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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Sobald dies geschieht, dann wird das Griechische sehr bald seine natürliche
Schwerkraft äußern und die Stellung einnehmen, welche der Cultnrentwicklung,
die es vertritt, von Rechtswegen gebührt. Dann wird auch Niemand mehr
darüber klagen können, daß das moderne Gymnasium thatsächlich noch immer
die Lateinschule des 16. Jahrhunderts sei, daß in ihm die Jugend den besten
Theil einer kostbaren Zeit auf Dinge verwenden müsse, die für ihre spätere
Berufsbildung so gut wie unnütz seien, ja die ihm selbst Abneigung gegen die
altklassische Lektüre eingeflößt hätten, während doch eben sie einen Hauptgegen¬
stand seiner schulmäßigen Arbeit gebildet habe und in ihrem Betriebe der
wesentliche Vorzug des Gymnasiums gefunden werde. Gewiß sind solche
Vorwürfe dem modernen Gymnasium gegenüber nur noch zum Theile be¬
rechtigt, aber daß sie nicht ganz erfunden sind, wird man nicht leugnen können.

Wie Beschränkung -- wir möchten lieber sagen theilweise Umgestaltung
-- des altklassischer Unterrichts, so fordert Du Bois-Reymond sodann stärkere
Betonung der mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächer;
er faßt das zusammen in dem Schlagworte: "Kegelschnitte, kein griechisches
Skriptum mehr!" er verlangt also vermehrte Stundenzahl für die Mathematik
statt der 4 bisherigen 6--8. Es scheint nun allerdings ein gewagtes Stück,
einem Fachmanne von seiner Bedeutung hierin entgegenzutreten, wir möchten
aber doch einen allgemeinen Gesichtspunkt in dieser Frage geltend machen. Die
Universität fordert vom Gymnasium, daß es seine Leistungen steigere, damit
sie mit einer höheren Stufe des Unterrichts beginnen könne und ihre Zuhörer
höher und höher führe. Wir glauben mit Unrecht. Es scheint uns der Würde
einer Hochschule durchaus nicht zu widersprechen, wenn sie hier dem Gymnasium
etwas entgegenkäme und wenn sie nicht vergessen wollte, daß sie nicht nur die
Aufgabe hat, die Wissenschaft auf den höchsten Stand zu bringen und Gelehrte
zu bilden, sondern -- und nicht am letzten Ende -- der bürgerlichen Gesellschaft
tüchtige Praktiker in jedem Zweige zu schaffen. Es ist nicht mit Unrecht --
und von sehr berufener Seite --, geklagt worden, daß die heutige Universität
eben in diesem Punkte weniger leiste, als die frühere, weil sie gar zu einseitig
das wissenschaftliche Bedürfniß berücksichtige und infolge dessen in's Endlose
spezicilisire, statt eine lebendige Gesammtanschauung des Ganzen einer Wissen¬
schaft zu ermöglichen. Bei der großen Freiheit, die die Organisation unserer
Universitäten den Docenten und Studirenden gestattet, wird es außerdem immer
möglich sein, eine Anzahl der letzteren auch zu den höchsten Zielen der Wissen¬
schaft zu führen, ohne zu verlangen, daß alle mitgehen. Es würde also kein
Schade sein, wenn die Universität den eben in sie eintretenden Gymnasiasten
gegenüber in dem und jenem ihre Forderungen herabsetzte, dem vorhandenen
Bedürfnisse entgegenkäme, statt eine erhebliche Steigerung in den Leistungen


Sobald dies geschieht, dann wird das Griechische sehr bald seine natürliche
Schwerkraft äußern und die Stellung einnehmen, welche der Cultnrentwicklung,
die es vertritt, von Rechtswegen gebührt. Dann wird auch Niemand mehr
darüber klagen können, daß das moderne Gymnasium thatsächlich noch immer
die Lateinschule des 16. Jahrhunderts sei, daß in ihm die Jugend den besten
Theil einer kostbaren Zeit auf Dinge verwenden müsse, die für ihre spätere
Berufsbildung so gut wie unnütz seien, ja die ihm selbst Abneigung gegen die
altklassische Lektüre eingeflößt hätten, während doch eben sie einen Hauptgegen¬
stand seiner schulmäßigen Arbeit gebildet habe und in ihrem Betriebe der
wesentliche Vorzug des Gymnasiums gefunden werde. Gewiß sind solche
Vorwürfe dem modernen Gymnasium gegenüber nur noch zum Theile be¬
rechtigt, aber daß sie nicht ganz erfunden sind, wird man nicht leugnen können.

Wie Beschränkung — wir möchten lieber sagen theilweise Umgestaltung
— des altklassischer Unterrichts, so fordert Du Bois-Reymond sodann stärkere
Betonung der mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächer;
er faßt das zusammen in dem Schlagworte: „Kegelschnitte, kein griechisches
Skriptum mehr!" er verlangt also vermehrte Stundenzahl für die Mathematik
statt der 4 bisherigen 6—8. Es scheint nun allerdings ein gewagtes Stück,
einem Fachmanne von seiner Bedeutung hierin entgegenzutreten, wir möchten
aber doch einen allgemeinen Gesichtspunkt in dieser Frage geltend machen. Die
Universität fordert vom Gymnasium, daß es seine Leistungen steigere, damit
sie mit einer höheren Stufe des Unterrichts beginnen könne und ihre Zuhörer
höher und höher führe. Wir glauben mit Unrecht. Es scheint uns der Würde
einer Hochschule durchaus nicht zu widersprechen, wenn sie hier dem Gymnasium
etwas entgegenkäme und wenn sie nicht vergessen wollte, daß sie nicht nur die
Aufgabe hat, die Wissenschaft auf den höchsten Stand zu bringen und Gelehrte
zu bilden, sondern — und nicht am letzten Ende — der bürgerlichen Gesellschaft
tüchtige Praktiker in jedem Zweige zu schaffen. Es ist nicht mit Unrecht —
und von sehr berufener Seite —, geklagt worden, daß die heutige Universität
eben in diesem Punkte weniger leiste, als die frühere, weil sie gar zu einseitig
das wissenschaftliche Bedürfniß berücksichtige und infolge dessen in's Endlose
spezicilisire, statt eine lebendige Gesammtanschauung des Ganzen einer Wissen¬
schaft zu ermöglichen. Bei der großen Freiheit, die die Organisation unserer
Universitäten den Docenten und Studirenden gestattet, wird es außerdem immer
möglich sein, eine Anzahl der letzteren auch zu den höchsten Zielen der Wissen¬
schaft zu führen, ohne zu verlangen, daß alle mitgehen. Es würde also kein
Schade sein, wenn die Universität den eben in sie eintretenden Gymnasiasten
gegenüber in dem und jenem ihre Forderungen herabsetzte, dem vorhandenen
Bedürfnisse entgegenkäme, statt eine erhebliche Steigerung in den Leistungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/411>, abgerufen am 01.09.2024.