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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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nimmt (4--6 Stunden), denn unleugbar ist die grammatische Fassungskraft
des Gymnasiasten, der ein paar Jahre lang mit Latein sich gründlich beschäftigt
hat, eine bedeutendere als die des Realschülers, dessen Lateinstudien sich auf
wöchentlich 4--6 Stunden beschränken, dann aber halten wir es für nothwendig,
zurückzukehren zu der alten Praxis, welche das Französische nicht schon in
Quinta, sondern erst in Tertia begann. Jetzt steckt der arme Junge noch tief
in den Anfangsgründen des Latein, da dringt bereits nach nur einem Jahre
eine neue Sprache auf ihn ein, und kaum hat er deren erste Schwierigkeiten
überwältigt, so beginnt nach abermals nur einjähriger Frist das Griechische.
Drei neue fremde Sprachen in drei aufeinanderfolgenden Jahren anzugreifen,
das ist in der That eine übermäßige Forderung. Wird dagegen der Anfang
des Französischen nach Untertertia verlegt, dann hat der Knabe bereits 3 volle
Jahre Latein getrieben, ist der Formenlehre längst Herr und hat im Grie¬
chischen einen guten Anfang gemacht. Setzt dann das Französische gleich
kräftig ein, anfangs mit 4 Stunden, dann wird er gewiß, selbst wenn in den
höheren Classen diese Zahl auf 3 herabgesetzt wird, Erfreuliches leisten und auch
in der praktischen Handhabung der Sprache, die wir allerdings für nothwendig
halten, mehr vorwärts kommen als bisher.

Schwierigkeit freilich macht dann die Frage der Aufnahme des Englischen.
Es ebenso wie das Französische zu berücksichtigen ist natürlich aus Gründen
der möglichen Anspannung gar nicht thunlich; es geradezu an die Stelle des
Französischen treten zu lassen erscheint bedenklich, weil trotz des hohen Werthes
der englischen Literatur der Einfluß der französischen auf die unsere wohl
größer gewesen ist, als der der englischen.*) Aber es ist nicht nur erreichbar,
sondern thatsächlich schon vielfach durchgeführt, daß den Schülern der obern
Classen Gelegenheit zur Erlernung des Englischen geboten wird, und bei der
guten grammatischen Vorbildung eines tüchtigen Gymnasiasten hält es erfahrungs¬
mäßig nicht eben schwer, Genügendes zu erreichen.

Von den Bildungsstoffen, in deren Aufnahme bez. verschiedener Verarbei¬
tung Gymnasium und Realschule eben ihre Eigenthümlichkeit haben, gehen
Wir über zu denen, die sie beide in ähnlicher Weise behandeln und als gleich
gewichtig anerkennen, Geschichte, Geographie, Deutsch,

Für die erste fordert Du Bois-Reymond: Weglassung mancher "uner¬
sprießlicher Einzelheiten" -- er denkt an die Details des römischen Stände¬
kampfes oder an "die mittelalterlichen Zänkereien zwischen Kaiser und Papst" --;
Verminderung der "nutzlosen Jahreszahlen," dagegen stärkere Betonung der



*) Doch könnte man hier gewiß ohne Nachtheil das lokale Bedürfniß entscheiden lassen.
Für einen Bremer oder Oldenlmrger besitzt allerdings das Englische viel größere Wichtig¬
keit als das Französische.

nimmt (4—6 Stunden), denn unleugbar ist die grammatische Fassungskraft
des Gymnasiasten, der ein paar Jahre lang mit Latein sich gründlich beschäftigt
hat, eine bedeutendere als die des Realschülers, dessen Lateinstudien sich auf
wöchentlich 4—6 Stunden beschränken, dann aber halten wir es für nothwendig,
zurückzukehren zu der alten Praxis, welche das Französische nicht schon in
Quinta, sondern erst in Tertia begann. Jetzt steckt der arme Junge noch tief
in den Anfangsgründen des Latein, da dringt bereits nach nur einem Jahre
eine neue Sprache auf ihn ein, und kaum hat er deren erste Schwierigkeiten
überwältigt, so beginnt nach abermals nur einjähriger Frist das Griechische.
Drei neue fremde Sprachen in drei aufeinanderfolgenden Jahren anzugreifen,
das ist in der That eine übermäßige Forderung. Wird dagegen der Anfang
des Französischen nach Untertertia verlegt, dann hat der Knabe bereits 3 volle
Jahre Latein getrieben, ist der Formenlehre längst Herr und hat im Grie¬
chischen einen guten Anfang gemacht. Setzt dann das Französische gleich
kräftig ein, anfangs mit 4 Stunden, dann wird er gewiß, selbst wenn in den
höheren Classen diese Zahl auf 3 herabgesetzt wird, Erfreuliches leisten und auch
in der praktischen Handhabung der Sprache, die wir allerdings für nothwendig
halten, mehr vorwärts kommen als bisher.

Schwierigkeit freilich macht dann die Frage der Aufnahme des Englischen.
Es ebenso wie das Französische zu berücksichtigen ist natürlich aus Gründen
der möglichen Anspannung gar nicht thunlich; es geradezu an die Stelle des
Französischen treten zu lassen erscheint bedenklich, weil trotz des hohen Werthes
der englischen Literatur der Einfluß der französischen auf die unsere wohl
größer gewesen ist, als der der englischen.*) Aber es ist nicht nur erreichbar,
sondern thatsächlich schon vielfach durchgeführt, daß den Schülern der obern
Classen Gelegenheit zur Erlernung des Englischen geboten wird, und bei der
guten grammatischen Vorbildung eines tüchtigen Gymnasiasten hält es erfahrungs¬
mäßig nicht eben schwer, Genügendes zu erreichen.

Von den Bildungsstoffen, in deren Aufnahme bez. verschiedener Verarbei¬
tung Gymnasium und Realschule eben ihre Eigenthümlichkeit haben, gehen
Wir über zu denen, die sie beide in ähnlicher Weise behandeln und als gleich
gewichtig anerkennen, Geschichte, Geographie, Deutsch,

Für die erste fordert Du Bois-Reymond: Weglassung mancher „uner¬
sprießlicher Einzelheiten" — er denkt an die Details des römischen Stände¬
kampfes oder an „die mittelalterlichen Zänkereien zwischen Kaiser und Papst" —;
Verminderung der „nutzlosen Jahreszahlen," dagegen stärkere Betonung der



*) Doch könnte man hier gewiß ohne Nachtheil das lokale Bedürfniß entscheiden lassen.
Für einen Bremer oder Oldenlmrger besitzt allerdings das Englische viel größere Wichtig¬
keit als das Französische.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/414>, abgerufen am 01.09.2024.