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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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heiliges Königswort" die gewünschte Entdeckung enthüllt habe. Herr Kolb
folgert daraus, das Me'noire sei "auf den wiederholten dringenden Wunsch der
Königin Karoline von Baiern abgefaßt" worden. Als Medium mag diese
gedient haben. Aber irgend ein persönliches Interesse an der "gewünschten
Entdeckung" hatte sie nicht. Sie würde sonst zweifellos die Thatsachen, welche
sie, wie wir unten sehen werden, dem Gendarmerie-Lieutenant Hickel, dem
Vertrauten Feuerbach's, sofort bei Ueberbringung des Memoire mittheilte, und
welche das ganze Me'noire für den Einsichtigen über den Haufen warfen,
Feuerbach mitgetheilt haben, ehe er dasselbe abgefaßt.

Der eigentliche Besteller dieser geheimen Denkschrift ist nach unserer Ueber¬
zeugung vielmehr, um es gerade Heranszusagen, König Ludwig I. von Baiern
selbst gewesen. Feuerbach mochte davon keine direkte Kenntniß heben. Die
Königin war eine badische Prinzessin und mochte scheinbar in ihrem Namen
um Aufklärung über das dunkle Räthsel ihres Hauses bitten. Aber dennoch
ist schwer zu glauben, daß Feuerbach sich über den wahren Besteller getäuscht
habe. Er wußte genau, wie sehnsüchtig der König selbst auf das Aussterben
der älteren Zähringer Linie, auf den Heimfall der badischen Pfalz sich Hoff¬
nungen gemacht, mit wie großem Mißvergnügen er sich die Thronbesteigung
der Hvchberge in Baden hatte gefallen lassen. Noch 1826 war der König
selbst dicht an die Grenze des badischen Mainlandes gereist und hatte hier
persönlich über den jubelnden Empfang, den er bei der badischen Bevölkerung
gefunden haben wollte, Berichte an die Münchener politische Zeitung versenden
lassen. Als der badische Gesandte in München sich beim Minister Thürheim
über den Artikel beschwerte, meinte der Minister achselzuckend, die Redaktion
habe das Elaborat ebeu abgedruckt "wi <zu' 11 lui avs-it sen iznvo^ö as ohr-
e^Qs Mre".*) Zur gleichen Zeit verlangten die bairischen Offiziere lärmend
den Einmarsch in die badische Pfalz, 1827 befürchtete Heidelberg ernstlich einen
bairischen Handstreich. Im Frühjahr 1829 bereiste der König die bairische
Pfalz, bog aber plötzlich vom Wege ab und legte sich auf der Gemarkung des
heutigen Ludwigshafen in einem Übeln Gasthof vor Anker, wo er alle alten
Baiern von Mannheim drüben empfing und eine große neugierige Menschen¬
menge obendrein, mehrmals am Fenster sich zeigte, sehnsüchtig nach Mannheim
hinüberwinkte und das schöne Lied dichtete:


"Der Pfalzgraf bei Rhein,
Er wandert allein
Im heimathlichen Land.
Wie lieb er dasselbe auch hat,


*) Treitschke, die Anfänge des Zollvereins, Pr. Jahrb. 1872, I, Bd. S. 524.

heiliges Königswort" die gewünschte Entdeckung enthüllt habe. Herr Kolb
folgert daraus, das Me'noire sei „auf den wiederholten dringenden Wunsch der
Königin Karoline von Baiern abgefaßt" worden. Als Medium mag diese
gedient haben. Aber irgend ein persönliches Interesse an der „gewünschten
Entdeckung" hatte sie nicht. Sie würde sonst zweifellos die Thatsachen, welche
sie, wie wir unten sehen werden, dem Gendarmerie-Lieutenant Hickel, dem
Vertrauten Feuerbach's, sofort bei Ueberbringung des Memoire mittheilte, und
welche das ganze Me'noire für den Einsichtigen über den Haufen warfen,
Feuerbach mitgetheilt haben, ehe er dasselbe abgefaßt.

Der eigentliche Besteller dieser geheimen Denkschrift ist nach unserer Ueber¬
zeugung vielmehr, um es gerade Heranszusagen, König Ludwig I. von Baiern
selbst gewesen. Feuerbach mochte davon keine direkte Kenntniß heben. Die
Königin war eine badische Prinzessin und mochte scheinbar in ihrem Namen
um Aufklärung über das dunkle Räthsel ihres Hauses bitten. Aber dennoch
ist schwer zu glauben, daß Feuerbach sich über den wahren Besteller getäuscht
habe. Er wußte genau, wie sehnsüchtig der König selbst auf das Aussterben
der älteren Zähringer Linie, auf den Heimfall der badischen Pfalz sich Hoff¬
nungen gemacht, mit wie großem Mißvergnügen er sich die Thronbesteigung
der Hvchberge in Baden hatte gefallen lassen. Noch 1826 war der König
selbst dicht an die Grenze des badischen Mainlandes gereist und hatte hier
persönlich über den jubelnden Empfang, den er bei der badischen Bevölkerung
gefunden haben wollte, Berichte an die Münchener politische Zeitung versenden
lassen. Als der badische Gesandte in München sich beim Minister Thürheim
über den Artikel beschwerte, meinte der Minister achselzuckend, die Redaktion
habe das Elaborat ebeu abgedruckt „wi <zu' 11 lui avs-it sen iznvo^ö as ohr-
e^Qs Mre".*) Zur gleichen Zeit verlangten die bairischen Offiziere lärmend
den Einmarsch in die badische Pfalz, 1827 befürchtete Heidelberg ernstlich einen
bairischen Handstreich. Im Frühjahr 1829 bereiste der König die bairische
Pfalz, bog aber plötzlich vom Wege ab und legte sich auf der Gemarkung des
heutigen Ludwigshafen in einem Übeln Gasthof vor Anker, wo er alle alten
Baiern von Mannheim drüben empfing und eine große neugierige Menschen¬
menge obendrein, mehrmals am Fenster sich zeigte, sehnsüchtig nach Mannheim
hinüberwinkte und das schöne Lied dichtete:


„Der Pfalzgraf bei Rhein,
Er wandert allein
Im heimathlichen Land.
Wie lieb er dasselbe auch hat,


*) Treitschke, die Anfänge des Zollvereins, Pr. Jahrb. 1872, I, Bd. S. 524.
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[0432] heiliges Königswort" die gewünschte Entdeckung enthüllt habe. Herr Kolb folgert daraus, das Me'noire sei „auf den wiederholten dringenden Wunsch der Königin Karoline von Baiern abgefaßt" worden. Als Medium mag diese gedient haben. Aber irgend ein persönliches Interesse an der „gewünschten Entdeckung" hatte sie nicht. Sie würde sonst zweifellos die Thatsachen, welche sie, wie wir unten sehen werden, dem Gendarmerie-Lieutenant Hickel, dem Vertrauten Feuerbach's, sofort bei Ueberbringung des Memoire mittheilte, und welche das ganze Me'noire für den Einsichtigen über den Haufen warfen, Feuerbach mitgetheilt haben, ehe er dasselbe abgefaßt. Der eigentliche Besteller dieser geheimen Denkschrift ist nach unserer Ueber¬ zeugung vielmehr, um es gerade Heranszusagen, König Ludwig I. von Baiern selbst gewesen. Feuerbach mochte davon keine direkte Kenntniß heben. Die Königin war eine badische Prinzessin und mochte scheinbar in ihrem Namen um Aufklärung über das dunkle Räthsel ihres Hauses bitten. Aber dennoch ist schwer zu glauben, daß Feuerbach sich über den wahren Besteller getäuscht habe. Er wußte genau, wie sehnsüchtig der König selbst auf das Aussterben der älteren Zähringer Linie, auf den Heimfall der badischen Pfalz sich Hoff¬ nungen gemacht, mit wie großem Mißvergnügen er sich die Thronbesteigung der Hvchberge in Baden hatte gefallen lassen. Noch 1826 war der König selbst dicht an die Grenze des badischen Mainlandes gereist und hatte hier persönlich über den jubelnden Empfang, den er bei der badischen Bevölkerung gefunden haben wollte, Berichte an die Münchener politische Zeitung versenden lassen. Als der badische Gesandte in München sich beim Minister Thürheim über den Artikel beschwerte, meinte der Minister achselzuckend, die Redaktion habe das Elaborat ebeu abgedruckt „wi <zu' 11 lui avs-it sen iznvo^ö as ohr- e^Qs Mre".*) Zur gleichen Zeit verlangten die bairischen Offiziere lärmend den Einmarsch in die badische Pfalz, 1827 befürchtete Heidelberg ernstlich einen bairischen Handstreich. Im Frühjahr 1829 bereiste der König die bairische Pfalz, bog aber plötzlich vom Wege ab und legte sich auf der Gemarkung des heutigen Ludwigshafen in einem Übeln Gasthof vor Anker, wo er alle alten Baiern von Mannheim drüben empfing und eine große neugierige Menschen¬ menge obendrein, mehrmals am Fenster sich zeigte, sehnsüchtig nach Mannheim hinüberwinkte und das schöne Lied dichtete: „Der Pfalzgraf bei Rhein, Er wandert allein Im heimathlichen Land. Wie lieb er dasselbe auch hat, *) Treitschke, die Anfänge des Zollvereins, Pr. Jahrb. 1872, I, Bd. S. 524.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/432>, abgerufen am 01.09.2024.