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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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reit des Liberalismus verurtheilen hört; als ob es irgend jemand anders, wie
die liberalen Parteien gewesen wären, welche den Arbeitern das Koalitions¬
recht erkämpft hätten, allerdings nicht für die demagogischen Zwecke, zu wel¬
chen es leider von mehr als einer Seite mißbraucht worden ist oder mißbraucht
werden soll.

Nicht also darin, daß sie wissenschaftliche Probleme wissenschaftlich dis-
kutirt und dabei vielleicht zu sozialistischen Konsequenzen kommt, sondern gerade
darin, daß sie dies nicht thut, vielmehr aus ganz unklaren Motiven für ganz
unklare Zwecke unter den Arbeitern Haß, Neid, Zwietracht säet, liegt das un¬
endlich Deprimirende und Verwerfliche der staatssozialistischen Bewegung. Er¬
freulicher Weise denken die Gelehrten, welche anfangs dem "Staatssozialist"
ihre Mitarbeiterschaft zugesagt hatten, vornehm genug, um sich möglichst von
dem agitatorischen Treiben fernzuhalten. Scheel und Wagner betrachten nach
eigener Erklärung das Blatt nur als bequeme Ablagerungsstätte sozialpolitischer
Gedankenspäne und verwahren sich ausdrücklich dagegen, mit seinen eigentlichen
Tendenzen etwas zu schaffen zu haben; Sander hat sich ganz losgesagt, seit¬
dem der "Staatssozialist" anfing, auch eine frische, fröhliche Judenhatz zu seinen
welterlösenden Aufgaben zu zählen; begleitet von einigen höhnischen Glossen
über den "jüdischen Banquier", schüttelte er den Staub von seinen Füßen und
siedelte zur sozialdemokratischen "Neuen Gesellschaft" in Zürich über. So sind
es denn jetzt vornehmlich zwei Geistliche, welche an der Spitze des Staats¬
sozialismus stehen, Herr Todt als Generalstabschef, welcher die Theorie be¬
sorgt, soweit von Theorie überhaupt die Rede sein kann, und Herr Stöcker
als Feldhauptmann, welcher die Schlachten mit der Sozialdemokratie schlägt.

Die Sozialdemokratie stand der neuen Konkurrenz um die Gunst der
Arbeiter von Anfang an ziemlich harmlos und' heiter gegenüber. Wenn sie sich
auf etwas versteht, so sind es die Leidenschaften der Masse und sie sah mit
mathematischer Sicherheit voraus, daß der Wind, der da gesäet wurde, einmal
mit Sturmesgewalt ihre eigeuen Segel schwellen würde. Vor Allem bequem
kamen ihr die öffentlichen Disputationen, zu welchen die Gegner herausfor¬
derten; nichts ersehnt sie so sehr, als solche Schauspiele, welche ihre Anhänger
fesseln und interessiren, die sonst auch bei der größten Begeisterung und Ge¬
duld auf die Dauer aufsässig werden, wenn sie immer nur dieselbe Litanei
nach derselben Melodie von denselben Agitatoren hören. Kein größerer Ge¬
fallen -- man kann es nicht zu oft wiederholen, da in dieser Beziehung noch
immer die heillosesten Illusionen umlaufen -- kann den "Führern" der sozial-
- demokratischen Partei geschehen, als wenn sich Gegner mit ihnen in öffentliche
MWMpfe vor großen Volksversammlungen einlassen. Sie wissen, daß bei
-WhMtKMgeuheiten wegen der Allgemeinheit der Themata, der Kürze der


reit des Liberalismus verurtheilen hört; als ob es irgend jemand anders, wie
die liberalen Parteien gewesen wären, welche den Arbeitern das Koalitions¬
recht erkämpft hätten, allerdings nicht für die demagogischen Zwecke, zu wel¬
chen es leider von mehr als einer Seite mißbraucht worden ist oder mißbraucht
werden soll.

Nicht also darin, daß sie wissenschaftliche Probleme wissenschaftlich dis-
kutirt und dabei vielleicht zu sozialistischen Konsequenzen kommt, sondern gerade
darin, daß sie dies nicht thut, vielmehr aus ganz unklaren Motiven für ganz
unklare Zwecke unter den Arbeitern Haß, Neid, Zwietracht säet, liegt das un¬
endlich Deprimirende und Verwerfliche der staatssozialistischen Bewegung. Er¬
freulicher Weise denken die Gelehrten, welche anfangs dem „Staatssozialist"
ihre Mitarbeiterschaft zugesagt hatten, vornehm genug, um sich möglichst von
dem agitatorischen Treiben fernzuhalten. Scheel und Wagner betrachten nach
eigener Erklärung das Blatt nur als bequeme Ablagerungsstätte sozialpolitischer
Gedankenspäne und verwahren sich ausdrücklich dagegen, mit seinen eigentlichen
Tendenzen etwas zu schaffen zu haben; Sander hat sich ganz losgesagt, seit¬
dem der „Staatssozialist" anfing, auch eine frische, fröhliche Judenhatz zu seinen
welterlösenden Aufgaben zu zählen; begleitet von einigen höhnischen Glossen
über den „jüdischen Banquier", schüttelte er den Staub von seinen Füßen und
siedelte zur sozialdemokratischen „Neuen Gesellschaft" in Zürich über. So sind
es denn jetzt vornehmlich zwei Geistliche, welche an der Spitze des Staats¬
sozialismus stehen, Herr Todt als Generalstabschef, welcher die Theorie be¬
sorgt, soweit von Theorie überhaupt die Rede sein kann, und Herr Stöcker
als Feldhauptmann, welcher die Schlachten mit der Sozialdemokratie schlägt.

Die Sozialdemokratie stand der neuen Konkurrenz um die Gunst der
Arbeiter von Anfang an ziemlich harmlos und' heiter gegenüber. Wenn sie sich
auf etwas versteht, so sind es die Leidenschaften der Masse und sie sah mit
mathematischer Sicherheit voraus, daß der Wind, der da gesäet wurde, einmal
mit Sturmesgewalt ihre eigeuen Segel schwellen würde. Vor Allem bequem
kamen ihr die öffentlichen Disputationen, zu welchen die Gegner herausfor¬
derten; nichts ersehnt sie so sehr, als solche Schauspiele, welche ihre Anhänger
fesseln und interessiren, die sonst auch bei der größten Begeisterung und Ge¬
duld auf die Dauer aufsässig werden, wenn sie immer nur dieselbe Litanei
nach derselben Melodie von denselben Agitatoren hören. Kein größerer Ge¬
fallen — man kann es nicht zu oft wiederholen, da in dieser Beziehung noch
immer die heillosesten Illusionen umlaufen — kann den „Führern" der sozial-
- demokratischen Partei geschehen, als wenn sich Gegner mit ihnen in öffentliche
MWMpfe vor großen Volksversammlungen einlassen. Sie wissen, daß bei
-WhMtKMgeuheiten wegen der Allgemeinheit der Themata, der Kürze der


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[0032] reit des Liberalismus verurtheilen hört; als ob es irgend jemand anders, wie die liberalen Parteien gewesen wären, welche den Arbeitern das Koalitions¬ recht erkämpft hätten, allerdings nicht für die demagogischen Zwecke, zu wel¬ chen es leider von mehr als einer Seite mißbraucht worden ist oder mißbraucht werden soll. Nicht also darin, daß sie wissenschaftliche Probleme wissenschaftlich dis- kutirt und dabei vielleicht zu sozialistischen Konsequenzen kommt, sondern gerade darin, daß sie dies nicht thut, vielmehr aus ganz unklaren Motiven für ganz unklare Zwecke unter den Arbeitern Haß, Neid, Zwietracht säet, liegt das un¬ endlich Deprimirende und Verwerfliche der staatssozialistischen Bewegung. Er¬ freulicher Weise denken die Gelehrten, welche anfangs dem „Staatssozialist" ihre Mitarbeiterschaft zugesagt hatten, vornehm genug, um sich möglichst von dem agitatorischen Treiben fernzuhalten. Scheel und Wagner betrachten nach eigener Erklärung das Blatt nur als bequeme Ablagerungsstätte sozialpolitischer Gedankenspäne und verwahren sich ausdrücklich dagegen, mit seinen eigentlichen Tendenzen etwas zu schaffen zu haben; Sander hat sich ganz losgesagt, seit¬ dem der „Staatssozialist" anfing, auch eine frische, fröhliche Judenhatz zu seinen welterlösenden Aufgaben zu zählen; begleitet von einigen höhnischen Glossen über den „jüdischen Banquier", schüttelte er den Staub von seinen Füßen und siedelte zur sozialdemokratischen „Neuen Gesellschaft" in Zürich über. So sind es denn jetzt vornehmlich zwei Geistliche, welche an der Spitze des Staats¬ sozialismus stehen, Herr Todt als Generalstabschef, welcher die Theorie be¬ sorgt, soweit von Theorie überhaupt die Rede sein kann, und Herr Stöcker als Feldhauptmann, welcher die Schlachten mit der Sozialdemokratie schlägt. Die Sozialdemokratie stand der neuen Konkurrenz um die Gunst der Arbeiter von Anfang an ziemlich harmlos und' heiter gegenüber. Wenn sie sich auf etwas versteht, so sind es die Leidenschaften der Masse und sie sah mit mathematischer Sicherheit voraus, daß der Wind, der da gesäet wurde, einmal mit Sturmesgewalt ihre eigeuen Segel schwellen würde. Vor Allem bequem kamen ihr die öffentlichen Disputationen, zu welchen die Gegner herausfor¬ derten; nichts ersehnt sie so sehr, als solche Schauspiele, welche ihre Anhänger fesseln und interessiren, die sonst auch bei der größten Begeisterung und Ge¬ duld auf die Dauer aufsässig werden, wenn sie immer nur dieselbe Litanei nach derselben Melodie von denselben Agitatoren hören. Kein größerer Ge¬ fallen — man kann es nicht zu oft wiederholen, da in dieser Beziehung noch immer die heillosesten Illusionen umlaufen — kann den „Führern" der sozial- - demokratischen Partei geschehen, als wenn sich Gegner mit ihnen in öffentliche MWMpfe vor großen Volksversammlungen einlassen. Sie wissen, daß bei -WhMtKMgeuheiten wegen der Allgemeinheit der Themata, der Kürze der

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/32>, abgerufen am 01.09.2024.