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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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sind später dem Fürstenhause geboren worden. Wo hätte die fern vom Hofe
lebende einflußlose Wittwe die ungezählten Helfershelfer finden können, um in
einer ungemessenen Reihe von Jahren eine unbestimmte Zahl von Leichen zu
schaffen, nur zu dem Zwecke, den Kindern der Machtlosen den badischen Thron
zu erwerben? -- Aber dieser Plan, wenn er je in eines Menschen Hirn ge¬
boren worden wäre, litt noch an einem anderen Hauptfehler. Wenn selbst die
ganze Descendenz des Großherzogs Karl ausgerottet worden wäre, so war
immer noch der in der Ungnade Napoleon's am Bodensee lebende Markgraf
Ludwig, der Stiefsohn der Reichsgräfin Hochberg, und Markgraf Friedrich
näher am Throne als ihre Descendenz. Aber die Verleumdung ist erfinderisch.
Markgraf Ludwig soll im Bunde mit der Reichsgrüfin gehandelt haben! Dann
hätte aber der Erbprinz von Baden vernichtet werden müssen, keineswegs am
Leben erhalten werden dürfen, wendet der gewöhnliche Menschenverstand ein.
O nein, erwidern die schlauen Jünger und Fortbildner der Feuerbach'schen
Insinuationen. Die Reichsgräfin betrog mit Hülfe eines Arztes den Mark¬
grafen sowohl als die Eltern des unglücklichen Prinzen und ließ den echten
Prinzen in der Verborgenheit aufziehen, um ihn, falls der Markgraf Ludwig
etwa sein ihr gegebenes Versprechen der Ehelosigkeit mit Erzielung von Nach¬
kommenschaft brechen sollte, wieder hervorzubringen und dadurch -- die Reichs-
gräfin selbst und deren Descendenz um alle sauerermorbenen Früchte ihrer un¬
geheuren Verbrechen zu bringen! Wahrlich, es ist nicht einmal mehr Methode
in diesem Blödsinn!

Sollen wir nun noch unsern Lesern das Absurde der Feuerbach'schen
Verdächtigung erörtern, daß der echte Prinz nicht mit einem todten, sondern
mit einem sterbenden Kinde vertauscht worden sei? Woher sollte das "ster¬
bende" Kind bezogen werden? Karlsruhe hatte 1812 nicht mehr als 13,000
Einwohner. Höchstens ein Dutzend Kinder ist in der kritischen Zeit (vom 29.
September bis 16. Oktober) geboren worden, kaum zwei davon sind gestorben.
Herr Kolb meint freilich, auch aus Freiburg oder Heidelberg hätte man ein
"sterbendes" Kind beziehen können! Aber wie es einschwärzen durch die un¬
zähligen Wächter, Lakaien, Beamten, die zahlreichen Personen des Kranken¬
zimmers des Schlosses unter denen zu Zeiten neun Aerzte und der Vater des
Prinzen? Wie konnte Jemand garantiren, daß das "sterbende" Kind, das die
Prinzenreise von Freiburg oder Heidelberg bis ins Schloß ertragen, nun
wirklich stürbe? -- Und wenn das Alles erklärt wäre, wer gibt uns dann
weiter Aufschluß über die wunderbare Thorheit, daß man den mit so uner¬
hörtem Frevel und Glück beseitigten Prinzen am 26. Mai 1828 plötzlich wieder
in Nürnberg in die Welt setzt? Wer soll 1829 und im Dezember 1833 noch
irgend ein Interesse an seiner "Ermordung" gehabt haben? Die Reichsgrüfin


sind später dem Fürstenhause geboren worden. Wo hätte die fern vom Hofe
lebende einflußlose Wittwe die ungezählten Helfershelfer finden können, um in
einer ungemessenen Reihe von Jahren eine unbestimmte Zahl von Leichen zu
schaffen, nur zu dem Zwecke, den Kindern der Machtlosen den badischen Thron
zu erwerben? — Aber dieser Plan, wenn er je in eines Menschen Hirn ge¬
boren worden wäre, litt noch an einem anderen Hauptfehler. Wenn selbst die
ganze Descendenz des Großherzogs Karl ausgerottet worden wäre, so war
immer noch der in der Ungnade Napoleon's am Bodensee lebende Markgraf
Ludwig, der Stiefsohn der Reichsgräfin Hochberg, und Markgraf Friedrich
näher am Throne als ihre Descendenz. Aber die Verleumdung ist erfinderisch.
Markgraf Ludwig soll im Bunde mit der Reichsgrüfin gehandelt haben! Dann
hätte aber der Erbprinz von Baden vernichtet werden müssen, keineswegs am
Leben erhalten werden dürfen, wendet der gewöhnliche Menschenverstand ein.
O nein, erwidern die schlauen Jünger und Fortbildner der Feuerbach'schen
Insinuationen. Die Reichsgräfin betrog mit Hülfe eines Arztes den Mark¬
grafen sowohl als die Eltern des unglücklichen Prinzen und ließ den echten
Prinzen in der Verborgenheit aufziehen, um ihn, falls der Markgraf Ludwig
etwa sein ihr gegebenes Versprechen der Ehelosigkeit mit Erzielung von Nach¬
kommenschaft brechen sollte, wieder hervorzubringen und dadurch — die Reichs-
gräfin selbst und deren Descendenz um alle sauerermorbenen Früchte ihrer un¬
geheuren Verbrechen zu bringen! Wahrlich, es ist nicht einmal mehr Methode
in diesem Blödsinn!

Sollen wir nun noch unsern Lesern das Absurde der Feuerbach'schen
Verdächtigung erörtern, daß der echte Prinz nicht mit einem todten, sondern
mit einem sterbenden Kinde vertauscht worden sei? Woher sollte das „ster¬
bende" Kind bezogen werden? Karlsruhe hatte 1812 nicht mehr als 13,000
Einwohner. Höchstens ein Dutzend Kinder ist in der kritischen Zeit (vom 29.
September bis 16. Oktober) geboren worden, kaum zwei davon sind gestorben.
Herr Kolb meint freilich, auch aus Freiburg oder Heidelberg hätte man ein
„sterbendes" Kind beziehen können! Aber wie es einschwärzen durch die un¬
zähligen Wächter, Lakaien, Beamten, die zahlreichen Personen des Kranken¬
zimmers des Schlosses unter denen zu Zeiten neun Aerzte und der Vater des
Prinzen? Wie konnte Jemand garantiren, daß das „sterbende" Kind, das die
Prinzenreise von Freiburg oder Heidelberg bis ins Schloß ertragen, nun
wirklich stürbe? — Und wenn das Alles erklärt wäre, wer gibt uns dann
weiter Aufschluß über die wunderbare Thorheit, daß man den mit so uner¬
hörtem Frevel und Glück beseitigten Prinzen am 26. Mai 1828 plötzlich wieder
in Nürnberg in die Welt setzt? Wer soll 1829 und im Dezember 1833 noch
irgend ein Interesse an seiner „Ermordung" gehabt haben? Die Reichsgrüfin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/438>, abgerufen am 06.10.2024.