Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Den Mitgliedern des Reichstages ist es übel gelohnt worden, daß sie am
Donnerstag in genügender Anzahl nach Berlin zurückgekehrt waren. Nach
einer einzigen kurzen Sitzung, deren Kern die erste Berathung des Gesetzent¬
wurfs über den Feingehalt von Gold- und Silberwaaren bildete, erfolgte sofort
eine neue Pause von vier Tagen, und noch ist nicht abzusehen, ob sich das
gleiche Spiel nicht auch ferner wiederholen wird. Der preußische Landtag
hätte nach den Berechnungen, die man noch zu Anfang der abgelaufenen
Woche mit vollem Recht aufstellen durste, bequem am 23. März geschlossen
werden können; durch die Einbringung eines Nachtrags zum Staatshaushalts¬
etat aber, der nichts Geringeres als eine tief greifende Umgestaltung der
Organisation der preußischen Centralverwaltung bezweckt, erschien die Situation
mit einem Schlage vollständig umgewandelt. Die Absicht dieser Vorlage geht dahin,
die Verwaltung des Eisenbahnwesens aus dem Handelsministerium auszuscheiden
und einem besonderen Eisenbahnministerium zu unterstellen, ferner die Verwaltung
der Domänen und Forsten vom Finanzministerium abzutrennen und mit dem
landwirtschaftlichen Ministerium zu vereinigen, endlich einen besonderen Posten
für einen Vicepräsidenten des Staatsministeriums zu errichten.

Alle Parteien im Landtage waren durch dies Organisationsprojekt, dessen
Tragweite auf der Hand liegt, höchlich und peinlich überrascht. Nicht durch,
seinen Inhalt, wohl aber durch die Form, in welcher es vorgebracht wurde.
Der Reichstag hatte seine Sitzungen nur ungern unterbrochen, um dem Land¬
tage die zur Erledigung absolut dringlicher Arbeiten erforderliche Zeit zu
lassen. Wie hätte es nicht das größte Befremden erregen sollen, daß inmitten
einer so bedrängten Lage der parlamentarischen Geschäfte die preußische Regierung
urplötzlich mit einem Plane auftrat, der, wenn er noch in der gegenwärtigen
Session zu einem praktischen Ende geführt werden sollte, entweder eine abgekürzte
legislatorische Behandlung, welche einer Abdankung der Volksvertretung gleich
kommen würde, voraussetzen oder eine noch gar nicht absehbare Störung
der Verhandlungen des Reichstags zur Folge haben müßte? Kein Unbefangener
wird es unter diesem Gesichtspunkte der Majorität des Abgeordnetenhauses
verargen können, daß sie auf den Gesetzentwurf im gegenwärtigen Augenblicke
näher einzugehen nicht geneigt ist. Ueber's Knie kann und darf eine so wichtige
Angelegenheit nicht gebrochen werden. Ganz abgesehen davon, ob die Errichtung
eines eigenen Eisenbahnministeriums überhaupt nothwendig und zweckmäßig



Den Mitgliedern des Reichstages ist es übel gelohnt worden, daß sie am
Donnerstag in genügender Anzahl nach Berlin zurückgekehrt waren. Nach
einer einzigen kurzen Sitzung, deren Kern die erste Berathung des Gesetzent¬
wurfs über den Feingehalt von Gold- und Silberwaaren bildete, erfolgte sofort
eine neue Pause von vier Tagen, und noch ist nicht abzusehen, ob sich das
gleiche Spiel nicht auch ferner wiederholen wird. Der preußische Landtag
hätte nach den Berechnungen, die man noch zu Anfang der abgelaufenen
Woche mit vollem Recht aufstellen durste, bequem am 23. März geschlossen
werden können; durch die Einbringung eines Nachtrags zum Staatshaushalts¬
etat aber, der nichts Geringeres als eine tief greifende Umgestaltung der
Organisation der preußischen Centralverwaltung bezweckt, erschien die Situation
mit einem Schlage vollständig umgewandelt. Die Absicht dieser Vorlage geht dahin,
die Verwaltung des Eisenbahnwesens aus dem Handelsministerium auszuscheiden
und einem besonderen Eisenbahnministerium zu unterstellen, ferner die Verwaltung
der Domänen und Forsten vom Finanzministerium abzutrennen und mit dem
landwirtschaftlichen Ministerium zu vereinigen, endlich einen besonderen Posten
für einen Vicepräsidenten des Staatsministeriums zu errichten.

Alle Parteien im Landtage waren durch dies Organisationsprojekt, dessen
Tragweite auf der Hand liegt, höchlich und peinlich überrascht. Nicht durch,
seinen Inhalt, wohl aber durch die Form, in welcher es vorgebracht wurde.
Der Reichstag hatte seine Sitzungen nur ungern unterbrochen, um dem Land¬
tage die zur Erledigung absolut dringlicher Arbeiten erforderliche Zeit zu
lassen. Wie hätte es nicht das größte Befremden erregen sollen, daß inmitten
einer so bedrängten Lage der parlamentarischen Geschäfte die preußische Regierung
urplötzlich mit einem Plane auftrat, der, wenn er noch in der gegenwärtigen
Session zu einem praktischen Ende geführt werden sollte, entweder eine abgekürzte
legislatorische Behandlung, welche einer Abdankung der Volksvertretung gleich
kommen würde, voraussetzen oder eine noch gar nicht absehbare Störung
der Verhandlungen des Reichstags zur Folge haben müßte? Kein Unbefangener
wird es unter diesem Gesichtspunkte der Majorität des Abgeordnetenhauses
verargen können, daß sie auf den Gesetzentwurf im gegenwärtigen Augenblicke
näher einzugehen nicht geneigt ist. Ueber's Knie kann und darf eine so wichtige
Angelegenheit nicht gebrochen werden. Ganz abgesehen davon, ob die Errichtung
eines eigenen Eisenbahnministeriums überhaupt nothwendig und zweckmäßig


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139859"/><lb/>
          <p xml:id="ID_113"> Den Mitgliedern des Reichstages ist es übel gelohnt worden, daß sie am<lb/>
Donnerstag in genügender Anzahl nach Berlin zurückgekehrt waren. Nach<lb/>
einer einzigen kurzen Sitzung, deren Kern die erste Berathung des Gesetzent¬<lb/>
wurfs über den Feingehalt von Gold- und Silberwaaren bildete, erfolgte sofort<lb/>
eine neue Pause von vier Tagen, und noch ist nicht abzusehen, ob sich das<lb/>
gleiche Spiel nicht auch ferner wiederholen wird. Der preußische Landtag<lb/>
hätte nach den Berechnungen, die man noch zu Anfang der abgelaufenen<lb/>
Woche mit vollem Recht aufstellen durste, bequem am 23. März geschlossen<lb/>
werden können; durch die Einbringung eines Nachtrags zum Staatshaushalts¬<lb/>
etat aber, der nichts Geringeres als eine tief greifende Umgestaltung der<lb/>
Organisation der preußischen Centralverwaltung bezweckt, erschien die Situation<lb/>
mit einem Schlage vollständig umgewandelt. Die Absicht dieser Vorlage geht dahin,<lb/>
die Verwaltung des Eisenbahnwesens aus dem Handelsministerium auszuscheiden<lb/>
und einem besonderen Eisenbahnministerium zu unterstellen, ferner die Verwaltung<lb/>
der Domänen und Forsten vom Finanzministerium abzutrennen und mit dem<lb/>
landwirtschaftlichen Ministerium zu vereinigen, endlich einen besonderen Posten<lb/>
für einen Vicepräsidenten des Staatsministeriums zu errichten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_114" next="#ID_115"> Alle Parteien im Landtage waren durch dies Organisationsprojekt, dessen<lb/>
Tragweite auf der Hand liegt, höchlich und peinlich überrascht. Nicht durch,<lb/>
seinen Inhalt, wohl aber durch die Form, in welcher es vorgebracht wurde.<lb/>
Der Reichstag hatte seine Sitzungen nur ungern unterbrochen, um dem Land¬<lb/>
tage die zur Erledigung absolut dringlicher Arbeiten erforderliche Zeit zu<lb/>
lassen. Wie hätte es nicht das größte Befremden erregen sollen, daß inmitten<lb/>
einer so bedrängten Lage der parlamentarischen Geschäfte die preußische Regierung<lb/>
urplötzlich mit einem Plane auftrat, der, wenn er noch in der gegenwärtigen<lb/>
Session zu einem praktischen Ende geführt werden sollte, entweder eine abgekürzte<lb/>
legislatorische Behandlung, welche einer Abdankung der Volksvertretung gleich<lb/>
kommen würde, voraussetzen oder eine noch gar nicht absehbare Störung<lb/>
der Verhandlungen des Reichstags zur Folge haben müßte? Kein Unbefangener<lb/>
wird es unter diesem Gesichtspunkte der Majorität des Abgeordnetenhauses<lb/>
verargen können, daß sie auf den Gesetzentwurf im gegenwärtigen Augenblicke<lb/>
näher einzugehen nicht geneigt ist. Ueber's Knie kann und darf eine so wichtige<lb/>
Angelegenheit nicht gebrochen werden. Ganz abgesehen davon, ob die Errichtung<lb/>
eines eigenen Eisenbahnministeriums überhaupt nothwendig und zweckmäßig</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0038] Den Mitgliedern des Reichstages ist es übel gelohnt worden, daß sie am Donnerstag in genügender Anzahl nach Berlin zurückgekehrt waren. Nach einer einzigen kurzen Sitzung, deren Kern die erste Berathung des Gesetzent¬ wurfs über den Feingehalt von Gold- und Silberwaaren bildete, erfolgte sofort eine neue Pause von vier Tagen, und noch ist nicht abzusehen, ob sich das gleiche Spiel nicht auch ferner wiederholen wird. Der preußische Landtag hätte nach den Berechnungen, die man noch zu Anfang der abgelaufenen Woche mit vollem Recht aufstellen durste, bequem am 23. März geschlossen werden können; durch die Einbringung eines Nachtrags zum Staatshaushalts¬ etat aber, der nichts Geringeres als eine tief greifende Umgestaltung der Organisation der preußischen Centralverwaltung bezweckt, erschien die Situation mit einem Schlage vollständig umgewandelt. Die Absicht dieser Vorlage geht dahin, die Verwaltung des Eisenbahnwesens aus dem Handelsministerium auszuscheiden und einem besonderen Eisenbahnministerium zu unterstellen, ferner die Verwaltung der Domänen und Forsten vom Finanzministerium abzutrennen und mit dem landwirtschaftlichen Ministerium zu vereinigen, endlich einen besonderen Posten für einen Vicepräsidenten des Staatsministeriums zu errichten. Alle Parteien im Landtage waren durch dies Organisationsprojekt, dessen Tragweite auf der Hand liegt, höchlich und peinlich überrascht. Nicht durch, seinen Inhalt, wohl aber durch die Form, in welcher es vorgebracht wurde. Der Reichstag hatte seine Sitzungen nur ungern unterbrochen, um dem Land¬ tage die zur Erledigung absolut dringlicher Arbeiten erforderliche Zeit zu lassen. Wie hätte es nicht das größte Befremden erregen sollen, daß inmitten einer so bedrängten Lage der parlamentarischen Geschäfte die preußische Regierung urplötzlich mit einem Plane auftrat, der, wenn er noch in der gegenwärtigen Session zu einem praktischen Ende geführt werden sollte, entweder eine abgekürzte legislatorische Behandlung, welche einer Abdankung der Volksvertretung gleich kommen würde, voraussetzen oder eine noch gar nicht absehbare Störung der Verhandlungen des Reichstags zur Folge haben müßte? Kein Unbefangener wird es unter diesem Gesichtspunkte der Majorität des Abgeordnetenhauses verargen können, daß sie auf den Gesetzentwurf im gegenwärtigen Augenblicke näher einzugehen nicht geneigt ist. Ueber's Knie kann und darf eine so wichtige Angelegenheit nicht gebrochen werden. Ganz abgesehen davon, ob die Errichtung eines eigenen Eisenbahnministeriums überhaupt nothwendig und zweckmäßig

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/38
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/38>, abgerufen am 29.12.2024.