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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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im Religionsunterricht -- von dem freilich Dn Bois-Reymond für die älteren
Schüler nichts wissen will -- die Kirchengeschichte eine bedeutende Stellung ein.
Aber was soll z. B. dein Schüler eine Geschichte der Wissenschaften, von denen
er selbst nur die Anfangsgründe kennt? oder ein ausführlicheres Eingehen auf
die Kunstgeschichte, wo es den allermeisten Anstalten schon an den unbedingt
nothwendigen Anschauungsmitteln fehlen wird,*) ganz zu schweigen davon, daß
für das Verständniß etwa der griechischen Plastik oder der italienischen Malerei
die durchschnittliche Fassungskraft 18- bis 19-jähriger Leute einfach nicht ausreicht?
Dazu tritt noch eins: jede kulturgeschichtliche Schilderung muß das Zuständ¬
liche besonders betonen, denn es bildet den Hintergrund sür jedes einzelne
Wirken auf irgend einem Kulturgebiete; nun hat aber die Jugend hierfür im
Allgemeinen sehr wenig Sinn, sie wird wesentlich gefesselt durch die That, die
Persönlichkeit, und es läßt sich nun einmal nicht leugnen, daß Helden und
Staatsmänner in ihrem Sein und Thun die jugendliche Phantasie weit mehr
anregen und in ihren Hauptmotiven jugendlichen Zuhörern verständlicher sind,
als das Leben und Wirken des verdientesten Denkers und Schriftstellers.

Damit ist nun allerdings nicht behauptet, daß die Kulturgeschichte aus dein
Lehrplan der höheren Schulen auszuschließen sei. Es wird nur darauf an¬
kommen, einmal eine gewisse Auswahl von Kapiteln aus ihr zu treffen und
sodann diese an hervorragende Perioden und Persönlichkeiten der politischen
Geschichte anzuschließen. Nicht nur möglich, sondern sogar nothwendig wird es
sein, eingehender zu handeln z. B. von der großartigen Kunstentwicklung des
Perikleischen Athen, zumal hier die antik-klassische Lektüre unterstützend eingreift,
-- eine Vorstellung zu geben vom Leben und Aussehen des kaiserlichen Rom,
oder in der neueren Geschichte der Renaissance eine etwas nähere Betrachtung
zu widmen, oder sich auf die Kultur Frankreichs unter Ludwig XIV. einzu¬
lassen, zumal hier wiederum die französische Lektüre ergänzend eintritt. In
solcher Weise behandelt können kulturhistorische Abschnitte -- aber nur aus¬
gewählte Abschnitte -- ebenso verständlich gemacht werden wie anregend wirken.**)

Bezüglich der Geographie ist es eine alte Klage, daß die Schüler oberer



Anmerk. d. Red.

*) Dies möchten wir nach dem Erscheinen eines so eminent praktischen und wegen
seiner großen Billigkeit jeder höheren Bildungsanstalt erreichbaren Anschauungsmittels, wie
es Seemann's "Kunsthistorische Bilderbogen" sind, doch nicht mehr behaupten.
**) Wir verweisen für diese Grundsätze ans Campe, Geschichte und Unterricht in der
Geschichte (1369), und Herbst, Zur Frage des Geschichtsunterrichts auf höheren Schulen
(1369). Herbst hat selbst in seinem Historischen Hilfsbuch in trefflicher Weise die Lineamente
kulturgeschichtlicher Partien gegeben, die sich allerdings hier und da noch vermehren lassen
würden. Daß dagegen mit ausführlichen kulturgeschichtlichen Exkursen in der Weise von
Dictsch' Grundriß praktisch nichts anzufangen ist, weiß jeder, der sie kennt.

im Religionsunterricht — von dem freilich Dn Bois-Reymond für die älteren
Schüler nichts wissen will — die Kirchengeschichte eine bedeutende Stellung ein.
Aber was soll z. B. dein Schüler eine Geschichte der Wissenschaften, von denen
er selbst nur die Anfangsgründe kennt? oder ein ausführlicheres Eingehen auf
die Kunstgeschichte, wo es den allermeisten Anstalten schon an den unbedingt
nothwendigen Anschauungsmitteln fehlen wird,*) ganz zu schweigen davon, daß
für das Verständniß etwa der griechischen Plastik oder der italienischen Malerei
die durchschnittliche Fassungskraft 18- bis 19-jähriger Leute einfach nicht ausreicht?
Dazu tritt noch eins: jede kulturgeschichtliche Schilderung muß das Zuständ¬
liche besonders betonen, denn es bildet den Hintergrund sür jedes einzelne
Wirken auf irgend einem Kulturgebiete; nun hat aber die Jugend hierfür im
Allgemeinen sehr wenig Sinn, sie wird wesentlich gefesselt durch die That, die
Persönlichkeit, und es läßt sich nun einmal nicht leugnen, daß Helden und
Staatsmänner in ihrem Sein und Thun die jugendliche Phantasie weit mehr
anregen und in ihren Hauptmotiven jugendlichen Zuhörern verständlicher sind,
als das Leben und Wirken des verdientesten Denkers und Schriftstellers.

Damit ist nun allerdings nicht behauptet, daß die Kulturgeschichte aus dein
Lehrplan der höheren Schulen auszuschließen sei. Es wird nur darauf an¬
kommen, einmal eine gewisse Auswahl von Kapiteln aus ihr zu treffen und
sodann diese an hervorragende Perioden und Persönlichkeiten der politischen
Geschichte anzuschließen. Nicht nur möglich, sondern sogar nothwendig wird es
sein, eingehender zu handeln z. B. von der großartigen Kunstentwicklung des
Perikleischen Athen, zumal hier die antik-klassische Lektüre unterstützend eingreift,
— eine Vorstellung zu geben vom Leben und Aussehen des kaiserlichen Rom,
oder in der neueren Geschichte der Renaissance eine etwas nähere Betrachtung
zu widmen, oder sich auf die Kultur Frankreichs unter Ludwig XIV. einzu¬
lassen, zumal hier wiederum die französische Lektüre ergänzend eintritt. In
solcher Weise behandelt können kulturhistorische Abschnitte — aber nur aus¬
gewählte Abschnitte — ebenso verständlich gemacht werden wie anregend wirken.**)

Bezüglich der Geographie ist es eine alte Klage, daß die Schüler oberer



Anmerk. d. Red.

*) Dies möchten wir nach dem Erscheinen eines so eminent praktischen und wegen
seiner großen Billigkeit jeder höheren Bildungsanstalt erreichbaren Anschauungsmittels, wie
es Seemann's „Kunsthistorische Bilderbogen" sind, doch nicht mehr behaupten.
**) Wir verweisen für diese Grundsätze ans Campe, Geschichte und Unterricht in der
Geschichte (1369), und Herbst, Zur Frage des Geschichtsunterrichts auf höheren Schulen
(1369). Herbst hat selbst in seinem Historischen Hilfsbuch in trefflicher Weise die Lineamente
kulturgeschichtlicher Partien gegeben, die sich allerdings hier und da noch vermehren lassen
würden. Daß dagegen mit ausführlichen kulturgeschichtlichen Exkursen in der Weise von
Dictsch' Grundriß praktisch nichts anzufangen ist, weiß jeder, der sie kennt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/416>, abgerufen am 01.09.2024.