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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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zuerkennen, wovon sie jedoch nach Unterdrückung des Faustrechts aus sehr
natürlichen Gründen keinen Gebrauch gemacht haben. Vollständige Verzeich¬
nisse der reichsritterschaftlichen Familien und der Güter mit gleicher Qualität
findet mau nirgends gedruckt. Die Angaben darüber sind sehr verschieden. In
Vüsching's Erdbeschreibung von 1761 sind 1485 reichsritterschaftliche Besitzungen
aufgenommen.

Ein dem deutschen Reiche eigenthümliches Besitzverhältniß sind die Ganerb¬
schaften. Sie waren Gesammtbesitzungen mehrerer Familien oder sonst
verschiedener Herren, deren Verwaltung oder Genuß nach individuellen,
zum Theil sehr eigenthümlichen Normen und Statute" sich bestimmte. In
früheren Jahrhunderten waren dergleichen Gesammtbesitznugen mehrerer, oft
vieler Familien etwas sehr häufiges. Sie bildeten eine gemeinsame Schutzwehr
im Kriege, einen Vereinigungspunkt für freundliches und genossenschaftliches
Zusammenhalten im Frieden. Nur fünf dieser Ganerbschaften, wie die Burg
Friedberg in der Wetterau und die Burg Gelnhausen in der ehemaligen Graf¬
schaft Heman, welche sämmtlich reichsunmittelbares Gebiet umschlossen, sonach
nur unter Kaiser und Reich standen, fristeten ihre eigenthümliche Existenz bis
kurz vor Auflösung des deutschen Reichs.

Endlich sind noch die freien Reichsdörfer zu erwähnen. Dieselben waren
Gemeinheiten und Dorfschaften, welche unmittelbar der kaiserlichen Majestät
und dem Reiche unterworfen waren und alle Rechte der Unmittelbarkeit, deren
sie sich durch Verträge nicht ausdrücklich begeben hatten, sowohl in weltlichen, wie in
geistlichen Dingen besaßen. Solche unmittelbare Reichsdörfer, Flecken, Weiler,
Höfe und freie Reichsleute gab es in frühereren Jahrhunderten, namentlich in
Schwaben und Franken, eine große Anzahl, die meisten derselben wurden jedoch
mit der Zeit Unterthanen anderer Reichsstände und im Jahre 1792 existirten
nur noch acht sreie Reichsdörfer.

In bunter Reihe waren so die Territorien mit allen überhaupt nur mög¬
lichen Regierungsformen durch einander gewürfelt. Umschlossen doch zuweilen
die Mauern einer freien Reichsstadt das gesammte Gebiet anderer Neichsstünde.
So lag das Besitzthum des Bischofs von Regensburg, so wie der unmittelbaren
Prälaten von Se. Euerem, von Ober- und Nieder - Münster mitten in der
Reichsstadt Regensburg. Ebenso war es durchaus nichts Ungewöhnliches, daß
einem Reichsstand in dem Gebiete eines andern ganz bestimmte Souveräui-
tätsrechte zustanden, wie Zollerhebungen, Ausübung der peinlichen Gerichtsbarkeit,
des Geleits- und Besatzungsrechts u. s. w. In keinem Lande der Welt gab
es so verschiedenerlei auf Herkommen, auf Traktate oder auf kaiserliche Ver¬
leihung sich stützende Gerechtsame als in Deutschland.

Nur noch einige Worte über die Kreiseintheilung resp, über die Kreisver-


zuerkennen, wovon sie jedoch nach Unterdrückung des Faustrechts aus sehr
natürlichen Gründen keinen Gebrauch gemacht haben. Vollständige Verzeich¬
nisse der reichsritterschaftlichen Familien und der Güter mit gleicher Qualität
findet mau nirgends gedruckt. Die Angaben darüber sind sehr verschieden. In
Vüsching's Erdbeschreibung von 1761 sind 1485 reichsritterschaftliche Besitzungen
aufgenommen.

Ein dem deutschen Reiche eigenthümliches Besitzverhältniß sind die Ganerb¬
schaften. Sie waren Gesammtbesitzungen mehrerer Familien oder sonst
verschiedener Herren, deren Verwaltung oder Genuß nach individuellen,
zum Theil sehr eigenthümlichen Normen und Statute» sich bestimmte. In
früheren Jahrhunderten waren dergleichen Gesammtbesitznugen mehrerer, oft
vieler Familien etwas sehr häufiges. Sie bildeten eine gemeinsame Schutzwehr
im Kriege, einen Vereinigungspunkt für freundliches und genossenschaftliches
Zusammenhalten im Frieden. Nur fünf dieser Ganerbschaften, wie die Burg
Friedberg in der Wetterau und die Burg Gelnhausen in der ehemaligen Graf¬
schaft Heman, welche sämmtlich reichsunmittelbares Gebiet umschlossen, sonach
nur unter Kaiser und Reich standen, fristeten ihre eigenthümliche Existenz bis
kurz vor Auflösung des deutschen Reichs.

Endlich sind noch die freien Reichsdörfer zu erwähnen. Dieselben waren
Gemeinheiten und Dorfschaften, welche unmittelbar der kaiserlichen Majestät
und dem Reiche unterworfen waren und alle Rechte der Unmittelbarkeit, deren
sie sich durch Verträge nicht ausdrücklich begeben hatten, sowohl in weltlichen, wie in
geistlichen Dingen besaßen. Solche unmittelbare Reichsdörfer, Flecken, Weiler,
Höfe und freie Reichsleute gab es in frühereren Jahrhunderten, namentlich in
Schwaben und Franken, eine große Anzahl, die meisten derselben wurden jedoch
mit der Zeit Unterthanen anderer Reichsstände und im Jahre 1792 existirten
nur noch acht sreie Reichsdörfer.

In bunter Reihe waren so die Territorien mit allen überhaupt nur mög¬
lichen Regierungsformen durch einander gewürfelt. Umschlossen doch zuweilen
die Mauern einer freien Reichsstadt das gesammte Gebiet anderer Neichsstünde.
So lag das Besitzthum des Bischofs von Regensburg, so wie der unmittelbaren
Prälaten von Se. Euerem, von Ober- und Nieder - Münster mitten in der
Reichsstadt Regensburg. Ebenso war es durchaus nichts Ungewöhnliches, daß
einem Reichsstand in dem Gebiete eines andern ganz bestimmte Souveräui-
tätsrechte zustanden, wie Zollerhebungen, Ausübung der peinlichen Gerichtsbarkeit,
des Geleits- und Besatzungsrechts u. s. w. In keinem Lande der Welt gab
es so verschiedenerlei auf Herkommen, auf Traktate oder auf kaiserliche Ver¬
leihung sich stützende Gerechtsame als in Deutschland.

Nur noch einige Worte über die Kreiseintheilung resp, über die Kreisver-


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[0327] zuerkennen, wovon sie jedoch nach Unterdrückung des Faustrechts aus sehr natürlichen Gründen keinen Gebrauch gemacht haben. Vollständige Verzeich¬ nisse der reichsritterschaftlichen Familien und der Güter mit gleicher Qualität findet mau nirgends gedruckt. Die Angaben darüber sind sehr verschieden. In Vüsching's Erdbeschreibung von 1761 sind 1485 reichsritterschaftliche Besitzungen aufgenommen. Ein dem deutschen Reiche eigenthümliches Besitzverhältniß sind die Ganerb¬ schaften. Sie waren Gesammtbesitzungen mehrerer Familien oder sonst verschiedener Herren, deren Verwaltung oder Genuß nach individuellen, zum Theil sehr eigenthümlichen Normen und Statute» sich bestimmte. In früheren Jahrhunderten waren dergleichen Gesammtbesitznugen mehrerer, oft vieler Familien etwas sehr häufiges. Sie bildeten eine gemeinsame Schutzwehr im Kriege, einen Vereinigungspunkt für freundliches und genossenschaftliches Zusammenhalten im Frieden. Nur fünf dieser Ganerbschaften, wie die Burg Friedberg in der Wetterau und die Burg Gelnhausen in der ehemaligen Graf¬ schaft Heman, welche sämmtlich reichsunmittelbares Gebiet umschlossen, sonach nur unter Kaiser und Reich standen, fristeten ihre eigenthümliche Existenz bis kurz vor Auflösung des deutschen Reichs. Endlich sind noch die freien Reichsdörfer zu erwähnen. Dieselben waren Gemeinheiten und Dorfschaften, welche unmittelbar der kaiserlichen Majestät und dem Reiche unterworfen waren und alle Rechte der Unmittelbarkeit, deren sie sich durch Verträge nicht ausdrücklich begeben hatten, sowohl in weltlichen, wie in geistlichen Dingen besaßen. Solche unmittelbare Reichsdörfer, Flecken, Weiler, Höfe und freie Reichsleute gab es in frühereren Jahrhunderten, namentlich in Schwaben und Franken, eine große Anzahl, die meisten derselben wurden jedoch mit der Zeit Unterthanen anderer Reichsstände und im Jahre 1792 existirten nur noch acht sreie Reichsdörfer. In bunter Reihe waren so die Territorien mit allen überhaupt nur mög¬ lichen Regierungsformen durch einander gewürfelt. Umschlossen doch zuweilen die Mauern einer freien Reichsstadt das gesammte Gebiet anderer Neichsstünde. So lag das Besitzthum des Bischofs von Regensburg, so wie der unmittelbaren Prälaten von Se. Euerem, von Ober- und Nieder - Münster mitten in der Reichsstadt Regensburg. Ebenso war es durchaus nichts Ungewöhnliches, daß einem Reichsstand in dem Gebiete eines andern ganz bestimmte Souveräui- tätsrechte zustanden, wie Zollerhebungen, Ausübung der peinlichen Gerichtsbarkeit, des Geleits- und Besatzungsrechts u. s. w. In keinem Lande der Welt gab es so verschiedenerlei auf Herkommen, auf Traktate oder auf kaiserliche Ver¬ leihung sich stützende Gerechtsame als in Deutschland. Nur noch einige Worte über die Kreiseintheilung resp, über die Kreisver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/327>, abgerufen am 27.07.2024.