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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Vordergrund seiner Untersuchung gestellte Frage, ob Kaspar Hauser ein Be¬
trüger gewesen sei, nur dann von entscheidender Wichtigkeit gewesen, wenn er
hätte nachweisen können, daß Kaspar Hauser selbst gewußt habe, wer seine
Eltern gewesen. Diese Behauptung ist indessen bisher von Niemanden aufge¬
stellt, als noch viel weniger bewiesen worden. Der dem Kaspar Hanser bei¬
gemessene Betrug erstreckt sich vielmehr nnr auf die Märchen und Widersprüche,
die er über seine Jngend, namentlich seine Gefangenschaft erzählte, ferner auf
die Simulation völliger Bildungslosigkeit u, s. w. bei seinem ersten Erscheinen
in Nürnberg.

Wenn also dieser Einwand gegen die Meyer'sche Schrift erhoben worden
wäre, so hätte man ihn als berechtigt anerkennen müssen. Statt dessen häufte
Herr Kolb auf den Verfasser nur die gröbsten Schmähungen.") Meyer wurde
als feiles Werkzeug der badischen Regierung hingestellt, da man in Frankfurt
gar nicht begreifen konnte, daß ein Sohn zur Ehrenrettung seines Vaters an
eine so umfangreiche Arbeit gegangen sei. Meyer mußte auf Bestellung der
badischen Negierung geschrieben haben, obwohl er nur in zwei Anmerkungen"")
die Hypothese vom badischen Prinzenthume Hauser's ganz flüchtig streifte. Es
nützte ihm nichts, daß Direktor Schmauß in Nürnberg das Lächerliche dieser
Insinuation öffentlich bezeugte. Man vermißte in dem Meyer'schen Buche
einige Schriftstücke, welche mau in der Eschenheimer Gasse für besonders wichtig
hielt und mau klagte empört über Entstellung und Fälschung. Die vermißten
Urkunden gehörten nicht einmal zu dem von Meyer bearbeiteten Aktenmaterial
und waren noch weniger relevant. Meyer hatte sich begnügt auszusprechen:
wenn Hauser ein Betrüger ist, so kann er kein badischer Prinz sein. Herr
Kolb verdrehte diese Alternative zu der andern: wenn wir nachweisen, daß
Hauser kein Betrüger war, so ist dargethan, daß er Erbprinz von Baden war.
Während man auf der einen Seite die Langweiligkeit, Unerheblichkeit.Verdächtigten,
Unwahrheit des Meyer'schen Buches gebührend brandmarkte, wurde andrer¬
seits aus allen Gassen und Winkeln Alles zusammengekehrt, was geeignet erscheinen
konnte, das badische Prinzeuthum Hausers mit neuen Beweismitteln zu stützen.

Und nnn gesellten sich zu der Kolb'schen Clique auch Namen von achtungs¬
werthem Klang. Der bairische Oberappellationsgerichtsrath von Tücher glaubte
einige ihn verletzende Bemerkungen des Meyer'schen Buches am besten dadurch
abzustrafen, daß er erklärte, er glaube an die "schwer wiegende", ohne Widerspruch
und Gegenbeweis gebliebene Anklage Feuerbach's, "der doch den richtigsten
Blick in der Sache gethan"; ja dieses Mitglied des obersten bairischen Gerichts-




') Frnnffurter Zeitung Ur. 46, 47, 61, 64, 86, 6i, g2 vom I. März fig. 1872;
Feuilleton "Erbprinz oder Betrüger", und in No. 77, 78, 82, 33, 89 vom März 1376,
-) S. 644 und 692.

Vordergrund seiner Untersuchung gestellte Frage, ob Kaspar Hauser ein Be¬
trüger gewesen sei, nur dann von entscheidender Wichtigkeit gewesen, wenn er
hätte nachweisen können, daß Kaspar Hauser selbst gewußt habe, wer seine
Eltern gewesen. Diese Behauptung ist indessen bisher von Niemanden aufge¬
stellt, als noch viel weniger bewiesen worden. Der dem Kaspar Hanser bei¬
gemessene Betrug erstreckt sich vielmehr nnr auf die Märchen und Widersprüche,
die er über seine Jngend, namentlich seine Gefangenschaft erzählte, ferner auf
die Simulation völliger Bildungslosigkeit u, s. w. bei seinem ersten Erscheinen
in Nürnberg.

Wenn also dieser Einwand gegen die Meyer'sche Schrift erhoben worden
wäre, so hätte man ihn als berechtigt anerkennen müssen. Statt dessen häufte
Herr Kolb auf den Verfasser nur die gröbsten Schmähungen.") Meyer wurde
als feiles Werkzeug der badischen Regierung hingestellt, da man in Frankfurt
gar nicht begreifen konnte, daß ein Sohn zur Ehrenrettung seines Vaters an
eine so umfangreiche Arbeit gegangen sei. Meyer mußte auf Bestellung der
badischen Negierung geschrieben haben, obwohl er nur in zwei Anmerkungen"")
die Hypothese vom badischen Prinzenthume Hauser's ganz flüchtig streifte. Es
nützte ihm nichts, daß Direktor Schmauß in Nürnberg das Lächerliche dieser
Insinuation öffentlich bezeugte. Man vermißte in dem Meyer'schen Buche
einige Schriftstücke, welche mau in der Eschenheimer Gasse für besonders wichtig
hielt und mau klagte empört über Entstellung und Fälschung. Die vermißten
Urkunden gehörten nicht einmal zu dem von Meyer bearbeiteten Aktenmaterial
und waren noch weniger relevant. Meyer hatte sich begnügt auszusprechen:
wenn Hauser ein Betrüger ist, so kann er kein badischer Prinz sein. Herr
Kolb verdrehte diese Alternative zu der andern: wenn wir nachweisen, daß
Hauser kein Betrüger war, so ist dargethan, daß er Erbprinz von Baden war.
Während man auf der einen Seite die Langweiligkeit, Unerheblichkeit.Verdächtigten,
Unwahrheit des Meyer'schen Buches gebührend brandmarkte, wurde andrer¬
seits aus allen Gassen und Winkeln Alles zusammengekehrt, was geeignet erscheinen
konnte, das badische Prinzeuthum Hausers mit neuen Beweismitteln zu stützen.

Und nnn gesellten sich zu der Kolb'schen Clique auch Namen von achtungs¬
werthem Klang. Der bairische Oberappellationsgerichtsrath von Tücher glaubte
einige ihn verletzende Bemerkungen des Meyer'schen Buches am besten dadurch
abzustrafen, daß er erklärte, er glaube an die „schwer wiegende", ohne Widerspruch
und Gegenbeweis gebliebene Anklage Feuerbach's, „der doch den richtigsten
Blick in der Sache gethan"; ja dieses Mitglied des obersten bairischen Gerichts-




') Frnnffurter Zeitung Ur. 46, 47, 61, 64, 86, 6i, g2 vom I. März fig. 1872;
Feuilleton „Erbprinz oder Betrüger", und in No. 77, 78, 82, 33, 89 vom März 1376,
-) S. 644 und 692.
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[0393] Vordergrund seiner Untersuchung gestellte Frage, ob Kaspar Hauser ein Be¬ trüger gewesen sei, nur dann von entscheidender Wichtigkeit gewesen, wenn er hätte nachweisen können, daß Kaspar Hauser selbst gewußt habe, wer seine Eltern gewesen. Diese Behauptung ist indessen bisher von Niemanden aufge¬ stellt, als noch viel weniger bewiesen worden. Der dem Kaspar Hanser bei¬ gemessene Betrug erstreckt sich vielmehr nnr auf die Märchen und Widersprüche, die er über seine Jngend, namentlich seine Gefangenschaft erzählte, ferner auf die Simulation völliger Bildungslosigkeit u, s. w. bei seinem ersten Erscheinen in Nürnberg. Wenn also dieser Einwand gegen die Meyer'sche Schrift erhoben worden wäre, so hätte man ihn als berechtigt anerkennen müssen. Statt dessen häufte Herr Kolb auf den Verfasser nur die gröbsten Schmähungen.") Meyer wurde als feiles Werkzeug der badischen Regierung hingestellt, da man in Frankfurt gar nicht begreifen konnte, daß ein Sohn zur Ehrenrettung seines Vaters an eine so umfangreiche Arbeit gegangen sei. Meyer mußte auf Bestellung der badischen Negierung geschrieben haben, obwohl er nur in zwei Anmerkungen"") die Hypothese vom badischen Prinzenthume Hauser's ganz flüchtig streifte. Es nützte ihm nichts, daß Direktor Schmauß in Nürnberg das Lächerliche dieser Insinuation öffentlich bezeugte. Man vermißte in dem Meyer'schen Buche einige Schriftstücke, welche mau in der Eschenheimer Gasse für besonders wichtig hielt und mau klagte empört über Entstellung und Fälschung. Die vermißten Urkunden gehörten nicht einmal zu dem von Meyer bearbeiteten Aktenmaterial und waren noch weniger relevant. Meyer hatte sich begnügt auszusprechen: wenn Hauser ein Betrüger ist, so kann er kein badischer Prinz sein. Herr Kolb verdrehte diese Alternative zu der andern: wenn wir nachweisen, daß Hauser kein Betrüger war, so ist dargethan, daß er Erbprinz von Baden war. Während man auf der einen Seite die Langweiligkeit, Unerheblichkeit.Verdächtigten, Unwahrheit des Meyer'schen Buches gebührend brandmarkte, wurde andrer¬ seits aus allen Gassen und Winkeln Alles zusammengekehrt, was geeignet erscheinen konnte, das badische Prinzeuthum Hausers mit neuen Beweismitteln zu stützen. Und nnn gesellten sich zu der Kolb'schen Clique auch Namen von achtungs¬ werthem Klang. Der bairische Oberappellationsgerichtsrath von Tücher glaubte einige ihn verletzende Bemerkungen des Meyer'schen Buches am besten dadurch abzustrafen, daß er erklärte, er glaube an die „schwer wiegende", ohne Widerspruch und Gegenbeweis gebliebene Anklage Feuerbach's, „der doch den richtigsten Blick in der Sache gethan"; ja dieses Mitglied des obersten bairischen Gerichts- ') Frnnffurter Zeitung Ur. 46, 47, 61, 64, 86, 6i, g2 vom I. März fig. 1872; Feuilleton „Erbprinz oder Betrüger", und in No. 77, 78, 82, 33, 89 vom März 1376, -) S. 644 und 692.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/393>, abgerufen am 27.07.2024.