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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Die Zahl der wie vorstehend angegebenen im Reichstag stimmberechtigten
Mitglieder deckte sich jedoch keineswegs mit der Anzahl der in Deutschland
wirklich vorhandenen reichsständischen Territorialherren. Zunächst waren ein¬
zelne Kurfürsten wegen später erworbener oder ihnen durch Erbschaft zuge¬
fallener Besitzungen auch mehrfach stimmberechtigt im Reichsfiirstenrcith. Ebenso
hatten auch Fürsten mit Virilstimmen vielfach Sitz und Stimme auf den
Grafenbünken. Andererseits verfügten wieder einzelne Häuser, die sich in
verschiedene Linien gespalten hatten und daher mehrere souveräne Territorien
reprüsentirten, uur über eine Stimme. Endlich gab es noch zwei geistliche
und fünfzehn weltliche im Reichstag stimmberechtigte Herren, sog. Personalsten,
deren Reichsstandschaft in keiner Beziehung zum Territorialbesitz stand. So
hatte unter anderen das Haus Lothringen, auch nach Abtretung seines Landes
an Frankreich, die Reichsstandschast behalten. Was nun nach diesen Erläuter¬
ungen die Zahl der im Reichstag stimmberechtigten Glieder anbetrifft, so betrug
nach Lancizolle im Jahre 1792 die Gesammtzahl aller Landesherrschaften mit
Reichsstandschaft incl. der Reichsstädte 266. Diese Territorien waren zum
größten Theil staatliche Mikrokosmen. Ganz abgesehen von den freien Reichs¬
städten, welche meist gar kein oder nur ein geringes Gebiet außerhalb ihrer
Mauern besaßen, gab es Ende des vorigen Jahrhunderts mehr als achtzig
reichsständische Territorien von nur zwölf und weniger Quadratmeilen, darunter
ein Dutzend, die zwischen acht und zwölf, ewige dreißig, die zwei bis acht, fast
ebenso viel, die nicht über ein bis zwei Quadratmeilen und ungefähr zehn, die
gar nur eine, eine halbe, ja eine viertel Quadratmeile und noch weniger umfaßten.

Mit diesen 266 Landesherrschaften war jedoch die Zahl der mehr oder
weniger souveränen Herren noch lange nicht erschöpft. Abgesehen von einzelnen
Territorien, die, wie mir später sehen werden, nicht mit in die Reichskreise
aufgenommen worden waren und daher auch nicht die Reichsstandschaft besaßen,
gab es noch eine große Anzahl begüterter Familien der Ritterschaft und des
niedern Adels, die mit ihren Personen oder ihrem Grundbesitz theils niemals
einer Landeshoheit untergeben gewesen waren, theils, -- ursprünglich landsässig --,
sich allmälig aus dem Nexus ausgeschieden und als reichsnnmittelbar behauptet
hatten. Wenn auch diese Reichsritter, in genossenschaftliche Verbindungen ge¬
einigt den Namen nach die Landeshoheit nicht besaßen, so hatten sie doch un¬
streitig die Landesobrigkeit oder die landesherrliche Botmäßigkeit über ihre
Hintersassen, wie sie ihnen ausdrücklich durch kaiserliche Privilegien, so wie in
den kaiserlichen Wahlkapitnlationen beigelegt worden war. Sie hatten in voller
Ausdehnung das Recht Gesetze zu geben, Gerichts- oder Polizeiordnungen zu
errichten, Patente zu erlassen, Soldaten anzuwerben, ja Schriftsteller des vorigen
Jahrhunderts wollten sogar den Mitgliedern der Reichsritterschaft das ^us vslli


Die Zahl der wie vorstehend angegebenen im Reichstag stimmberechtigten
Mitglieder deckte sich jedoch keineswegs mit der Anzahl der in Deutschland
wirklich vorhandenen reichsständischen Territorialherren. Zunächst waren ein¬
zelne Kurfürsten wegen später erworbener oder ihnen durch Erbschaft zuge¬
fallener Besitzungen auch mehrfach stimmberechtigt im Reichsfiirstenrcith. Ebenso
hatten auch Fürsten mit Virilstimmen vielfach Sitz und Stimme auf den
Grafenbünken. Andererseits verfügten wieder einzelne Häuser, die sich in
verschiedene Linien gespalten hatten und daher mehrere souveräne Territorien
reprüsentirten, uur über eine Stimme. Endlich gab es noch zwei geistliche
und fünfzehn weltliche im Reichstag stimmberechtigte Herren, sog. Personalsten,
deren Reichsstandschaft in keiner Beziehung zum Territorialbesitz stand. So
hatte unter anderen das Haus Lothringen, auch nach Abtretung seines Landes
an Frankreich, die Reichsstandschast behalten. Was nun nach diesen Erläuter¬
ungen die Zahl der im Reichstag stimmberechtigten Glieder anbetrifft, so betrug
nach Lancizolle im Jahre 1792 die Gesammtzahl aller Landesherrschaften mit
Reichsstandschaft incl. der Reichsstädte 266. Diese Territorien waren zum
größten Theil staatliche Mikrokosmen. Ganz abgesehen von den freien Reichs¬
städten, welche meist gar kein oder nur ein geringes Gebiet außerhalb ihrer
Mauern besaßen, gab es Ende des vorigen Jahrhunderts mehr als achtzig
reichsständische Territorien von nur zwölf und weniger Quadratmeilen, darunter
ein Dutzend, die zwischen acht und zwölf, ewige dreißig, die zwei bis acht, fast
ebenso viel, die nicht über ein bis zwei Quadratmeilen und ungefähr zehn, die
gar nur eine, eine halbe, ja eine viertel Quadratmeile und noch weniger umfaßten.

Mit diesen 266 Landesherrschaften war jedoch die Zahl der mehr oder
weniger souveränen Herren noch lange nicht erschöpft. Abgesehen von einzelnen
Territorien, die, wie mir später sehen werden, nicht mit in die Reichskreise
aufgenommen worden waren und daher auch nicht die Reichsstandschaft besaßen,
gab es noch eine große Anzahl begüterter Familien der Ritterschaft und des
niedern Adels, die mit ihren Personen oder ihrem Grundbesitz theils niemals
einer Landeshoheit untergeben gewesen waren, theils, — ursprünglich landsässig —,
sich allmälig aus dem Nexus ausgeschieden und als reichsnnmittelbar behauptet
hatten. Wenn auch diese Reichsritter, in genossenschaftliche Verbindungen ge¬
einigt den Namen nach die Landeshoheit nicht besaßen, so hatten sie doch un¬
streitig die Landesobrigkeit oder die landesherrliche Botmäßigkeit über ihre
Hintersassen, wie sie ihnen ausdrücklich durch kaiserliche Privilegien, so wie in
den kaiserlichen Wahlkapitnlationen beigelegt worden war. Sie hatten in voller
Ausdehnung das Recht Gesetze zu geben, Gerichts- oder Polizeiordnungen zu
errichten, Patente zu erlassen, Soldaten anzuwerben, ja Schriftsteller des vorigen
Jahrhunderts wollten sogar den Mitgliedern der Reichsritterschaft das ^us vslli


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[0326] Die Zahl der wie vorstehend angegebenen im Reichstag stimmberechtigten Mitglieder deckte sich jedoch keineswegs mit der Anzahl der in Deutschland wirklich vorhandenen reichsständischen Territorialherren. Zunächst waren ein¬ zelne Kurfürsten wegen später erworbener oder ihnen durch Erbschaft zuge¬ fallener Besitzungen auch mehrfach stimmberechtigt im Reichsfiirstenrcith. Ebenso hatten auch Fürsten mit Virilstimmen vielfach Sitz und Stimme auf den Grafenbünken. Andererseits verfügten wieder einzelne Häuser, die sich in verschiedene Linien gespalten hatten und daher mehrere souveräne Territorien reprüsentirten, uur über eine Stimme. Endlich gab es noch zwei geistliche und fünfzehn weltliche im Reichstag stimmberechtigte Herren, sog. Personalsten, deren Reichsstandschaft in keiner Beziehung zum Territorialbesitz stand. So hatte unter anderen das Haus Lothringen, auch nach Abtretung seines Landes an Frankreich, die Reichsstandschast behalten. Was nun nach diesen Erläuter¬ ungen die Zahl der im Reichstag stimmberechtigten Glieder anbetrifft, so betrug nach Lancizolle im Jahre 1792 die Gesammtzahl aller Landesherrschaften mit Reichsstandschaft incl. der Reichsstädte 266. Diese Territorien waren zum größten Theil staatliche Mikrokosmen. Ganz abgesehen von den freien Reichs¬ städten, welche meist gar kein oder nur ein geringes Gebiet außerhalb ihrer Mauern besaßen, gab es Ende des vorigen Jahrhunderts mehr als achtzig reichsständische Territorien von nur zwölf und weniger Quadratmeilen, darunter ein Dutzend, die zwischen acht und zwölf, ewige dreißig, die zwei bis acht, fast ebenso viel, die nicht über ein bis zwei Quadratmeilen und ungefähr zehn, die gar nur eine, eine halbe, ja eine viertel Quadratmeile und noch weniger umfaßten. Mit diesen 266 Landesherrschaften war jedoch die Zahl der mehr oder weniger souveränen Herren noch lange nicht erschöpft. Abgesehen von einzelnen Territorien, die, wie mir später sehen werden, nicht mit in die Reichskreise aufgenommen worden waren und daher auch nicht die Reichsstandschaft besaßen, gab es noch eine große Anzahl begüterter Familien der Ritterschaft und des niedern Adels, die mit ihren Personen oder ihrem Grundbesitz theils niemals einer Landeshoheit untergeben gewesen waren, theils, — ursprünglich landsässig —, sich allmälig aus dem Nexus ausgeschieden und als reichsnnmittelbar behauptet hatten. Wenn auch diese Reichsritter, in genossenschaftliche Verbindungen ge¬ einigt den Namen nach die Landeshoheit nicht besaßen, so hatten sie doch un¬ streitig die Landesobrigkeit oder die landesherrliche Botmäßigkeit über ihre Hintersassen, wie sie ihnen ausdrücklich durch kaiserliche Privilegien, so wie in den kaiserlichen Wahlkapitnlationen beigelegt worden war. Sie hatten in voller Ausdehnung das Recht Gesetze zu geben, Gerichts- oder Polizeiordnungen zu errichten, Patente zu erlassen, Soldaten anzuwerben, ja Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts wollten sogar den Mitgliedern der Reichsritterschaft das ^us vslli

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/326>, abgerufen am 27.07.2024.