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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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durchzudrücken. Aber er mußte doch selbst, wenn auch nur indirekt, die Unan¬
fechtbarkeit der aus der augenblicklichen Lage der parlamentarischen Geschäfte
entnommenen Argumente zugeben. Daß er von seinem Standpunkte aus das
besondere Eisenbahnministerium für eine höchst dringende Nothwendigkeit hält,
ist nach dem überraschend schnellen Vorgehen in dieser Angelegenheit selbst¬
verständlich. Aber seine Ausführungen haben schwerlich Jemandem die Ueber¬
zeugung beigebracht, daß die Maßregel nicht noch bis zur nächsten Session
verschoben werden könnte. Er drohte eventuell mit einer wenigstens theilweisen
Regelung der Angelegenheit durch königl. Verordnung oder auch mit einer
außerordentlichen Session nach Schluß des Reichstages. Ueber die Bedenken
welche dein ersteren Wege entgegenstehen, scheint er selbst nicht im Zweifel
zu sein. Den andern Weg aber würde die Mehrheit des Abgeordnetenhauses
sicherlich lieber acceptiren, als daß sie jetzt über eine so fundamentale Neuerung
im Handumdrehen einen entscheidenden Beschluß fassen sollte. -- Die Ver¬
handlung ist am letzten Tage der abgelaufenen Woche nicht zu Ende gediehen
und wird erst am Mittwoch ihre Fortsetzung finden. Wir fürchten aber nicht
durch die Ereignisse in unseren Vorhersagungen dementirt zu werden.

Die dritte Forderung der Nachtragsvorlage, die Errichtung des Postens
eines besonderen Vicepräsidenten des Staatsministeriums, findet bei der Mehr¬
heit des Abgeordnetenhauses keinen Widerspruch. Bisher haben die Geschäfte
eines solchen Vicepräsidenten freilich ohne sonderliche Mühe von dem Finanz¬
minister Camphausen versehen werden können; nach den vom Fürsten Bismarck
im Reichstage gemachten Andeutungen weiß man indeß, daß der preußische
Vieeministerpräsident in Zukunft auch die generelle Vertretung des Reichskanz¬
lers zu übernehmen haben wird. Es liegt kein Grund vor, der Ausführung
dieses Planes ein Hinderniß in den Weg zu legen.

Die Hauptaufgabe, welche der "Nachsession" des Landtags gestellt war,
die Vereinbarung des Ausführungsgesetzes zum deutschen Gerichtsverfassungs¬
gesetze, ist endgültig gelöst. Bis auf den letzten Augenblick waren die haupt¬
sächlichsten der in unserem vorigen Briefe aufgezählten Differenzpunkte zwischen
den beiden Häusern bestehen geblieben. Das Abgeordnetenhaus hat, um der
Sache ein Ende zu machen, und vor Allem, um die rechtzeitige Durchführung
der Justizreform uicht zu gefährden, schließlich nachgegeben. In der Sache
braucht mau das vielleicht uicht allzusehr zu bedauern; für das Verhältniß
der beiden legislativen Faktoren zu einander aber kann es nicht ohne erbit¬
ternde Wirkung sein. Daß der zum mindesten nicht geschickten Operationsweise
des Justizministers Leonhardt ein großer Theil der Schuld an den unerquick¬
lichen Schicksalen, welche die parlamentarische Verhandlung über dieses Gesetz
gehabt, beizumessen ist, darüber ist man allgemein einverstanden, wenn auch


durchzudrücken. Aber er mußte doch selbst, wenn auch nur indirekt, die Unan¬
fechtbarkeit der aus der augenblicklichen Lage der parlamentarischen Geschäfte
entnommenen Argumente zugeben. Daß er von seinem Standpunkte aus das
besondere Eisenbahnministerium für eine höchst dringende Nothwendigkeit hält,
ist nach dem überraschend schnellen Vorgehen in dieser Angelegenheit selbst¬
verständlich. Aber seine Ausführungen haben schwerlich Jemandem die Ueber¬
zeugung beigebracht, daß die Maßregel nicht noch bis zur nächsten Session
verschoben werden könnte. Er drohte eventuell mit einer wenigstens theilweisen
Regelung der Angelegenheit durch königl. Verordnung oder auch mit einer
außerordentlichen Session nach Schluß des Reichstages. Ueber die Bedenken
welche dein ersteren Wege entgegenstehen, scheint er selbst nicht im Zweifel
zu sein. Den andern Weg aber würde die Mehrheit des Abgeordnetenhauses
sicherlich lieber acceptiren, als daß sie jetzt über eine so fundamentale Neuerung
im Handumdrehen einen entscheidenden Beschluß fassen sollte. — Die Ver¬
handlung ist am letzten Tage der abgelaufenen Woche nicht zu Ende gediehen
und wird erst am Mittwoch ihre Fortsetzung finden. Wir fürchten aber nicht
durch die Ereignisse in unseren Vorhersagungen dementirt zu werden.

Die dritte Forderung der Nachtragsvorlage, die Errichtung des Postens
eines besonderen Vicepräsidenten des Staatsministeriums, findet bei der Mehr¬
heit des Abgeordnetenhauses keinen Widerspruch. Bisher haben die Geschäfte
eines solchen Vicepräsidenten freilich ohne sonderliche Mühe von dem Finanz¬
minister Camphausen versehen werden können; nach den vom Fürsten Bismarck
im Reichstage gemachten Andeutungen weiß man indeß, daß der preußische
Vieeministerpräsident in Zukunft auch die generelle Vertretung des Reichskanz¬
lers zu übernehmen haben wird. Es liegt kein Grund vor, der Ausführung
dieses Planes ein Hinderniß in den Weg zu legen.

Die Hauptaufgabe, welche der „Nachsession" des Landtags gestellt war,
die Vereinbarung des Ausführungsgesetzes zum deutschen Gerichtsverfassungs¬
gesetze, ist endgültig gelöst. Bis auf den letzten Augenblick waren die haupt¬
sächlichsten der in unserem vorigen Briefe aufgezählten Differenzpunkte zwischen
den beiden Häusern bestehen geblieben. Das Abgeordnetenhaus hat, um der
Sache ein Ende zu machen, und vor Allem, um die rechtzeitige Durchführung
der Justizreform uicht zu gefährden, schließlich nachgegeben. In der Sache
braucht mau das vielleicht uicht allzusehr zu bedauern; für das Verhältniß
der beiden legislativen Faktoren zu einander aber kann es nicht ohne erbit¬
ternde Wirkung sein. Daß der zum mindesten nicht geschickten Operationsweise
des Justizministers Leonhardt ein großer Theil der Schuld an den unerquick¬
lichen Schicksalen, welche die parlamentarische Verhandlung über dieses Gesetz
gehabt, beizumessen ist, darüber ist man allgemein einverstanden, wenn auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/41>, abgerufen am 27.07.2024.