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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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land ist in Gefahr -- ich biete Ihnen meinen Degen an!" Napoleon weinte
und umarmte den schlanken Greis. Man bemerke, daß diese Geschichte mit
allen Details (Schlankheit des unbekannten Greises, weiter grauer Mantel und
Rührung des Kaisers) von Changarnier selbst erzählt wurde und durch ihn
in die Öffentlichkeit gelangte. Napoleon hat von dem Vorfalle nie gesprochen
und es wäre doch so interessant gewesen, zu wissen, wie er die Szene erzählt
hätte! Wie dem immer sei: Changarnier wurde dem großen Generalstab zu¬
getheilt und mit Bazaine in Metz eingeschlossen. Unglaublich, aber wahr:
der Sieger von Constantine vermochte das Unheil von den französischen Heeren
nicht abzuwenden."

Der lächerliche Traum, in welchem dieser nuiss ^loriosus nach dem
Kriege sich wiegte, so etwas wie der Monk der Monarchie von Froschdors zu
werden, ist eigentlich zu einfältig, um ihn weiter zu verfolgen. Genug, daß
derselbe General, der die Hinterlader für eine unnütze und bedeutungslose
Neuerung erklärte, die allgemeine Wehrpflicht für eine kriegsuntüchtige Ein¬
richtung hielt, und noch 1867 von Preußen fchrieb, eine kleine aber berufs¬
mäßig gebildete Armee könne dessen zusammengelaufene Sckmaren 5 1a, mirmts
ohne Anstrengung besiegen, daß dieser Mann bei seinem Tode von dem großen
Chorus der Presse und Politiker seines Vaterlandes als eines der größten
Kriegsgenies Frankreichs gepriesen wurde. Wir Deutschen haben uns bei der
Mäßigkeit dieser Ansprüche an einen Feldherrn jedenfalls nicht zu beunruhi¬
gen und können dabei nur erinnert werden an den lustigen Refrain des Couplets
"So einfach und bescheiden!"

Unter den Typen und Chargen, die der Verfasser vorführt, erscheint uns
dieses Charakterbild wie gesagt als das gelungenste.

Interessant sind auch die Studien, die der Verfasser über einige der
Pariser Fest- und Jahrestage gemacht hat. Da eröffnet den Reigen der
Tag der Todten, "Pariser Allerheiligen", wo alle Welt, Hoch und Niedrig
dem Pere Lachaise und anderen Pariser Kirchhöfen zuströmt, um unter dem
Vorwand eines Pietätsaktes die neuen Wintergarderoben zu zeigen, pikante
Gespräche in den salonartig herausgeputzten Grabkapellen zu führen und je
nachdem zarte Verhältnisse oder derbe Liebesintrignen zwischen den Gräbern
anzuknüpfen. "Theatralische Gespreiztheit, affektirtes Pathos, Dekorationsmaler-
Pracht, leere Aeußerlichkeit ist Alles in der Pariser Todtenstadt und nie tritt
diese schmerzliche Abwesenheit wahren Gefühls stärker und überzeugender her¬
vor, als gerade am Tage der Toussaint,"

Dann folgt eine ebenso lehrreiche Schilderung des "Pariser Sylvester¬
abends". Bei uns in Deutschland sucht man die letzten Stunden des Jahres,
wenn irgend möglich, im Kreise seiner nächsten Angehörigen und Freunde zu


land ist in Gefahr — ich biete Ihnen meinen Degen an!" Napoleon weinte
und umarmte den schlanken Greis. Man bemerke, daß diese Geschichte mit
allen Details (Schlankheit des unbekannten Greises, weiter grauer Mantel und
Rührung des Kaisers) von Changarnier selbst erzählt wurde und durch ihn
in die Öffentlichkeit gelangte. Napoleon hat von dem Vorfalle nie gesprochen
und es wäre doch so interessant gewesen, zu wissen, wie er die Szene erzählt
hätte! Wie dem immer sei: Changarnier wurde dem großen Generalstab zu¬
getheilt und mit Bazaine in Metz eingeschlossen. Unglaublich, aber wahr:
der Sieger von Constantine vermochte das Unheil von den französischen Heeren
nicht abzuwenden."

Der lächerliche Traum, in welchem dieser nuiss ^loriosus nach dem
Kriege sich wiegte, so etwas wie der Monk der Monarchie von Froschdors zu
werden, ist eigentlich zu einfältig, um ihn weiter zu verfolgen. Genug, daß
derselbe General, der die Hinterlader für eine unnütze und bedeutungslose
Neuerung erklärte, die allgemeine Wehrpflicht für eine kriegsuntüchtige Ein¬
richtung hielt, und noch 1867 von Preußen fchrieb, eine kleine aber berufs¬
mäßig gebildete Armee könne dessen zusammengelaufene Sckmaren 5 1a, mirmts
ohne Anstrengung besiegen, daß dieser Mann bei seinem Tode von dem großen
Chorus der Presse und Politiker seines Vaterlandes als eines der größten
Kriegsgenies Frankreichs gepriesen wurde. Wir Deutschen haben uns bei der
Mäßigkeit dieser Ansprüche an einen Feldherrn jedenfalls nicht zu beunruhi¬
gen und können dabei nur erinnert werden an den lustigen Refrain des Couplets
„So einfach und bescheiden!"

Unter den Typen und Chargen, die der Verfasser vorführt, erscheint uns
dieses Charakterbild wie gesagt als das gelungenste.

Interessant sind auch die Studien, die der Verfasser über einige der
Pariser Fest- und Jahrestage gemacht hat. Da eröffnet den Reigen der
Tag der Todten, „Pariser Allerheiligen", wo alle Welt, Hoch und Niedrig
dem Pere Lachaise und anderen Pariser Kirchhöfen zuströmt, um unter dem
Vorwand eines Pietätsaktes die neuen Wintergarderoben zu zeigen, pikante
Gespräche in den salonartig herausgeputzten Grabkapellen zu führen und je
nachdem zarte Verhältnisse oder derbe Liebesintrignen zwischen den Gräbern
anzuknüpfen. „Theatralische Gespreiztheit, affektirtes Pathos, Dekorationsmaler-
Pracht, leere Aeußerlichkeit ist Alles in der Pariser Todtenstadt und nie tritt
diese schmerzliche Abwesenheit wahren Gefühls stärker und überzeugender her¬
vor, als gerade am Tage der Toussaint,"

Dann folgt eine ebenso lehrreiche Schilderung des „Pariser Sylvester¬
abends". Bei uns in Deutschland sucht man die letzten Stunden des Jahres,
wenn irgend möglich, im Kreise seiner nächsten Angehörigen und Freunde zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/344>, abgerufen am 01.09.2024.