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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Die gerichtlichen Kostengesetze wurden unter Zustimmung der Regierung
nach den Vorschlägen der Kommission "r>, divo angenommen. Von den zu
Anfang der Session eingebrachten Steuervorlagen war der herzlich unbedeutende
Spielkartenstempel wieder ans Licht gelangt und erhielt in den von der Bud¬
getkommission reduzirten Sätzen die Zustimmung des Hauses. Außerdem ist
noch erwähnenswerth, daß die Handelskonvention mit Rumänien, bei deren
erster Berathung der Schutzzöllner von Kardorff wieder einmal seine haar¬
sträubende Handelsbilanztheorie vortrug, einer Kommission überwiesen ward, um
eine Fassung festzustellen, durch welche den deutschen Juden in Rumänien die
gleiche rechtliche Behandlung wie den übrigen deutschen Reichsbürgern ge¬
sichert wird.

Schließlich noch die Berichtigung eines launigen Druckfehlers. Der Setzer
hat in unserem vorigen Briefe die "Steuerreformabsichten der Reichsregierung"
in "Steuerreformabsichtcn der Reichs vezire" umgewandelt. Wir wollen doch
nicht unterlassen, die Verantwortlichkeit für diese Anspielung auf die türkische
Fi X- e- nanzwirthschaft von uns abzulehnen.




Der Gesetzentwurf gegen die Sozialdemokratie.

In den letzten Stunden vor Schluß d. Bl. ist der Entwurf bekannt ge¬
worden, welchen das preußische Staatsministerium "zur Abwehr sozialdemo¬
kratischer Ausschreitungen" an den Bundesrat!) gerichtet hat. Zugleich erfahren
wir, daß dieser Entwurf von den Ministern Preußens unter dem Vorsitz von
Falk, einhellig in der uns vorliegenden Fassung angenommen worden ist.
Es haben also auch die Minister Falk und Friedenthal, an deren Freisinn
Niemand zweifelt, Hobrecht, und der ebenso maßvolle als humane ausgezeichnete
Jurist Staatssekretnir Friedberg (in Vertretung des erkrankten Justizministers
Leonhardt), an diesem Beschlusse Theil genommen. Der Entwurf ist zudem der
Gegenstand sehr eingehender Berathungen der preußischen Minister gewesen.

Schon diese erste Entstehungsgeschichte des Entwurfs hält uns ab, einzu¬
stimmen in das Votum reiner Ablehnung, welches die neuesten Zeitungen aller
liberalen Fraktionen über den Entwurf abgeben.

Wir geben zu: der Entwurf bedarf erheblicher Aenderungen, ehe er Gesetz
werden kann. Der Begriff "Ziele der Sozialdemokratie" muß genau definirt
werden, wenn "Druckschriften und Vereine, welche diese Ziele verfolgen", sollen
verboten werden können; und doch wieder weit genug, damit die Sozialdemokratie
nicht mit einem ihrer beliebten Taschenspielerkunststückchen sich der Wirksamkeit
des Gesetzes entzieht. Doch in dieser Hinsicht bieten die Kongreßbeschlüsse der
Sozialisten, die anerkannten Organe der Partei und die Heilsschriften der
Führer so reiches Material, daß die Feststellung dieses Begriffes nicht schwer
fallen wird. Desgleichen wird eine genauere Fassung namentlich der § 3, und
6. unumgänglich nothwendig sein. Ueber das Prinzip des F 1., welcher die
Befugniß des Verbotes sozialistischer Druckschriften und Vereine in die Hände
des Bundesrathes unter Kontrole des Reichstages legen will und über die
Strafart nud das Strafmaß der folgenden Paragraphen läßt sich diskutiren.


Die gerichtlichen Kostengesetze wurden unter Zustimmung der Regierung
nach den Vorschlägen der Kommission «r>, divo angenommen. Von den zu
Anfang der Session eingebrachten Steuervorlagen war der herzlich unbedeutende
Spielkartenstempel wieder ans Licht gelangt und erhielt in den von der Bud¬
getkommission reduzirten Sätzen die Zustimmung des Hauses. Außerdem ist
noch erwähnenswerth, daß die Handelskonvention mit Rumänien, bei deren
erster Berathung der Schutzzöllner von Kardorff wieder einmal seine haar¬
sträubende Handelsbilanztheorie vortrug, einer Kommission überwiesen ward, um
eine Fassung festzustellen, durch welche den deutschen Juden in Rumänien die
gleiche rechtliche Behandlung wie den übrigen deutschen Reichsbürgern ge¬
sichert wird.

Schließlich noch die Berichtigung eines launigen Druckfehlers. Der Setzer
hat in unserem vorigen Briefe die „Steuerreformabsichten der Reichsregierung"
in „Steuerreformabsichtcn der Reichs vezire" umgewandelt. Wir wollen doch
nicht unterlassen, die Verantwortlichkeit für diese Anspielung auf die türkische
Fi X- e- nanzwirthschaft von uns abzulehnen.




Der Gesetzentwurf gegen die Sozialdemokratie.

In den letzten Stunden vor Schluß d. Bl. ist der Entwurf bekannt ge¬
worden, welchen das preußische Staatsministerium „zur Abwehr sozialdemo¬
kratischer Ausschreitungen" an den Bundesrat!) gerichtet hat. Zugleich erfahren
wir, daß dieser Entwurf von den Ministern Preußens unter dem Vorsitz von
Falk, einhellig in der uns vorliegenden Fassung angenommen worden ist.
Es haben also auch die Minister Falk und Friedenthal, an deren Freisinn
Niemand zweifelt, Hobrecht, und der ebenso maßvolle als humane ausgezeichnete
Jurist Staatssekretnir Friedberg (in Vertretung des erkrankten Justizministers
Leonhardt), an diesem Beschlusse Theil genommen. Der Entwurf ist zudem der
Gegenstand sehr eingehender Berathungen der preußischen Minister gewesen.

Schon diese erste Entstehungsgeschichte des Entwurfs hält uns ab, einzu¬
stimmen in das Votum reiner Ablehnung, welches die neuesten Zeitungen aller
liberalen Fraktionen über den Entwurf abgeben.

Wir geben zu: der Entwurf bedarf erheblicher Aenderungen, ehe er Gesetz
werden kann. Der Begriff „Ziele der Sozialdemokratie" muß genau definirt
werden, wenn „Druckschriften und Vereine, welche diese Ziele verfolgen", sollen
verboten werden können; und doch wieder weit genug, damit die Sozialdemokratie
nicht mit einem ihrer beliebten Taschenspielerkunststückchen sich der Wirksamkeit
des Gesetzes entzieht. Doch in dieser Hinsicht bieten die Kongreßbeschlüsse der
Sozialisten, die anerkannten Organe der Partei und die Heilsschriften der
Führer so reiches Material, daß die Feststellung dieses Begriffes nicht schwer
fallen wird. Desgleichen wird eine genauere Fassung namentlich der § 3, und
6. unumgänglich nothwendig sein. Ueber das Prinzip des F 1., welcher die
Befugniß des Verbotes sozialistischer Druckschriften und Vereine in die Hände
des Bundesrathes unter Kontrole des Reichstages legen will und über die
Strafart nud das Strafmaß der folgenden Paragraphen läßt sich diskutiren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/362>, abgerufen am 28.12.2024.