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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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streng geahndet. Wer nach protestantischen Ritus heirathen oder sein Kind
laufen lassen wollte, mußte es heimlich thun, auf die Gefahr hin entdeckt und
bestraft zu werden. Und so ging es immer weiter, ein Schritt zog den andern
nach sich. Am Ende betrachtete - man ganz naturgemäß die protestantische
Bürgerschaft als Feindin der Stadt, die nach Möglichkeit unschädlich zu
machen sei.

Bei alledem kann man nicht sagen, daß der Rath mit unnöthiger Härte
verfahren sei. Im Gegentheil, er ging mit größtmöglicher Schonung zu Werke;
die rücksichtsvolle Behandlung, die er den Ketzern angedeihen ließ, erregte nicht
selten den Zorn der Geistlichkeit, besonders des damaligen Bischofs, Heinrich
von Knöringen, und es bedürfte öfterer kaiserlicher Reseripte, um die "segens¬
reiche Reformation" nicht wieder einschlafen zu lassen. Allein die Sache ließ sich
eben einmal nicht durchführen, ohne fortwährende Aergernisse und Gehässigkeiten,
ohne vielfache schwere Eingriffe in die verbrieften Rechte der Evangelischen.
Von den Anhängern der proseribirten Confession ließen sich manche bekehren,
viele zogen aus der Stadt, die große Masse harrte aus, äußerlich geduldig,
aber mit immer steigender Erbitterung. Während öffentlich in den Kirchen
Gottes Hilfe erfleht wurde zur Ausrottung und gänzlichen Vertilgung aller
Ketzerei, sangen die verfolgten Irrgläubigen mit nur um so leidenschaftlicherer
Inbrunst insgeheim das Lied:


Erhalt uns Herr bei Deinem Wort
Und stürz des Papstes und Türken Mord.

Der Rath erreichte durch seine Nachgiebigkeit gegen den Willen des Kaisers
in diesem Reformationswerke allerdings Eins -- und dies Eine war von nicht
geringer Bedeutung -- nämlich, daß die Stadt vorläufig zwar Kriegssteuern
zahlen mußte, aber von einer fremden Besatzung verschont blieb. Und in der
That wurde die Stadt erst gegen Ende März 1632, also wenige Wochen vor
der Einnahme der Stadt durch Gustav Adolf und nachdem das schwedische Heer
schon ziemlich nahe herangekommen war, genöthigt, katholische Truppen einziehen
zu lassen. (25. März.) -- Mit dem Einmarsch einer fremden Besatzung began¬
nen nun alsbald die soldatischen Willkürlichkeiten, Plackereien und Erpressungen.
Der zu jeuer Zeit vielgenannte Augsburger Patrizier, Kunstkenner, Neuigkeits-
krämer und Correspondent vieler Fürsten und Herren, Philipp Ha in Hof er,
einer der wegen ihres lutherischen Glaubens abgesetzten Gerichtsherren, aber
sonst ein sehr gemäßigter und unter den Mitgliedern des katholischen Raths
allgemein beliebter Mann, weiß davon eine Geschichte zu erzählen. In einem
seiner vielen Briefe nämlich war hinsichtlich einer Neuangekommenen Abtheilung
bayrischer Reiter der Ausdruck "Oclberger" d, h. Schlafmützen untergelaufen.
Dieser Brief kam durch einen unglücklichen Zufall dem bayrischen Obersten


streng geahndet. Wer nach protestantischen Ritus heirathen oder sein Kind
laufen lassen wollte, mußte es heimlich thun, auf die Gefahr hin entdeckt und
bestraft zu werden. Und so ging es immer weiter, ein Schritt zog den andern
nach sich. Am Ende betrachtete - man ganz naturgemäß die protestantische
Bürgerschaft als Feindin der Stadt, die nach Möglichkeit unschädlich zu
machen sei.

Bei alledem kann man nicht sagen, daß der Rath mit unnöthiger Härte
verfahren sei. Im Gegentheil, er ging mit größtmöglicher Schonung zu Werke;
die rücksichtsvolle Behandlung, die er den Ketzern angedeihen ließ, erregte nicht
selten den Zorn der Geistlichkeit, besonders des damaligen Bischofs, Heinrich
von Knöringen, und es bedürfte öfterer kaiserlicher Reseripte, um die „segens¬
reiche Reformation" nicht wieder einschlafen zu lassen. Allein die Sache ließ sich
eben einmal nicht durchführen, ohne fortwährende Aergernisse und Gehässigkeiten,
ohne vielfache schwere Eingriffe in die verbrieften Rechte der Evangelischen.
Von den Anhängern der proseribirten Confession ließen sich manche bekehren,
viele zogen aus der Stadt, die große Masse harrte aus, äußerlich geduldig,
aber mit immer steigender Erbitterung. Während öffentlich in den Kirchen
Gottes Hilfe erfleht wurde zur Ausrottung und gänzlichen Vertilgung aller
Ketzerei, sangen die verfolgten Irrgläubigen mit nur um so leidenschaftlicherer
Inbrunst insgeheim das Lied:


Erhalt uns Herr bei Deinem Wort
Und stürz des Papstes und Türken Mord.

Der Rath erreichte durch seine Nachgiebigkeit gegen den Willen des Kaisers
in diesem Reformationswerke allerdings Eins — und dies Eine war von nicht
geringer Bedeutung — nämlich, daß die Stadt vorläufig zwar Kriegssteuern
zahlen mußte, aber von einer fremden Besatzung verschont blieb. Und in der
That wurde die Stadt erst gegen Ende März 1632, also wenige Wochen vor
der Einnahme der Stadt durch Gustav Adolf und nachdem das schwedische Heer
schon ziemlich nahe herangekommen war, genöthigt, katholische Truppen einziehen
zu lassen. (25. März.) — Mit dem Einmarsch einer fremden Besatzung began¬
nen nun alsbald die soldatischen Willkürlichkeiten, Plackereien und Erpressungen.
Der zu jeuer Zeit vielgenannte Augsburger Patrizier, Kunstkenner, Neuigkeits-
krämer und Correspondent vieler Fürsten und Herren, Philipp Ha in Hof er,
einer der wegen ihres lutherischen Glaubens abgesetzten Gerichtsherren, aber
sonst ein sehr gemäßigter und unter den Mitgliedern des katholischen Raths
allgemein beliebter Mann, weiß davon eine Geschichte zu erzählen. In einem
seiner vielen Briefe nämlich war hinsichtlich einer Neuangekommenen Abtheilung
bayrischer Reiter der Ausdruck „Oclberger" d, h. Schlafmützen untergelaufen.
Dieser Brief kam durch einen unglücklichen Zufall dem bayrischen Obersten


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[0367] streng geahndet. Wer nach protestantischen Ritus heirathen oder sein Kind laufen lassen wollte, mußte es heimlich thun, auf die Gefahr hin entdeckt und bestraft zu werden. Und so ging es immer weiter, ein Schritt zog den andern nach sich. Am Ende betrachtete - man ganz naturgemäß die protestantische Bürgerschaft als Feindin der Stadt, die nach Möglichkeit unschädlich zu machen sei. Bei alledem kann man nicht sagen, daß der Rath mit unnöthiger Härte verfahren sei. Im Gegentheil, er ging mit größtmöglicher Schonung zu Werke; die rücksichtsvolle Behandlung, die er den Ketzern angedeihen ließ, erregte nicht selten den Zorn der Geistlichkeit, besonders des damaligen Bischofs, Heinrich von Knöringen, und es bedürfte öfterer kaiserlicher Reseripte, um die „segens¬ reiche Reformation" nicht wieder einschlafen zu lassen. Allein die Sache ließ sich eben einmal nicht durchführen, ohne fortwährende Aergernisse und Gehässigkeiten, ohne vielfache schwere Eingriffe in die verbrieften Rechte der Evangelischen. Von den Anhängern der proseribirten Confession ließen sich manche bekehren, viele zogen aus der Stadt, die große Masse harrte aus, äußerlich geduldig, aber mit immer steigender Erbitterung. Während öffentlich in den Kirchen Gottes Hilfe erfleht wurde zur Ausrottung und gänzlichen Vertilgung aller Ketzerei, sangen die verfolgten Irrgläubigen mit nur um so leidenschaftlicherer Inbrunst insgeheim das Lied: Erhalt uns Herr bei Deinem Wort Und stürz des Papstes und Türken Mord. Der Rath erreichte durch seine Nachgiebigkeit gegen den Willen des Kaisers in diesem Reformationswerke allerdings Eins — und dies Eine war von nicht geringer Bedeutung — nämlich, daß die Stadt vorläufig zwar Kriegssteuern zahlen mußte, aber von einer fremden Besatzung verschont blieb. Und in der That wurde die Stadt erst gegen Ende März 1632, also wenige Wochen vor der Einnahme der Stadt durch Gustav Adolf und nachdem das schwedische Heer schon ziemlich nahe herangekommen war, genöthigt, katholische Truppen einziehen zu lassen. (25. März.) — Mit dem Einmarsch einer fremden Besatzung began¬ nen nun alsbald die soldatischen Willkürlichkeiten, Plackereien und Erpressungen. Der zu jeuer Zeit vielgenannte Augsburger Patrizier, Kunstkenner, Neuigkeits- krämer und Correspondent vieler Fürsten und Herren, Philipp Ha in Hof er, einer der wegen ihres lutherischen Glaubens abgesetzten Gerichtsherren, aber sonst ein sehr gemäßigter und unter den Mitgliedern des katholischen Raths allgemein beliebter Mann, weiß davon eine Geschichte zu erzählen. In einem seiner vielen Briefe nämlich war hinsichtlich einer Neuangekommenen Abtheilung bayrischer Reiter der Ausdruck „Oclberger" d, h. Schlafmützen untergelaufen. Dieser Brief kam durch einen unglücklichen Zufall dem bayrischen Obersten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/367>, abgerufen am 01.09.2024.