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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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So geht er doch schweigend den Pfad,
Und nicht will er werden erkannt!"

Nun hatte allerdings Preußen bereits im Januar 1828 in einer ausführ¬
lichen Denkschrift an die europäischen Hofe für die neue badische Regenten¬
linie und deren gutes Recht sehr entschieden Partei ergriffen und nach München
die ganz bestimmte Erklärung abgehen lassen, es werde keinen Gewaltstreich
gegen Baden dulden. Aber wer darum denken sollte, König Ludwig habe nun
die Erwerbung der badischen Pfalz aufgegeben, kennt das Wesen des Königs
nicht. Diese Hoffnung wurde bei ihm zur fixen Idee, die ihn sein ganzes
Leben lang nicht mehr losließ. Für diese stillen Pläne seines Herzens konnte
das Badische Prinzenthnm Kaspar Hauser's gelegentlich sehr zu Statten kom¬
men. Daß wir in dieser Annahme, König Ludwig selbst sei der Anstifter des
Feuerbach'scheu Mömvire gewesen, nicht blos combiniren, beweist die That¬
sache, daß Baden selbst offenbar dieselbe Auffassung von der Sache hatte. Die
entscheidenden Aktenstücke seines Archivs, welche der phantastischen Prinzen¬
theorie Feuerbach's ein jähes Ende bereiteten, hat das Haus Baden erst ver¬
öffentlicht nach dem Tode des Königs Ludwig. Bis dahin ließ Baden ge¬
duldig die giftige Verleumdung aus dem losen Boden des geheimen Memoire
emporwuchern. Endlich hat anch Feuerbach selbst bewiesen, daß er wußte, wie wichtig
es seinem König Ludwig war, daß der Mythus vom badischen Prinzenthum Kaspar
Hauser's bestehen bliebe, die letzten Schleier, die über seiner Herkunft lagern, nicht
hinweggezogen würden. Wir werden davon unten noch zu erzählen haben.

Alle diese Momente zusammen berechtigen gewiß zu dem oben ausge¬
sprochenen Mißtrauen gegen die pong, liclss des Verfassers des geheimen Me¬
moire. Noch mehr aber drängt der Inhalt der Denkschrift diesen Verdacht
aus. Auch hier kann nur ein kurzes Resume dieses Inhaltes gegeben werden.
Die Leser, die sich eingehender darüber unterrichten wollen, verweisen wir auf
Mittelstädt's Schrift S. 51 -- 79. Feuerbach selbst hat nie den Anspruch er¬
höbe", in diesem Memoire den "juridischen" Beweis für die badische Prinzen¬
schaft Kaspar Hauser's geführt zu haben. Wohl aber meint er, die "moralische
Gewißheit" für diese Annahme biete sein Memoire. Die Glieder der Kette
seines Verdachtsbeweises sollen, "so fein sie sind, fest ineinander greifen"!

Feuerbach untersucht zunächst die Frage, welchen Standes Kaspar
Hauser gewesen sei? Er antwortet: erstens, ein eheliches Kind. Warum:
weil man ein gewöhnliches uneheliches Kind, bei dem im Interesse des
Vaters oder der Mutter uur die Thatsache der Geburt verheimlicht werden
soll, nicht 16--17 Jahre gefangen zu halten und dann auszusetzen braucht.
Ein solches Kind setzt man aus oder man tödtet es oder giebt es unter Ge¬
heimhaltung der Eltern Dritten in Pflege. Aber folgt hieraus mit irgend


So geht er doch schweigend den Pfad,
Und nicht will er werden erkannt!"

Nun hatte allerdings Preußen bereits im Januar 1828 in einer ausführ¬
lichen Denkschrift an die europäischen Hofe für die neue badische Regenten¬
linie und deren gutes Recht sehr entschieden Partei ergriffen und nach München
die ganz bestimmte Erklärung abgehen lassen, es werde keinen Gewaltstreich
gegen Baden dulden. Aber wer darum denken sollte, König Ludwig habe nun
die Erwerbung der badischen Pfalz aufgegeben, kennt das Wesen des Königs
nicht. Diese Hoffnung wurde bei ihm zur fixen Idee, die ihn sein ganzes
Leben lang nicht mehr losließ. Für diese stillen Pläne seines Herzens konnte
das Badische Prinzenthnm Kaspar Hauser's gelegentlich sehr zu Statten kom¬
men. Daß wir in dieser Annahme, König Ludwig selbst sei der Anstifter des
Feuerbach'scheu Mömvire gewesen, nicht blos combiniren, beweist die That¬
sache, daß Baden selbst offenbar dieselbe Auffassung von der Sache hatte. Die
entscheidenden Aktenstücke seines Archivs, welche der phantastischen Prinzen¬
theorie Feuerbach's ein jähes Ende bereiteten, hat das Haus Baden erst ver¬
öffentlicht nach dem Tode des Königs Ludwig. Bis dahin ließ Baden ge¬
duldig die giftige Verleumdung aus dem losen Boden des geheimen Memoire
emporwuchern. Endlich hat anch Feuerbach selbst bewiesen, daß er wußte, wie wichtig
es seinem König Ludwig war, daß der Mythus vom badischen Prinzenthum Kaspar
Hauser's bestehen bliebe, die letzten Schleier, die über seiner Herkunft lagern, nicht
hinweggezogen würden. Wir werden davon unten noch zu erzählen haben.

Alle diese Momente zusammen berechtigen gewiß zu dem oben ausge¬
sprochenen Mißtrauen gegen die pong, liclss des Verfassers des geheimen Me¬
moire. Noch mehr aber drängt der Inhalt der Denkschrift diesen Verdacht
aus. Auch hier kann nur ein kurzes Resume dieses Inhaltes gegeben werden.
Die Leser, die sich eingehender darüber unterrichten wollen, verweisen wir auf
Mittelstädt's Schrift S. 51 — 79. Feuerbach selbst hat nie den Anspruch er¬
höbe», in diesem Memoire den „juridischen" Beweis für die badische Prinzen¬
schaft Kaspar Hauser's geführt zu haben. Wohl aber meint er, die „moralische
Gewißheit" für diese Annahme biete sein Memoire. Die Glieder der Kette
seines Verdachtsbeweises sollen, „so fein sie sind, fest ineinander greifen"!

Feuerbach untersucht zunächst die Frage, welchen Standes Kaspar
Hauser gewesen sei? Er antwortet: erstens, ein eheliches Kind. Warum:
weil man ein gewöhnliches uneheliches Kind, bei dem im Interesse des
Vaters oder der Mutter uur die Thatsache der Geburt verheimlicht werden
soll, nicht 16—17 Jahre gefangen zu halten und dann auszusetzen braucht.
Ein solches Kind setzt man aus oder man tödtet es oder giebt es unter Ge¬
heimhaltung der Eltern Dritten in Pflege. Aber folgt hieraus mit irgend


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[0433] So geht er doch schweigend den Pfad, Und nicht will er werden erkannt!" Nun hatte allerdings Preußen bereits im Januar 1828 in einer ausführ¬ lichen Denkschrift an die europäischen Hofe für die neue badische Regenten¬ linie und deren gutes Recht sehr entschieden Partei ergriffen und nach München die ganz bestimmte Erklärung abgehen lassen, es werde keinen Gewaltstreich gegen Baden dulden. Aber wer darum denken sollte, König Ludwig habe nun die Erwerbung der badischen Pfalz aufgegeben, kennt das Wesen des Königs nicht. Diese Hoffnung wurde bei ihm zur fixen Idee, die ihn sein ganzes Leben lang nicht mehr losließ. Für diese stillen Pläne seines Herzens konnte das Badische Prinzenthnm Kaspar Hauser's gelegentlich sehr zu Statten kom¬ men. Daß wir in dieser Annahme, König Ludwig selbst sei der Anstifter des Feuerbach'scheu Mömvire gewesen, nicht blos combiniren, beweist die That¬ sache, daß Baden selbst offenbar dieselbe Auffassung von der Sache hatte. Die entscheidenden Aktenstücke seines Archivs, welche der phantastischen Prinzen¬ theorie Feuerbach's ein jähes Ende bereiteten, hat das Haus Baden erst ver¬ öffentlicht nach dem Tode des Königs Ludwig. Bis dahin ließ Baden ge¬ duldig die giftige Verleumdung aus dem losen Boden des geheimen Memoire emporwuchern. Endlich hat anch Feuerbach selbst bewiesen, daß er wußte, wie wichtig es seinem König Ludwig war, daß der Mythus vom badischen Prinzenthum Kaspar Hauser's bestehen bliebe, die letzten Schleier, die über seiner Herkunft lagern, nicht hinweggezogen würden. Wir werden davon unten noch zu erzählen haben. Alle diese Momente zusammen berechtigen gewiß zu dem oben ausge¬ sprochenen Mißtrauen gegen die pong, liclss des Verfassers des geheimen Me¬ moire. Noch mehr aber drängt der Inhalt der Denkschrift diesen Verdacht aus. Auch hier kann nur ein kurzes Resume dieses Inhaltes gegeben werden. Die Leser, die sich eingehender darüber unterrichten wollen, verweisen wir auf Mittelstädt's Schrift S. 51 — 79. Feuerbach selbst hat nie den Anspruch er¬ höbe», in diesem Memoire den „juridischen" Beweis für die badische Prinzen¬ schaft Kaspar Hauser's geführt zu haben. Wohl aber meint er, die „moralische Gewißheit" für diese Annahme biete sein Memoire. Die Glieder der Kette seines Verdachtsbeweises sollen, „so fein sie sind, fest ineinander greifen"! Feuerbach untersucht zunächst die Frage, welchen Standes Kaspar Hauser gewesen sei? Er antwortet: erstens, ein eheliches Kind. Warum: weil man ein gewöhnliches uneheliches Kind, bei dem im Interesse des Vaters oder der Mutter uur die Thatsache der Geburt verheimlicht werden soll, nicht 16—17 Jahre gefangen zu halten und dann auszusetzen braucht. Ein solches Kind setzt man aus oder man tödtet es oder giebt es unter Ge¬ heimhaltung der Eltern Dritten in Pflege. Aber folgt hieraus mit irgend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/433>, abgerufen am 01.09.2024.