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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Deutschen vor Allen blicken dankerfüllt empor zu dein Lenker der Geschicke,
dessen Walten in der Vollendung unsrer nationalen Hoffnungen, in der Wieder-
aufrichtung der deutschen Kaiserkrone, in der Errettung ihres Trügers aus
unzähligen Gefahren so oft uns kund geworden, nun abermals sichtbarlich
unsern Kaiser behütet hat.

Das ist der Eindruck, den Alle, die noch nicht verlernt haben, zu sehen
und zu empfinden, was wahr und gut, was verbrecherisch ist, bei dieser ruch¬
losen That gewonnen haben. Das Urtheil und die Strafe hat der Richter zu
sprechen nach dem Wahrspruch des Volksgerichts der Geschworenen. Wir sind
weit entfernt, ihm vorzugreifen, ihm irgend eine Richtschnur geben zu Wollen.
Es wäre, selbst wenn der Wille dazu vorhanden wäre, ein vergebenes Beginnen.

Aber neben dem Urtheil der Strafbank hat sich das Urtheil der Nation
zu bilden nach den ewigen ungeschriebenen Gesetzen des Rechtes und Gewissens.
Dieses Urtheil ist freier und dem Thäter günstiger insofern, als es alle nur
irgend entschuldbaren Motive der That in Betracht ziehen kann. Giebt es
solche? Wir sehen uns vergebens danach um. Ein Mensch, der schon an der
Grenze des Kindesalters wegen gemeiner Eigenthumsvergehen bestraft ist, be¬
rauscht sich an den verlogenen Phrasen unsrer Sozialisten, wird deren eifriger
Anhänger und Agitator, und sucht dann die verruchten Lehren, welche die
Führer und Presse seiner Partei Jahre hindurch in sein verwahrlostes Herz
gestreut, aus der bloßen Theorie ins Praktische zu übersetzen -- durch Kaiser¬
mord! nachdem vorher die einfachere Lösung durch Selbstmord in den trüben
Fluthen der Pleiße (1877) mißlungen ist. Das ist die sxsoios eg-vti, die sich
dem sittlichen Urtheil der Nation darbietet!

Sie giebt viel zu denken. Wohin die grundsätzliche Unterwühlnng der
sozialistischen Umtriebe führt, haben wir hier mit Schrecken gesehen. Daß die
Mittel zum Ankauf der Mordwaffe dem Verbrecher von den Schatzmeistern
der Christlich-Sozialen geliefert wurden*), natürlich ohne daß diese eine Ahnung
von der Art der Verwendung hatten, zeigt deutlicher die Unnatur dieser sozia¬
listischen Abart, als lange Abhandlungen.

In früheren Jahrzehnten unserer Geschichte pflegten solche Explosionen
verderblicher angesammelter Gase eine allgemeine politische Reaktion herbeizu¬
führen. Wir sind überzeugt, daß dieses Attentat keinen Anlaß und keinen
Grund dazu bietet.

Aber giebt es nun noch Deutsche, welche sich konservativ, welche sich



*) Den Rest der Mittel, die der Verbrecher von dieser Seite empfing, soll er dazu
verwendet haben, seinen Angehörige", die er in Leipzig häufig prügelte, eine kostbare Musik¬
dose zuzusenden. Das nennt sich dann hungernder Arbeiter I

Deutschen vor Allen blicken dankerfüllt empor zu dein Lenker der Geschicke,
dessen Walten in der Vollendung unsrer nationalen Hoffnungen, in der Wieder-
aufrichtung der deutschen Kaiserkrone, in der Errettung ihres Trügers aus
unzähligen Gefahren so oft uns kund geworden, nun abermals sichtbarlich
unsern Kaiser behütet hat.

Das ist der Eindruck, den Alle, die noch nicht verlernt haben, zu sehen
und zu empfinden, was wahr und gut, was verbrecherisch ist, bei dieser ruch¬
losen That gewonnen haben. Das Urtheil und die Strafe hat der Richter zu
sprechen nach dem Wahrspruch des Volksgerichts der Geschworenen. Wir sind
weit entfernt, ihm vorzugreifen, ihm irgend eine Richtschnur geben zu Wollen.
Es wäre, selbst wenn der Wille dazu vorhanden wäre, ein vergebenes Beginnen.

Aber neben dem Urtheil der Strafbank hat sich das Urtheil der Nation
zu bilden nach den ewigen ungeschriebenen Gesetzen des Rechtes und Gewissens.
Dieses Urtheil ist freier und dem Thäter günstiger insofern, als es alle nur
irgend entschuldbaren Motive der That in Betracht ziehen kann. Giebt es
solche? Wir sehen uns vergebens danach um. Ein Mensch, der schon an der
Grenze des Kindesalters wegen gemeiner Eigenthumsvergehen bestraft ist, be¬
rauscht sich an den verlogenen Phrasen unsrer Sozialisten, wird deren eifriger
Anhänger und Agitator, und sucht dann die verruchten Lehren, welche die
Führer und Presse seiner Partei Jahre hindurch in sein verwahrlostes Herz
gestreut, aus der bloßen Theorie ins Praktische zu übersetzen — durch Kaiser¬
mord! nachdem vorher die einfachere Lösung durch Selbstmord in den trüben
Fluthen der Pleiße (1877) mißlungen ist. Das ist die sxsoios eg-vti, die sich
dem sittlichen Urtheil der Nation darbietet!

Sie giebt viel zu denken. Wohin die grundsätzliche Unterwühlnng der
sozialistischen Umtriebe führt, haben wir hier mit Schrecken gesehen. Daß die
Mittel zum Ankauf der Mordwaffe dem Verbrecher von den Schatzmeistern
der Christlich-Sozialen geliefert wurden*), natürlich ohne daß diese eine Ahnung
von der Art der Verwendung hatten, zeigt deutlicher die Unnatur dieser sozia¬
listischen Abart, als lange Abhandlungen.

In früheren Jahrzehnten unserer Geschichte pflegten solche Explosionen
verderblicher angesammelter Gase eine allgemeine politische Reaktion herbeizu¬
führen. Wir sind überzeugt, daß dieses Attentat keinen Anlaß und keinen
Grund dazu bietet.

Aber giebt es nun noch Deutsche, welche sich konservativ, welche sich



*) Den Rest der Mittel, die der Verbrecher von dieser Seite empfing, soll er dazu
verwendet haben, seinen Angehörige», die er in Leipzig häufig prügelte, eine kostbare Musik¬
dose zuzusenden. Das nennt sich dann hungernder Arbeiter I
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[0323] Deutschen vor Allen blicken dankerfüllt empor zu dein Lenker der Geschicke, dessen Walten in der Vollendung unsrer nationalen Hoffnungen, in der Wieder- aufrichtung der deutschen Kaiserkrone, in der Errettung ihres Trügers aus unzähligen Gefahren so oft uns kund geworden, nun abermals sichtbarlich unsern Kaiser behütet hat. Das ist der Eindruck, den Alle, die noch nicht verlernt haben, zu sehen und zu empfinden, was wahr und gut, was verbrecherisch ist, bei dieser ruch¬ losen That gewonnen haben. Das Urtheil und die Strafe hat der Richter zu sprechen nach dem Wahrspruch des Volksgerichts der Geschworenen. Wir sind weit entfernt, ihm vorzugreifen, ihm irgend eine Richtschnur geben zu Wollen. Es wäre, selbst wenn der Wille dazu vorhanden wäre, ein vergebenes Beginnen. Aber neben dem Urtheil der Strafbank hat sich das Urtheil der Nation zu bilden nach den ewigen ungeschriebenen Gesetzen des Rechtes und Gewissens. Dieses Urtheil ist freier und dem Thäter günstiger insofern, als es alle nur irgend entschuldbaren Motive der That in Betracht ziehen kann. Giebt es solche? Wir sehen uns vergebens danach um. Ein Mensch, der schon an der Grenze des Kindesalters wegen gemeiner Eigenthumsvergehen bestraft ist, be¬ rauscht sich an den verlogenen Phrasen unsrer Sozialisten, wird deren eifriger Anhänger und Agitator, und sucht dann die verruchten Lehren, welche die Führer und Presse seiner Partei Jahre hindurch in sein verwahrlostes Herz gestreut, aus der bloßen Theorie ins Praktische zu übersetzen — durch Kaiser¬ mord! nachdem vorher die einfachere Lösung durch Selbstmord in den trüben Fluthen der Pleiße (1877) mißlungen ist. Das ist die sxsoios eg-vti, die sich dem sittlichen Urtheil der Nation darbietet! Sie giebt viel zu denken. Wohin die grundsätzliche Unterwühlnng der sozialistischen Umtriebe führt, haben wir hier mit Schrecken gesehen. Daß die Mittel zum Ankauf der Mordwaffe dem Verbrecher von den Schatzmeistern der Christlich-Sozialen geliefert wurden*), natürlich ohne daß diese eine Ahnung von der Art der Verwendung hatten, zeigt deutlicher die Unnatur dieser sozia¬ listischen Abart, als lange Abhandlungen. In früheren Jahrzehnten unserer Geschichte pflegten solche Explosionen verderblicher angesammelter Gase eine allgemeine politische Reaktion herbeizu¬ führen. Wir sind überzeugt, daß dieses Attentat keinen Anlaß und keinen Grund dazu bietet. Aber giebt es nun noch Deutsche, welche sich konservativ, welche sich *) Den Rest der Mittel, die der Verbrecher von dieser Seite empfing, soll er dazu verwendet haben, seinen Angehörige», die er in Leipzig häufig prügelte, eine kostbare Musik¬ dose zuzusenden. Das nennt sich dann hungernder Arbeiter I

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/323>, abgerufen am 01.09.2024.