Blum in Leipzig. Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. - Druck von Hüthcl Herrmann in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/444>, abgerufen am 29.12.2024.