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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Haben wir gegen die literarische Gattung, zu welcher die vorliegende Schrift
gehört, aus mehreren Gründen uns aussprechen müssen, so freuen wir uns, es
anerkennen zu dürfen, daß die hier gesammelten Rezensionen, mit wenigen Aus¬
nahmen, sehr eingehend und gründlich sind und durch Klarheit und Bestimmt¬
heit sich auszeichnen. Ganz besonders lehrreich sind die Auseinandersetzungen
mit der Philosophie Hegels. Auch wollen wir schließlich nicht verschweigen,
daß der Verfasser gegen unsere Beurtheilung des von ihm angebauten Literatur¬
genres sich darauf berufen kann, daß dies hier der fünfte Band seiner "Philo-
phischen Schriften" sei, daß die früheren Bände ebenfalls zum größten Theile
Referate und Rezensionen enthalten, und daß das Publikum also augenscheinlich
anders über diese literarische Frage denke, als der Referent. Wir würden
darauf antworten, daß die Leser dieser Schriften vermuthlich so lebhafte Sym¬
pathien für die Theosophie Baaders und die Arbeiten Hoffmanns hegen, daß
die letzteren, in welcher Form auch immer sie erscheinen mochten, von ihnen
dankbar begrüßt werden.

Die gedankenreichste unter den hier besprochenen Schriften ist die Arbeit
Eucken's. Sie hat das Thema, das ebenso anziehend, als schwierig ist, einer
geistvollen und feinsinnigen Erörterung unterworfen. Daß dieselbe nicht zu
befriedigenden Ergebnissen gelangt, nicht Probleme löst, sondern vielmehr auf¬
wirft, und sich darauf beschränkt, die Richtung zu zeigen, in welcher sie gelöst
werden können, und ihnen eine bestimmtere Fassung zu geben, das darf dem
Verfasser nicht zum Vorwurf gemacht werden, denn das lag in seiner Absicht.
Er wollte in dem vorliegenden Buch den Beweis sichren, daß die Grundbegriffe
in der Gegenwart, die im allgemeinen Bewußtsein eine so feste Gestalt gewonnen
haben, bei genauerer Betrachtung sich als schwankende Gebilde darstellen, die
einer einseitigen und zu früh abgebrochenen Thätigkeit des Denkens entsprungen,
keineswegs die Schlüssel des Welträthsels in sich tragen, wie sie den Anspruch
erheben. Die Tendenz des Verfassers geht darauf hinaus, unsere Zeit zu über¬
führen, wie sehr ihre geistige Arbeit der Vertiefung und der Erweiterung,
der Ausgleichung und der Vermittlung bedürfe. So sehr nun diese so ab¬
gegrenzte Aufgabe den Verfasser nöthigte, mit der Entwicklung der eigenen Ge-
sammtanschanung zurückzuhalten, so hat er doch den Schleier hinlänglich gelüftet,
um uns erkennen zu lassen, daß er auf der Seite derer steht, welche für die Eigenart
des geistigen Lebens im Gegensatz zur Körperwelt eintreten, und ihm einen Inhalt
zuweisen, der ihm nicht ausschließlich aus jeuer zuwächst. Dagegen ist es uns nicht
gelungen, von der ethischen Richtung des Verfassers ein genaueres Bild zu gewinnen,
obwohl es an zutreffenden Bemerkungen in Beziehung auf ethische Fragen durchaus
nicht fehlt. Wir rechnen dahin die Hinweisung auf die einseitig intellektualistische
Lebensbestimmung in der Kaltur der Gegenwart, sowie die Darlegung der Gefahren,


Haben wir gegen die literarische Gattung, zu welcher die vorliegende Schrift
gehört, aus mehreren Gründen uns aussprechen müssen, so freuen wir uns, es
anerkennen zu dürfen, daß die hier gesammelten Rezensionen, mit wenigen Aus¬
nahmen, sehr eingehend und gründlich sind und durch Klarheit und Bestimmt¬
heit sich auszeichnen. Ganz besonders lehrreich sind die Auseinandersetzungen
mit der Philosophie Hegels. Auch wollen wir schließlich nicht verschweigen,
daß der Verfasser gegen unsere Beurtheilung des von ihm angebauten Literatur¬
genres sich darauf berufen kann, daß dies hier der fünfte Band seiner „Philo-
phischen Schriften" sei, daß die früheren Bände ebenfalls zum größten Theile
Referate und Rezensionen enthalten, und daß das Publikum also augenscheinlich
anders über diese literarische Frage denke, als der Referent. Wir würden
darauf antworten, daß die Leser dieser Schriften vermuthlich so lebhafte Sym¬
pathien für die Theosophie Baaders und die Arbeiten Hoffmanns hegen, daß
die letzteren, in welcher Form auch immer sie erscheinen mochten, von ihnen
dankbar begrüßt werden.

Die gedankenreichste unter den hier besprochenen Schriften ist die Arbeit
Eucken's. Sie hat das Thema, das ebenso anziehend, als schwierig ist, einer
geistvollen und feinsinnigen Erörterung unterworfen. Daß dieselbe nicht zu
befriedigenden Ergebnissen gelangt, nicht Probleme löst, sondern vielmehr auf¬
wirft, und sich darauf beschränkt, die Richtung zu zeigen, in welcher sie gelöst
werden können, und ihnen eine bestimmtere Fassung zu geben, das darf dem
Verfasser nicht zum Vorwurf gemacht werden, denn das lag in seiner Absicht.
Er wollte in dem vorliegenden Buch den Beweis sichren, daß die Grundbegriffe
in der Gegenwart, die im allgemeinen Bewußtsein eine so feste Gestalt gewonnen
haben, bei genauerer Betrachtung sich als schwankende Gebilde darstellen, die
einer einseitigen und zu früh abgebrochenen Thätigkeit des Denkens entsprungen,
keineswegs die Schlüssel des Welträthsels in sich tragen, wie sie den Anspruch
erheben. Die Tendenz des Verfassers geht darauf hinaus, unsere Zeit zu über¬
führen, wie sehr ihre geistige Arbeit der Vertiefung und der Erweiterung,
der Ausgleichung und der Vermittlung bedürfe. So sehr nun diese so ab¬
gegrenzte Aufgabe den Verfasser nöthigte, mit der Entwicklung der eigenen Ge-
sammtanschanung zurückzuhalten, so hat er doch den Schleier hinlänglich gelüftet,
um uns erkennen zu lassen, daß er auf der Seite derer steht, welche für die Eigenart
des geistigen Lebens im Gegensatz zur Körperwelt eintreten, und ihm einen Inhalt
zuweisen, der ihm nicht ausschließlich aus jeuer zuwächst. Dagegen ist es uns nicht
gelungen, von der ethischen Richtung des Verfassers ein genaueres Bild zu gewinnen,
obwohl es an zutreffenden Bemerkungen in Beziehung auf ethische Fragen durchaus
nicht fehlt. Wir rechnen dahin die Hinweisung auf die einseitig intellektualistische
Lebensbestimmung in der Kaltur der Gegenwart, sowie die Darlegung der Gefahren,


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[0402] Haben wir gegen die literarische Gattung, zu welcher die vorliegende Schrift gehört, aus mehreren Gründen uns aussprechen müssen, so freuen wir uns, es anerkennen zu dürfen, daß die hier gesammelten Rezensionen, mit wenigen Aus¬ nahmen, sehr eingehend und gründlich sind und durch Klarheit und Bestimmt¬ heit sich auszeichnen. Ganz besonders lehrreich sind die Auseinandersetzungen mit der Philosophie Hegels. Auch wollen wir schließlich nicht verschweigen, daß der Verfasser gegen unsere Beurtheilung des von ihm angebauten Literatur¬ genres sich darauf berufen kann, daß dies hier der fünfte Band seiner „Philo- phischen Schriften" sei, daß die früheren Bände ebenfalls zum größten Theile Referate und Rezensionen enthalten, und daß das Publikum also augenscheinlich anders über diese literarische Frage denke, als der Referent. Wir würden darauf antworten, daß die Leser dieser Schriften vermuthlich so lebhafte Sym¬ pathien für die Theosophie Baaders und die Arbeiten Hoffmanns hegen, daß die letzteren, in welcher Form auch immer sie erscheinen mochten, von ihnen dankbar begrüßt werden. Die gedankenreichste unter den hier besprochenen Schriften ist die Arbeit Eucken's. Sie hat das Thema, das ebenso anziehend, als schwierig ist, einer geistvollen und feinsinnigen Erörterung unterworfen. Daß dieselbe nicht zu befriedigenden Ergebnissen gelangt, nicht Probleme löst, sondern vielmehr auf¬ wirft, und sich darauf beschränkt, die Richtung zu zeigen, in welcher sie gelöst werden können, und ihnen eine bestimmtere Fassung zu geben, das darf dem Verfasser nicht zum Vorwurf gemacht werden, denn das lag in seiner Absicht. Er wollte in dem vorliegenden Buch den Beweis sichren, daß die Grundbegriffe in der Gegenwart, die im allgemeinen Bewußtsein eine so feste Gestalt gewonnen haben, bei genauerer Betrachtung sich als schwankende Gebilde darstellen, die einer einseitigen und zu früh abgebrochenen Thätigkeit des Denkens entsprungen, keineswegs die Schlüssel des Welträthsels in sich tragen, wie sie den Anspruch erheben. Die Tendenz des Verfassers geht darauf hinaus, unsere Zeit zu über¬ führen, wie sehr ihre geistige Arbeit der Vertiefung und der Erweiterung, der Ausgleichung und der Vermittlung bedürfe. So sehr nun diese so ab¬ gegrenzte Aufgabe den Verfasser nöthigte, mit der Entwicklung der eigenen Ge- sammtanschanung zurückzuhalten, so hat er doch den Schleier hinlänglich gelüftet, um uns erkennen zu lassen, daß er auf der Seite derer steht, welche für die Eigenart des geistigen Lebens im Gegensatz zur Körperwelt eintreten, und ihm einen Inhalt zuweisen, der ihm nicht ausschließlich aus jeuer zuwächst. Dagegen ist es uns nicht gelungen, von der ethischen Richtung des Verfassers ein genaueres Bild zu gewinnen, obwohl es an zutreffenden Bemerkungen in Beziehung auf ethische Fragen durchaus nicht fehlt. Wir rechnen dahin die Hinweisung auf die einseitig intellektualistische Lebensbestimmung in der Kaltur der Gegenwart, sowie die Darlegung der Gefahren,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/402>, abgerufen am 01.09.2024.