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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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mit dem Onkel nach Genua. Graf Delaiti bleibt allein zurück in der Gesell¬
schaft der Herzogin. Näher und näher hofft er dem Ziel seiner Wünsche zu
kommen. Statt dessen sieht er sich immer ferner diesem Ziele. Denn was der
um zwei Jahre jüngere Emanuel Julia allmälig geworden, erkennt sie erst,
als er ihr fern ist, als er in der Ferne sogar schweigt, nach langen vierzehn
Tagen seinen ersten Brief sendet. Freundlich, aber gemessen antwortet sie.
Harmlos plaudernd setzt er die Korrespondenz fort. Da überrascht der von
Genua zurückkehrende Onkel Emanuel's sie mit der Nachricht, sein Neffe habe
die bestimmte Absicht, das Schiff mit Auswanderern nach Amerika zu begleiten.

Man kann es dem Grafen Delaiti nicht verübeln, daß er sich diese über¬
aus günstige Lage zu Nutze macht, um wenigstens Gewißheit über sein Schicksal
zu erhalten. Wir ahnen schon bestimmt, wie diese Unterredung ausfällt. Die
Herzogin bittet ihn, sich mit ihrer Freundschaft zu begnügen, und sie schweigt,
als er andeutet, daß ein Andrer ihr theurer sei. Flaviano handelt nun treu
seinem gegebenen Wort: er verschwindet aus Val d'Olivi und Roll und unter¬
richtet Emanuel über Alles, was vorgefallen, auch über das, was die Herzogin
verschwiegen hat. Sofort stürmt Emanuel nach Val d'Olivi. Taktvoll und
maßvoll wie immer naht er dem geliebten Weibe und gesteht ihr das tiefste
Geheimniß seines Herzens. Und nun geschieht das Unbegreifliche. Weil sie
"vielleicht in ihm den siegesgewiß auftretenden Bewerber" erblickt, brüskirt
sie ihn mit harten, wirklich unglaublich harten Worten. Und auch er ver¬
schwindet sofort von Roll, Niemand weiß wohin.

Es gehört aber wenig Kombinationsgabe zu der Vermuthung, wohin
Beide sich gewendet haben. Denn Garibaldi macht eben wieder einen Einfall
in das päpstliche Gebiet. Hier finden wir denn auch die jungen Männer, den
Grafen als Offizier, Emanuel als einfachen Soldaten. Die Herzogin eilt
natürlich auch hierher. Sie kommt gerade zur rechten Zeit, um Emanuel als
Schwerverwundeten pflegen zu können, der Graf aber sucht und findet den
Tod im Gefecht von Monterotondo. Damit schließt die Erzählung. Daß die
Ueberlebenden sich heirathen werden, ist uns zweifellos. Der Dichter spricht
es Angesichts des frischen Grabes Flaviano Delaiti's nnr nicht ganz offen aus.

Diese gedrängte Angabe des Inhaltes beweist zur Genüge, daß der Ver¬
fasser vornehmlich innere Stimmungen und psychologische Konflikte malen will.
Darin besteht seine Stärke. Die seelische Eigenthümlichkeit der wenigen Per¬
sonen, die er auftreten läßt, ist interessant und scharf gezeichnet. Die Ent¬
wickelung der Charaktere, die Wandlungen und inneren Kämpfe, welche die
an sich so einfache Handlung den Helden aufdrängt, sind mit größter Wahr¬
heit und Frische und der liebevollsten Ausarbeitung des Details vorgetragen.
Nur in einer Szene werden wir irre an der psychologischen Wahrheit und


mit dem Onkel nach Genua. Graf Delaiti bleibt allein zurück in der Gesell¬
schaft der Herzogin. Näher und näher hofft er dem Ziel seiner Wünsche zu
kommen. Statt dessen sieht er sich immer ferner diesem Ziele. Denn was der
um zwei Jahre jüngere Emanuel Julia allmälig geworden, erkennt sie erst,
als er ihr fern ist, als er in der Ferne sogar schweigt, nach langen vierzehn
Tagen seinen ersten Brief sendet. Freundlich, aber gemessen antwortet sie.
Harmlos plaudernd setzt er die Korrespondenz fort. Da überrascht der von
Genua zurückkehrende Onkel Emanuel's sie mit der Nachricht, sein Neffe habe
die bestimmte Absicht, das Schiff mit Auswanderern nach Amerika zu begleiten.

Man kann es dem Grafen Delaiti nicht verübeln, daß er sich diese über¬
aus günstige Lage zu Nutze macht, um wenigstens Gewißheit über sein Schicksal
zu erhalten. Wir ahnen schon bestimmt, wie diese Unterredung ausfällt. Die
Herzogin bittet ihn, sich mit ihrer Freundschaft zu begnügen, und sie schweigt,
als er andeutet, daß ein Andrer ihr theurer sei. Flaviano handelt nun treu
seinem gegebenen Wort: er verschwindet aus Val d'Olivi und Roll und unter¬
richtet Emanuel über Alles, was vorgefallen, auch über das, was die Herzogin
verschwiegen hat. Sofort stürmt Emanuel nach Val d'Olivi. Taktvoll und
maßvoll wie immer naht er dem geliebten Weibe und gesteht ihr das tiefste
Geheimniß seines Herzens. Und nun geschieht das Unbegreifliche. Weil sie
„vielleicht in ihm den siegesgewiß auftretenden Bewerber" erblickt, brüskirt
sie ihn mit harten, wirklich unglaublich harten Worten. Und auch er ver¬
schwindet sofort von Roll, Niemand weiß wohin.

Es gehört aber wenig Kombinationsgabe zu der Vermuthung, wohin
Beide sich gewendet haben. Denn Garibaldi macht eben wieder einen Einfall
in das päpstliche Gebiet. Hier finden wir denn auch die jungen Männer, den
Grafen als Offizier, Emanuel als einfachen Soldaten. Die Herzogin eilt
natürlich auch hierher. Sie kommt gerade zur rechten Zeit, um Emanuel als
Schwerverwundeten pflegen zu können, der Graf aber sucht und findet den
Tod im Gefecht von Monterotondo. Damit schließt die Erzählung. Daß die
Ueberlebenden sich heirathen werden, ist uns zweifellos. Der Dichter spricht
es Angesichts des frischen Grabes Flaviano Delaiti's nnr nicht ganz offen aus.

Diese gedrängte Angabe des Inhaltes beweist zur Genüge, daß der Ver¬
fasser vornehmlich innere Stimmungen und psychologische Konflikte malen will.
Darin besteht seine Stärke. Die seelische Eigenthümlichkeit der wenigen Per¬
sonen, die er auftreten läßt, ist interessant und scharf gezeichnet. Die Ent¬
wickelung der Charaktere, die Wandlungen und inneren Kämpfe, welche die
an sich so einfache Handlung den Helden aufdrängt, sind mit größter Wahr¬
heit und Frische und der liebevollsten Ausarbeitung des Details vorgetragen.
Nur in einer Szene werden wir irre an der psychologischen Wahrheit und


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[0353] mit dem Onkel nach Genua. Graf Delaiti bleibt allein zurück in der Gesell¬ schaft der Herzogin. Näher und näher hofft er dem Ziel seiner Wünsche zu kommen. Statt dessen sieht er sich immer ferner diesem Ziele. Denn was der um zwei Jahre jüngere Emanuel Julia allmälig geworden, erkennt sie erst, als er ihr fern ist, als er in der Ferne sogar schweigt, nach langen vierzehn Tagen seinen ersten Brief sendet. Freundlich, aber gemessen antwortet sie. Harmlos plaudernd setzt er die Korrespondenz fort. Da überrascht der von Genua zurückkehrende Onkel Emanuel's sie mit der Nachricht, sein Neffe habe die bestimmte Absicht, das Schiff mit Auswanderern nach Amerika zu begleiten. Man kann es dem Grafen Delaiti nicht verübeln, daß er sich diese über¬ aus günstige Lage zu Nutze macht, um wenigstens Gewißheit über sein Schicksal zu erhalten. Wir ahnen schon bestimmt, wie diese Unterredung ausfällt. Die Herzogin bittet ihn, sich mit ihrer Freundschaft zu begnügen, und sie schweigt, als er andeutet, daß ein Andrer ihr theurer sei. Flaviano handelt nun treu seinem gegebenen Wort: er verschwindet aus Val d'Olivi und Roll und unter¬ richtet Emanuel über Alles, was vorgefallen, auch über das, was die Herzogin verschwiegen hat. Sofort stürmt Emanuel nach Val d'Olivi. Taktvoll und maßvoll wie immer naht er dem geliebten Weibe und gesteht ihr das tiefste Geheimniß seines Herzens. Und nun geschieht das Unbegreifliche. Weil sie „vielleicht in ihm den siegesgewiß auftretenden Bewerber" erblickt, brüskirt sie ihn mit harten, wirklich unglaublich harten Worten. Und auch er ver¬ schwindet sofort von Roll, Niemand weiß wohin. Es gehört aber wenig Kombinationsgabe zu der Vermuthung, wohin Beide sich gewendet haben. Denn Garibaldi macht eben wieder einen Einfall in das päpstliche Gebiet. Hier finden wir denn auch die jungen Männer, den Grafen als Offizier, Emanuel als einfachen Soldaten. Die Herzogin eilt natürlich auch hierher. Sie kommt gerade zur rechten Zeit, um Emanuel als Schwerverwundeten pflegen zu können, der Graf aber sucht und findet den Tod im Gefecht von Monterotondo. Damit schließt die Erzählung. Daß die Ueberlebenden sich heirathen werden, ist uns zweifellos. Der Dichter spricht es Angesichts des frischen Grabes Flaviano Delaiti's nnr nicht ganz offen aus. Diese gedrängte Angabe des Inhaltes beweist zur Genüge, daß der Ver¬ fasser vornehmlich innere Stimmungen und psychologische Konflikte malen will. Darin besteht seine Stärke. Die seelische Eigenthümlichkeit der wenigen Per¬ sonen, die er auftreten läßt, ist interessant und scharf gezeichnet. Die Ent¬ wickelung der Charaktere, die Wandlungen und inneren Kämpfe, welche die an sich so einfache Handlung den Helden aufdrängt, sind mit größter Wahr¬ heit und Frische und der liebevollsten Ausarbeitung des Details vorgetragen. Nur in einer Szene werden wir irre an der psychologischen Wahrheit und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/353>, abgerufen am 27.07.2024.