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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Hofes hielt es für angemessen, geradezu auszusprechen, daß "die Wirksamkeit der
unbekannten Hand" Kaspar Hanser's Geschick, Feuerbach's Tod und -- Meyer's
Buch auf dem Gewissen habe'"). -- Aber auch der Erzieher und Pflegevater
Kaspar Hauser's, Herr Prof. G. F. Dciumer nahm Partei gegen Meyer, für
Kolb. Derselbe Mann hatte freilich 1859 in seinen "Enthüllungen über Kaspar
Hauser" erklärt: "Mit Unrecht hat man, wie sich zeigen wird, ein deutsches
Fürstenhaus, welches nach meiner vollste" Ueberzeugung gar keinen Theil daran
hat, dafür in Anspruch genommen, woran die irreführender Gerüchte und Be¬
hauptungen Schuld, die von den wahren Verbrechern ausgestreut worden waren."
Jetzt war der Mann zur entgegengesetzten Ansicht durchgedrungen, Gott weiß,
durch welche Erwägungen. Sein geradezu komisches Buch,**) "verworren und
verwaschen, wie sein Titel, entzieht sich" -- wie Mittelstädt treffend bemerkt --
"in der Fülle seiner unglaublichen Gedankenlosigkeit jeder ernsthaften Kritik" --
und legte die peinliche Frage nahe, durch welche Leistung wohl der Ver¬
fasser Professor geworden und ob es nicht schriftstellerische Delikte gebe,
welche den dauernden Verlust dieses gelehrten Titels nach sich ziehen
müßten. So harmlos und unbefangen stand der Verfasser seinem Stoffe
und seiner früheren Arbeit über denselben Gegenstand gegenüber, daß er
von seinem jetzigen Machwerk, das blindlings für das badische Prinzenthum
Kaspar Hauser's eintrat, zu sagen wagte; "er habe in seinen "Enthüllungen"
die Wahrheit nur "umgangen" und jetzt seine Ansicht "vervollständigt"! Selbst¬
verständlich fehlte in diesem lieblichen Chorus von Bosheit, Leidenschaft und
Gedankenlosigkeit nicht das Organ des Berliner Weißbierphilisters, die "Tante
Voß", die in den ersten drei Nummern ihrer Sonntagsbeilage von 1875 mit
der unfehlbaren Weisheit, welche an dieser Stelle die letzten Gründe aller
Dinge ausspricht, das gediegene Urtheil verkündete: "während Hauser von
Einigen als Betrüger bezeichnet wurde, halten ihn Andere für den durch ein
furchtbares Verbreche" um sein Lebensglück und um sein Recht gebrachten
Thronerben von Baden. Die letztere Ansicht muß heute als durchaus erwiesen
angesehen werden." So konnte denn Papa Kolb im März 1875 seine bereits
oben citirte neue Serie von Kaspar-Hanser-Artikeln in der "Frankfurter Zeitung"
mit dem triumphirenden Satze eröffnen: "Die im wesentlichen bereits erfolgte
Lüftung des Schleiers wird nicht ferner bestritten."

Um dem Leser ein vollständiges chronologisches Bild über die Kaspar-




Augsbnrger Mg. Ztg Beilage vom 12. und 20. März 1872. S. 640/119S fg.
"Kaspar Häuser, sein Wesen, seine Unschuld, seine Erdnldungen und sein Ursprung
in neuer gründlicher Erörterung und Nachweisung." Regensburg, 1873, 463 Seiten in groß
Octav stark!

Hofes hielt es für angemessen, geradezu auszusprechen, daß „die Wirksamkeit der
unbekannten Hand" Kaspar Hanser's Geschick, Feuerbach's Tod und — Meyer's
Buch auf dem Gewissen habe'"). — Aber auch der Erzieher und Pflegevater
Kaspar Hauser's, Herr Prof. G. F. Dciumer nahm Partei gegen Meyer, für
Kolb. Derselbe Mann hatte freilich 1859 in seinen „Enthüllungen über Kaspar
Hauser" erklärt: „Mit Unrecht hat man, wie sich zeigen wird, ein deutsches
Fürstenhaus, welches nach meiner vollste» Ueberzeugung gar keinen Theil daran
hat, dafür in Anspruch genommen, woran die irreführender Gerüchte und Be¬
hauptungen Schuld, die von den wahren Verbrechern ausgestreut worden waren."
Jetzt war der Mann zur entgegengesetzten Ansicht durchgedrungen, Gott weiß,
durch welche Erwägungen. Sein geradezu komisches Buch,**) „verworren und
verwaschen, wie sein Titel, entzieht sich" — wie Mittelstädt treffend bemerkt —
„in der Fülle seiner unglaublichen Gedankenlosigkeit jeder ernsthaften Kritik" —
und legte die peinliche Frage nahe, durch welche Leistung wohl der Ver¬
fasser Professor geworden und ob es nicht schriftstellerische Delikte gebe,
welche den dauernden Verlust dieses gelehrten Titels nach sich ziehen
müßten. So harmlos und unbefangen stand der Verfasser seinem Stoffe
und seiner früheren Arbeit über denselben Gegenstand gegenüber, daß er
von seinem jetzigen Machwerk, das blindlings für das badische Prinzenthum
Kaspar Hauser's eintrat, zu sagen wagte; „er habe in seinen „Enthüllungen"
die Wahrheit nur „umgangen" und jetzt seine Ansicht „vervollständigt"! Selbst¬
verständlich fehlte in diesem lieblichen Chorus von Bosheit, Leidenschaft und
Gedankenlosigkeit nicht das Organ des Berliner Weißbierphilisters, die „Tante
Voß", die in den ersten drei Nummern ihrer Sonntagsbeilage von 1875 mit
der unfehlbaren Weisheit, welche an dieser Stelle die letzten Gründe aller
Dinge ausspricht, das gediegene Urtheil verkündete: „während Hauser von
Einigen als Betrüger bezeichnet wurde, halten ihn Andere für den durch ein
furchtbares Verbreche» um sein Lebensglück und um sein Recht gebrachten
Thronerben von Baden. Die letztere Ansicht muß heute als durchaus erwiesen
angesehen werden." So konnte denn Papa Kolb im März 1875 seine bereits
oben citirte neue Serie von Kaspar-Hanser-Artikeln in der „Frankfurter Zeitung"
mit dem triumphirenden Satze eröffnen: „Die im wesentlichen bereits erfolgte
Lüftung des Schleiers wird nicht ferner bestritten."

Um dem Leser ein vollständiges chronologisches Bild über die Kaspar-




Augsbnrger Mg. Ztg Beilage vom 12. und 20. März 1872. S. 640/119S fg.
„Kaspar Häuser, sein Wesen, seine Unschuld, seine Erdnldungen und sein Ursprung
in neuer gründlicher Erörterung und Nachweisung." Regensburg, 1873, 463 Seiten in groß
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/394>, abgerufen am 27.07.2024.