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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Dilettantismus von Geistlichen gerichtet, die ans einem Gebiet, das den Männern
unüberwundene Schwierigkeiten darbietet, welche seine Bearbeitung sich zur
Lebensaufgabe gemacht haben, für eine bestimmte Art der Lösung eintreten
und dadurch die Kirche mehr oder weniger engagiren, und wenn ihr Versuch
mißlingt, diskreditiren. Wir stimmen dem Herrn Verfasser vollkommen bei, nur
daß wir schärfer und bestimmter uns aussprechen würden. Unsre Meinung
ist diese: Es ist selbstverständlich, daß die Kirche an ihrem Theile auch an der
Lösung der sozialen Frage mit zu arbeiten hat, aber ihr Standort ist nicht
die National-Oekonomie, sondern die Ethik; ihre Mittel hat sie in Predigt,
Seelsorge und innere Mission, aber nicht in sozialer Agitation zu suchen. Sie
soll die große Aufgabe lösen, in der sozialen Krise der Gegenwart die sittlichen
Hemmungen zu beseitigen, welche dem Kampf den gefährlichen Charakter ver¬
leihen, und die Gesinnung hervor zu bringen, welche selbstverlengnend das
eigne Interesse mit den Zwecken des Ganzen ausgleicht; insoweit aber die Lösung
des sozialen Problem's national-ökonomische Technik fordert, hat sie sich zurück
zu halten. Davon versteht sie nicht genug, Einmischungen in dies Gebiet darf
sie sich nicht zu Schulden kommen lassen, Aufforderungen dazu muß sie zu¬
rückweisen. Wenn Kögel Ausnahmen statuirt und besonders dazu begabten
Geistlichen das Recht zuerkennt, auch technisch einzugreifen, so stimmen wir
ihm bei, siud aber der Meinung, daß dies in keinem Fall in der Weise ge¬
schehen darf, daß die sozialen Grundlagen der Gesellschaft in Frage gestellt
werden. Der Verein für Spezialreform thut das. Handelte es sich um ein¬
fache ländliche Verhältnisse, dann könnte wohl ein Geistlicher, der das Zeug-
dazn hat, auf eigne Gefahr national-ökonomische Reformen in's Werk zu setzen
suchen, aber der Boden unsrer großen Fabrikstädte, zumal Berlin's, ist zu vul¬
kanisch, als daß nicht mögliche Mißerfolge und Unbesonnenheiten unberechenbare
Gefahren in sich tragen mußten. Deshalb, es sei noch einmal gesagt, ist
der Vortrag Kögel's ein Werk zur rechten Zeit und am rechten Orte, dem
wir viel Hörer und viel Beachtung wünschen.


H. Jacoby.



Verantwortlicher Redakteur- I)r. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Hrrbin in Leipzig. Druck von Hüthrl <ü- Herrmann in Leipzig.
*) S. 30: "Halb geprüfte, näher besehen, unhaltbare Verheißungen aufzustellen, ist
für den, der ein Diener der allgütigen Offenbarung Gottes ist, doppelt bedenklich."

Dilettantismus von Geistlichen gerichtet, die ans einem Gebiet, das den Männern
unüberwundene Schwierigkeiten darbietet, welche seine Bearbeitung sich zur
Lebensaufgabe gemacht haben, für eine bestimmte Art der Lösung eintreten
und dadurch die Kirche mehr oder weniger engagiren, und wenn ihr Versuch
mißlingt, diskreditiren. Wir stimmen dem Herrn Verfasser vollkommen bei, nur
daß wir schärfer und bestimmter uns aussprechen würden. Unsre Meinung
ist diese: Es ist selbstverständlich, daß die Kirche an ihrem Theile auch an der
Lösung der sozialen Frage mit zu arbeiten hat, aber ihr Standort ist nicht
die National-Oekonomie, sondern die Ethik; ihre Mittel hat sie in Predigt,
Seelsorge und innere Mission, aber nicht in sozialer Agitation zu suchen. Sie
soll die große Aufgabe lösen, in der sozialen Krise der Gegenwart die sittlichen
Hemmungen zu beseitigen, welche dem Kampf den gefährlichen Charakter ver¬
leihen, und die Gesinnung hervor zu bringen, welche selbstverlengnend das
eigne Interesse mit den Zwecken des Ganzen ausgleicht; insoweit aber die Lösung
des sozialen Problem's national-ökonomische Technik fordert, hat sie sich zurück
zu halten. Davon versteht sie nicht genug, Einmischungen in dies Gebiet darf
sie sich nicht zu Schulden kommen lassen, Aufforderungen dazu muß sie zu¬
rückweisen. Wenn Kögel Ausnahmen statuirt und besonders dazu begabten
Geistlichen das Recht zuerkennt, auch technisch einzugreifen, so stimmen wir
ihm bei, siud aber der Meinung, daß dies in keinem Fall in der Weise ge¬
schehen darf, daß die sozialen Grundlagen der Gesellschaft in Frage gestellt
werden. Der Verein für Spezialreform thut das. Handelte es sich um ein¬
fache ländliche Verhältnisse, dann könnte wohl ein Geistlicher, der das Zeug-
dazn hat, auf eigne Gefahr national-ökonomische Reformen in's Werk zu setzen
suchen, aber der Boden unsrer großen Fabrikstädte, zumal Berlin's, ist zu vul¬
kanisch, als daß nicht mögliche Mißerfolge und Unbesonnenheiten unberechenbare
Gefahren in sich tragen mußten. Deshalb, es sei noch einmal gesagt, ist
der Vortrag Kögel's ein Werk zur rechten Zeit und am rechten Orte, dem
wir viel Hörer und viel Beachtung wünschen.


H. Jacoby.



Verantwortlicher Redakteur- I)r. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Hrrbin in Leipzig. Druck von Hüthrl <ü- Herrmann in Leipzig.
*) S. 30: „Halb geprüfte, näher besehen, unhaltbare Verheißungen aufzustellen, ist
für den, der ein Diener der allgütigen Offenbarung Gottes ist, doppelt bedenklich."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/404>, abgerufen am 06.10.2024.