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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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rictu zu paradox scheinen, wenn ich sage, daß nicht der Musiker, fondern der
Philosoph (!) Offenbach das Publikum beider Hemisphären sich unterthänig (!)
gemacht hat. Der Musiker war nur der geniale (!) Hauptmitarbeiter des
Philosophen, aber dem letzteren gebührt der erste Platz" -- etwa neben
Schopenhauer oder Eduard von Hartmann? -- "Er ist ein Neuerer; er ist
der Schöpfer der satirischen (!) Musik... einer der Hauptstreiter im Kampfe
gegen die Tradition und Autorität... Mit schonungsloser Hand hat er der
griechischen (?) Mythologie den Nimbus vom Kopfe gerissen und ihre Gestalten
dem Gespötts der Welt preisgegeben" -- ungefähr so wie die "Fliegenden
Blätter", nur ins Obscöne übersetzt. "Der kritiklose Heroenkultus, den uns
die Gymnasialzeit in die Seele gepfropft (!) hat, hält nicht Stand... Offen¬
bach scheint mir der Aristophanes unserer Zeit zu sein. Er hat von seineu:
athenischen Vorgänger (!) den Uebermuth, die Schneidigkeit, die Fruchtbarkeit
und die überlegene (?) -- wem überlegen? -- Weltanschauung. Wie Aristo¬
phanes dichtet jedoch auch er nicht für Kinder" -- aber auch nicht für Männer,
schalten wir ein, sondern lediglich für Hetären und Gommeux. "Meiner Ueber¬
zeugung nach," schließt Nordau seine Offenbachiade, "wird man künftig keine
Kulturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts schreiben können, ohne Offen-
bach's und seiner Erfolge (?) als einer der charakteristischsten Erscheinungen
der Epoche" (welcher Epoche?) "zu gedenken". Es soll nicht bestritten werden,
daß auch Offenbach sein Theil von der künftigen Geschichtsschreibung gezollt
werden wird; aber er wird nur genannt werden, wenn von der schlimmsten
Entwürdigung der Musik die Rede sein wird, wenn man zu schildern hat, wie
die Muse der Töne zur Kupplerin gemacht wurde, wenn man einst die Sünden
des zweiten Kaiserreichs aufzählt und die Giftpilze, die im Schatten des kaiser¬
lichen Purpurs gediehe". Dann wird man freilich nach andern Heiden greifen,
als nach Aristophanes, um sie mit Offenbach zu vergleichen.

Dieses eine Kapitel ist Nordau zum Ruhm Offenbach's noch nicht einmal
genug. Er glorifizirt ihn später unter der Ueberschrift "Das politische Hep
Hep" noch einmal als nationalen Franzosen. Wir sind weit entfernt, den
geborenen Kölner Offenbach für einen deutschen Unterstützungswohnsitz zu re-
klamiren, aber gewiß erscheint die Frage berechtigt, was für ein Interesse "beide
Hemisphären" daran nehmen sollen, wenn Herr Offenbach sich mit einem
französischen Senator über seine gutfranzösische Gesinnung in Pariser Journalen
herumzankt? Die Thatsache überlassen wir so gern den Franzosen allein, wie
die Person.

Auch die Kapitel des Verfassers, die uns die Tragödin Sarah Bernhardt,
die Komiker Got und Coquelin und gar die "Operettensterne" vorführen, er¬
scheinen uns kaum der Aufnahme werth in ein Buch, das im ersten Bande so


rictu zu paradox scheinen, wenn ich sage, daß nicht der Musiker, fondern der
Philosoph (!) Offenbach das Publikum beider Hemisphären sich unterthänig (!)
gemacht hat. Der Musiker war nur der geniale (!) Hauptmitarbeiter des
Philosophen, aber dem letzteren gebührt der erste Platz" — etwa neben
Schopenhauer oder Eduard von Hartmann? — „Er ist ein Neuerer; er ist
der Schöpfer der satirischen (!) Musik... einer der Hauptstreiter im Kampfe
gegen die Tradition und Autorität... Mit schonungsloser Hand hat er der
griechischen (?) Mythologie den Nimbus vom Kopfe gerissen und ihre Gestalten
dem Gespötts der Welt preisgegeben" — ungefähr so wie die „Fliegenden
Blätter", nur ins Obscöne übersetzt. „Der kritiklose Heroenkultus, den uns
die Gymnasialzeit in die Seele gepfropft (!) hat, hält nicht Stand... Offen¬
bach scheint mir der Aristophanes unserer Zeit zu sein. Er hat von seineu:
athenischen Vorgänger (!) den Uebermuth, die Schneidigkeit, die Fruchtbarkeit
und die überlegene (?) — wem überlegen? — Weltanschauung. Wie Aristo¬
phanes dichtet jedoch auch er nicht für Kinder" — aber auch nicht für Männer,
schalten wir ein, sondern lediglich für Hetären und Gommeux. „Meiner Ueber¬
zeugung nach," schließt Nordau seine Offenbachiade, „wird man künftig keine
Kulturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts schreiben können, ohne Offen-
bach's und seiner Erfolge (?) als einer der charakteristischsten Erscheinungen
der Epoche" (welcher Epoche?) „zu gedenken". Es soll nicht bestritten werden,
daß auch Offenbach sein Theil von der künftigen Geschichtsschreibung gezollt
werden wird; aber er wird nur genannt werden, wenn von der schlimmsten
Entwürdigung der Musik die Rede sein wird, wenn man zu schildern hat, wie
die Muse der Töne zur Kupplerin gemacht wurde, wenn man einst die Sünden
des zweiten Kaiserreichs aufzählt und die Giftpilze, die im Schatten des kaiser¬
lichen Purpurs gediehe». Dann wird man freilich nach andern Heiden greifen,
als nach Aristophanes, um sie mit Offenbach zu vergleichen.

Dieses eine Kapitel ist Nordau zum Ruhm Offenbach's noch nicht einmal
genug. Er glorifizirt ihn später unter der Ueberschrift „Das politische Hep
Hep" noch einmal als nationalen Franzosen. Wir sind weit entfernt, den
geborenen Kölner Offenbach für einen deutschen Unterstützungswohnsitz zu re-
klamiren, aber gewiß erscheint die Frage berechtigt, was für ein Interesse „beide
Hemisphären" daran nehmen sollen, wenn Herr Offenbach sich mit einem
französischen Senator über seine gutfranzösische Gesinnung in Pariser Journalen
herumzankt? Die Thatsache überlassen wir so gern den Franzosen allein, wie
die Person.

Auch die Kapitel des Verfassers, die uns die Tragödin Sarah Bernhardt,
die Komiker Got und Coquelin und gar die „Operettensterne" vorführen, er¬
scheinen uns kaum der Aufnahme werth in ein Buch, das im ersten Bande so


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[0339] rictu zu paradox scheinen, wenn ich sage, daß nicht der Musiker, fondern der Philosoph (!) Offenbach das Publikum beider Hemisphären sich unterthänig (!) gemacht hat. Der Musiker war nur der geniale (!) Hauptmitarbeiter des Philosophen, aber dem letzteren gebührt der erste Platz" — etwa neben Schopenhauer oder Eduard von Hartmann? — „Er ist ein Neuerer; er ist der Schöpfer der satirischen (!) Musik... einer der Hauptstreiter im Kampfe gegen die Tradition und Autorität... Mit schonungsloser Hand hat er der griechischen (?) Mythologie den Nimbus vom Kopfe gerissen und ihre Gestalten dem Gespötts der Welt preisgegeben" — ungefähr so wie die „Fliegenden Blätter", nur ins Obscöne übersetzt. „Der kritiklose Heroenkultus, den uns die Gymnasialzeit in die Seele gepfropft (!) hat, hält nicht Stand... Offen¬ bach scheint mir der Aristophanes unserer Zeit zu sein. Er hat von seineu: athenischen Vorgänger (!) den Uebermuth, die Schneidigkeit, die Fruchtbarkeit und die überlegene (?) — wem überlegen? — Weltanschauung. Wie Aristo¬ phanes dichtet jedoch auch er nicht für Kinder" — aber auch nicht für Männer, schalten wir ein, sondern lediglich für Hetären und Gommeux. „Meiner Ueber¬ zeugung nach," schließt Nordau seine Offenbachiade, „wird man künftig keine Kulturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts schreiben können, ohne Offen- bach's und seiner Erfolge (?) als einer der charakteristischsten Erscheinungen der Epoche" (welcher Epoche?) „zu gedenken". Es soll nicht bestritten werden, daß auch Offenbach sein Theil von der künftigen Geschichtsschreibung gezollt werden wird; aber er wird nur genannt werden, wenn von der schlimmsten Entwürdigung der Musik die Rede sein wird, wenn man zu schildern hat, wie die Muse der Töne zur Kupplerin gemacht wurde, wenn man einst die Sünden des zweiten Kaiserreichs aufzählt und die Giftpilze, die im Schatten des kaiser¬ lichen Purpurs gediehe». Dann wird man freilich nach andern Heiden greifen, als nach Aristophanes, um sie mit Offenbach zu vergleichen. Dieses eine Kapitel ist Nordau zum Ruhm Offenbach's noch nicht einmal genug. Er glorifizirt ihn später unter der Ueberschrift „Das politische Hep Hep" noch einmal als nationalen Franzosen. Wir sind weit entfernt, den geborenen Kölner Offenbach für einen deutschen Unterstützungswohnsitz zu re- klamiren, aber gewiß erscheint die Frage berechtigt, was für ein Interesse „beide Hemisphären" daran nehmen sollen, wenn Herr Offenbach sich mit einem französischen Senator über seine gutfranzösische Gesinnung in Pariser Journalen herumzankt? Die Thatsache überlassen wir so gern den Franzosen allein, wie die Person. Auch die Kapitel des Verfassers, die uns die Tragödin Sarah Bernhardt, die Komiker Got und Coquelin und gar die „Operettensterne" vorführen, er¬ scheinen uns kaum der Aufnahme werth in ein Buch, das im ersten Bande so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/339>, abgerufen am 01.09.2024.