Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der Regie nicht sofort mit übernommen, sondern sich nähere Informationen
vorbehalten hat. Aber auch wenn die Stellung der heutigen Finanzleitung
hinsichtlich des Modus der Tabaksbesteuerung wirklich eine noch unentschiedene
ist, so ist sie es doch nicht hinsichtlich des Maßes. Man will das Monopol
oder eine annähernd den gleichen Ertrag versprechende Steuer. Welche Vor¬
stellungen von der Ergiebigkeit des Monopols an maßgebender Stelle gehegt
werden, ist ein öffentliches Geheimniß. Als Grundlage nimmt man die Resul¬
tate der französischen Regie und glaubt, selbst bei Veranschlagung der Einrich¬
tungskosten, der in den ersten Jahren unvermeidlichen Fehler u. s. w., mit
Rücksicht auf unsern fast doppelt so starken Tabcckskonsum den Betrag für
Deutschland noch höher ansetzen zu können. Wenn nun das Monopol in
Frankreich im vorigen Jahre nach Abzug der Verwaltungskosten über 200
Millionen Mark abgeworfen hat, so wird man annehmen dürfen, daß die Re¬
gierung unter allen Umständen, auch wenn sie sich für eine annähernd den
gleichen Ertrag wie das Monopol versprechende Steuer entscheiden sollte, min¬
destens 200 Millionen Mark aus dem Tabak erwartet.

Mit dieser Thatsache war zu rechnen. Für den Reichstag war es eine
Pflicht der Loyalität, zu dieser Erwartung der Regierung bestimmt Stellung
zu nehmen, umsomehr, als er vom Fürsten Bismarck am 22. Februar dazu
auf das Eindringlichste aufgefordert worden war. Da das Centrum und die
Fortschrittspartei einer Vermehrung der eigenen Einnahmen des Reichs zur
Zeit überhaupt widerstrebe", andererseits die Konservativen thatsächlich auf das
Monopol hinarbeiten, so lag die Entscheidung bei der nationalliberalen Frak¬
tion. Die Position, welche dieselbe durch ihren unmittelbar vor den Osterferien
gefaßten Beschluß eingenommen, ist von der gouvernementalen Presse aufs
Heftigste angefeindet worden. Sie sollte ein Produkt persönlicher Verstimmung,
ein Schachzug verderblicher Fraktionstaktik sein. Nach unserer obigen Dar¬
legung bedarf es uicht erst des Beweises, daß diese Angriffe die formale Seite
nur zum Vorwand nahmen, während der Zorn in Wirklichkeit dem materiellen
Inhalte des Fraktionsbeschlusses galt. Und dieser ist freilich von dem "Ideale"
des Reichskanzlers weit verschieden.

Die nationalliberale Partei stimmt mit der Negierung durchaus ttberein
in der Ueberzeugung von der Nothwendigkeit einer umfassenden Steuerreform
in Reich und Staat. Gleich der Regierung will sie die Matrikularbeiträge
beseitigt und das Reich finanziell auf die eigenen Füße gestellt wissen; gleich
der Regierung ist sie der Ansicht, daß die Vermehrung der eigenen Einnahmen
des Reichs nur ans dem Gebiete der indirekten Steuern gesucht werden kann.
Als selbstverständliche Voraussetzung bei der Abschaffung der Matrikularbeiträge
gilt ihr, daß die damit verbundene Beeinträchtigung des bisherigen Einnahme-


der Regie nicht sofort mit übernommen, sondern sich nähere Informationen
vorbehalten hat. Aber auch wenn die Stellung der heutigen Finanzleitung
hinsichtlich des Modus der Tabaksbesteuerung wirklich eine noch unentschiedene
ist, so ist sie es doch nicht hinsichtlich des Maßes. Man will das Monopol
oder eine annähernd den gleichen Ertrag versprechende Steuer. Welche Vor¬
stellungen von der Ergiebigkeit des Monopols an maßgebender Stelle gehegt
werden, ist ein öffentliches Geheimniß. Als Grundlage nimmt man die Resul¬
tate der französischen Regie und glaubt, selbst bei Veranschlagung der Einrich¬
tungskosten, der in den ersten Jahren unvermeidlichen Fehler u. s. w., mit
Rücksicht auf unsern fast doppelt so starken Tabcckskonsum den Betrag für
Deutschland noch höher ansetzen zu können. Wenn nun das Monopol in
Frankreich im vorigen Jahre nach Abzug der Verwaltungskosten über 200
Millionen Mark abgeworfen hat, so wird man annehmen dürfen, daß die Re¬
gierung unter allen Umständen, auch wenn sie sich für eine annähernd den
gleichen Ertrag wie das Monopol versprechende Steuer entscheiden sollte, min¬
destens 200 Millionen Mark aus dem Tabak erwartet.

Mit dieser Thatsache war zu rechnen. Für den Reichstag war es eine
Pflicht der Loyalität, zu dieser Erwartung der Regierung bestimmt Stellung
zu nehmen, umsomehr, als er vom Fürsten Bismarck am 22. Februar dazu
auf das Eindringlichste aufgefordert worden war. Da das Centrum und die
Fortschrittspartei einer Vermehrung der eigenen Einnahmen des Reichs zur
Zeit überhaupt widerstrebe», andererseits die Konservativen thatsächlich auf das
Monopol hinarbeiten, so lag die Entscheidung bei der nationalliberalen Frak¬
tion. Die Position, welche dieselbe durch ihren unmittelbar vor den Osterferien
gefaßten Beschluß eingenommen, ist von der gouvernementalen Presse aufs
Heftigste angefeindet worden. Sie sollte ein Produkt persönlicher Verstimmung,
ein Schachzug verderblicher Fraktionstaktik sein. Nach unserer obigen Dar¬
legung bedarf es uicht erst des Beweises, daß diese Angriffe die formale Seite
nur zum Vorwand nahmen, während der Zorn in Wirklichkeit dem materiellen
Inhalte des Fraktionsbeschlusses galt. Und dieser ist freilich von dem „Ideale"
des Reichskanzlers weit verschieden.

Die nationalliberale Partei stimmt mit der Negierung durchaus ttberein
in der Ueberzeugung von der Nothwendigkeit einer umfassenden Steuerreform
in Reich und Staat. Gleich der Regierung will sie die Matrikularbeiträge
beseitigt und das Reich finanziell auf die eigenen Füße gestellt wissen; gleich
der Regierung ist sie der Ansicht, daß die Vermehrung der eigenen Einnahmen
des Reichs nur ans dem Gebiete der indirekten Steuern gesucht werden kann.
Als selbstverständliche Voraussetzung bei der Abschaffung der Matrikularbeiträge
gilt ihr, daß die damit verbundene Beeinträchtigung des bisherigen Einnahme-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140141"/>
          <p xml:id="ID_938" prev="#ID_937"> der Regie nicht sofort mit übernommen, sondern sich nähere Informationen<lb/>
vorbehalten hat. Aber auch wenn die Stellung der heutigen Finanzleitung<lb/>
hinsichtlich des Modus der Tabaksbesteuerung wirklich eine noch unentschiedene<lb/>
ist, so ist sie es doch nicht hinsichtlich des Maßes. Man will das Monopol<lb/>
oder eine annähernd den gleichen Ertrag versprechende Steuer. Welche Vor¬<lb/>
stellungen von der Ergiebigkeit des Monopols an maßgebender Stelle gehegt<lb/>
werden, ist ein öffentliches Geheimniß. Als Grundlage nimmt man die Resul¬<lb/>
tate der französischen Regie und glaubt, selbst bei Veranschlagung der Einrich¬<lb/>
tungskosten, der in den ersten Jahren unvermeidlichen Fehler u. s. w., mit<lb/>
Rücksicht auf unsern fast doppelt so starken Tabcckskonsum den Betrag für<lb/>
Deutschland noch höher ansetzen zu können. Wenn nun das Monopol in<lb/>
Frankreich im vorigen Jahre nach Abzug der Verwaltungskosten über 200<lb/>
Millionen Mark abgeworfen hat, so wird man annehmen dürfen, daß die Re¬<lb/>
gierung unter allen Umständen, auch wenn sie sich für eine annähernd den<lb/>
gleichen Ertrag wie das Monopol versprechende Steuer entscheiden sollte, min¬<lb/>
destens 200 Millionen Mark aus dem Tabak erwartet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_939"> Mit dieser Thatsache war zu rechnen. Für den Reichstag war es eine<lb/>
Pflicht der Loyalität, zu dieser Erwartung der Regierung bestimmt Stellung<lb/>
zu nehmen, umsomehr, als er vom Fürsten Bismarck am 22. Februar dazu<lb/>
auf das Eindringlichste aufgefordert worden war. Da das Centrum und die<lb/>
Fortschrittspartei einer Vermehrung der eigenen Einnahmen des Reichs zur<lb/>
Zeit überhaupt widerstrebe», andererseits die Konservativen thatsächlich auf das<lb/>
Monopol hinarbeiten, so lag die Entscheidung bei der nationalliberalen Frak¬<lb/>
tion. Die Position, welche dieselbe durch ihren unmittelbar vor den Osterferien<lb/>
gefaßten Beschluß eingenommen, ist von der gouvernementalen Presse aufs<lb/>
Heftigste angefeindet worden. Sie sollte ein Produkt persönlicher Verstimmung,<lb/>
ein Schachzug verderblicher Fraktionstaktik sein. Nach unserer obigen Dar¬<lb/>
legung bedarf es uicht erst des Beweises, daß diese Angriffe die formale Seite<lb/>
nur zum Vorwand nahmen, während der Zorn in Wirklichkeit dem materiellen<lb/>
Inhalte des Fraktionsbeschlusses galt. Und dieser ist freilich von dem &#x201E;Ideale"<lb/>
des Reichskanzlers weit verschieden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_940" next="#ID_941"> Die nationalliberale Partei stimmt mit der Negierung durchaus ttberein<lb/>
in der Ueberzeugung von der Nothwendigkeit einer umfassenden Steuerreform<lb/>
in Reich und Staat. Gleich der Regierung will sie die Matrikularbeiträge<lb/>
beseitigt und das Reich finanziell auf die eigenen Füße gestellt wissen; gleich<lb/>
der Regierung ist sie der Ansicht, daß die Vermehrung der eigenen Einnahmen<lb/>
des Reichs nur ans dem Gebiete der indirekten Steuern gesucht werden kann.<lb/>
Als selbstverständliche Voraussetzung bei der Abschaffung der Matrikularbeiträge<lb/>
gilt ihr, daß die damit verbundene Beeinträchtigung des bisherigen Einnahme-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0320] der Regie nicht sofort mit übernommen, sondern sich nähere Informationen vorbehalten hat. Aber auch wenn die Stellung der heutigen Finanzleitung hinsichtlich des Modus der Tabaksbesteuerung wirklich eine noch unentschiedene ist, so ist sie es doch nicht hinsichtlich des Maßes. Man will das Monopol oder eine annähernd den gleichen Ertrag versprechende Steuer. Welche Vor¬ stellungen von der Ergiebigkeit des Monopols an maßgebender Stelle gehegt werden, ist ein öffentliches Geheimniß. Als Grundlage nimmt man die Resul¬ tate der französischen Regie und glaubt, selbst bei Veranschlagung der Einrich¬ tungskosten, der in den ersten Jahren unvermeidlichen Fehler u. s. w., mit Rücksicht auf unsern fast doppelt so starken Tabcckskonsum den Betrag für Deutschland noch höher ansetzen zu können. Wenn nun das Monopol in Frankreich im vorigen Jahre nach Abzug der Verwaltungskosten über 200 Millionen Mark abgeworfen hat, so wird man annehmen dürfen, daß die Re¬ gierung unter allen Umständen, auch wenn sie sich für eine annähernd den gleichen Ertrag wie das Monopol versprechende Steuer entscheiden sollte, min¬ destens 200 Millionen Mark aus dem Tabak erwartet. Mit dieser Thatsache war zu rechnen. Für den Reichstag war es eine Pflicht der Loyalität, zu dieser Erwartung der Regierung bestimmt Stellung zu nehmen, umsomehr, als er vom Fürsten Bismarck am 22. Februar dazu auf das Eindringlichste aufgefordert worden war. Da das Centrum und die Fortschrittspartei einer Vermehrung der eigenen Einnahmen des Reichs zur Zeit überhaupt widerstrebe», andererseits die Konservativen thatsächlich auf das Monopol hinarbeiten, so lag die Entscheidung bei der nationalliberalen Frak¬ tion. Die Position, welche dieselbe durch ihren unmittelbar vor den Osterferien gefaßten Beschluß eingenommen, ist von der gouvernementalen Presse aufs Heftigste angefeindet worden. Sie sollte ein Produkt persönlicher Verstimmung, ein Schachzug verderblicher Fraktionstaktik sein. Nach unserer obigen Dar¬ legung bedarf es uicht erst des Beweises, daß diese Angriffe die formale Seite nur zum Vorwand nahmen, während der Zorn in Wirklichkeit dem materiellen Inhalte des Fraktionsbeschlusses galt. Und dieser ist freilich von dem „Ideale" des Reichskanzlers weit verschieden. Die nationalliberale Partei stimmt mit der Negierung durchaus ttberein in der Ueberzeugung von der Nothwendigkeit einer umfassenden Steuerreform in Reich und Staat. Gleich der Regierung will sie die Matrikularbeiträge beseitigt und das Reich finanziell auf die eigenen Füße gestellt wissen; gleich der Regierung ist sie der Ansicht, daß die Vermehrung der eigenen Einnahmen des Reichs nur ans dem Gebiete der indirekten Steuern gesucht werden kann. Als selbstverständliche Voraussetzung bei der Abschaffung der Matrikularbeiträge gilt ihr, daß die damit verbundene Beeinträchtigung des bisherigen Einnahme-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/320
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/320>, abgerufen am 27.07.2024.