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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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"Die französische Gesellschaft" sagt Nvrdau treffend am Schlüsse dieser Ab¬
handlung, "gewinnt nichts von dem großen und souveränen Platze, den die
Frau in ihr einnimmt; abgesehen davon, daß der Einfluß der Frau deu
Einfluß des Priesters verewigt und jede freisinnige Reform erschwert, wenn
nicht verhindert, gibt die Erkenntniß, daß man den Beifall des Weibes erlangen
müsse, um zu Erfolgen zu gelangen, der Thätigkeit des Mannes eine entner¬
vende Tendenz von Galanterie, die wahrhaft großen, markigen, männlichen
Werken nicht günstig ist. Die Ideale einer Gesellschaft, die vom Weibe beherrscht
wird, erleiden nothwendigerweise eine Verkleinerung und Erniedrigung. Die
Abdikation des Mannes führt schließlich zur völligen Zersetzung der Gesell-
schaft.... Während in anderen Ländern die Emancipation des Weibes ein
Traum der sozialen Reformatoren ist, sehnen hier die Einsichtigsten eine Eman¬
zipation des Mannes herbei."

Es darf nicht wunder nehmen, daß unter solchen Verhältnissen in Paris
das Junggesellenthum in noch größeren Proportionen zunimmt, als ohne¬
hin in großen Städten rin überfeinerten Luxus und schroffer Scheidung des
Reichthums von der Armuth. Die französischen Theaterdichter wählen gewiß
keine Stoffe und lassen ihre Helden gewiß keine Ansichten aussprechen, die
nicht in der großen Menge der Zeitgenossen sympathischen Widerhall finden.
Die französischen Ehebruchsdramen aber, die seit zehn Jahren die Pariser
Bühne beherrschten, tragen sammt und sonders eine große Warnungstafel vor
der Ehe an der Stirne und die neueste dramatische Richtung, "1'ami ?red,2"
von Erckmann Chatrian, "los irrM^W riollss" von Dreyfous und selbst
"NMEtts se -lÄoc^ot" von Offenbach stellen den Charakter des Lustspiels, wie
wir ihn seit Shakespeare, Moliöre und Lessing gewonnen glaubten und die
Vertheiluug der Rollen der Geschlechter geradezu aus den Kopf. Das alte
Stück von Oliver Goldsmith "öls stooxs w come^r" hat uur scheinbar den
verkehrten und uns widerstrebenden Inhalt dieser neuesten französischen Bühnen¬
mache: daß nicht mehr der Mann um die Frau ringt, sondern die Frau um
den Maun. "Aus dem Jäger ist das Wild geworden; im Turnier der Liebe
ist nicht mehr das Weib, sondern der Mann der Preis." Nicht blos "zürtelnde
Gemüther", wie der Verfasser insinuirt, sondern Alle, die in normalen Nationen
die normale Stellung der Geschlechter zu einander vorfinden, werden diese
neueste Schablone der Pariser Lustspieldichtung unnatürlich und widerwärtig
finden. Aber darum soll ihr die Berechtigung für Paris nicht bestritten
werden. Das Pariser Leben, das Verhältniß von Mann und Weib in Paris
bei der Werbung, in der Gesellschaft überhaupt, stellen diese Stücke leider richtig
dar; und sie stellen es richtig dar, weil das Anwachsen des Junggesellenthums
in Paris mehr und mehr zu einer Gefahr der ganzen Gesellschaft der Haupt-


Grenzboten II. 1873. ^

„Die französische Gesellschaft" sagt Nvrdau treffend am Schlüsse dieser Ab¬
handlung, „gewinnt nichts von dem großen und souveränen Platze, den die
Frau in ihr einnimmt; abgesehen davon, daß der Einfluß der Frau deu
Einfluß des Priesters verewigt und jede freisinnige Reform erschwert, wenn
nicht verhindert, gibt die Erkenntniß, daß man den Beifall des Weibes erlangen
müsse, um zu Erfolgen zu gelangen, der Thätigkeit des Mannes eine entner¬
vende Tendenz von Galanterie, die wahrhaft großen, markigen, männlichen
Werken nicht günstig ist. Die Ideale einer Gesellschaft, die vom Weibe beherrscht
wird, erleiden nothwendigerweise eine Verkleinerung und Erniedrigung. Die
Abdikation des Mannes führt schließlich zur völligen Zersetzung der Gesell-
schaft.... Während in anderen Ländern die Emancipation des Weibes ein
Traum der sozialen Reformatoren ist, sehnen hier die Einsichtigsten eine Eman¬
zipation des Mannes herbei."

Es darf nicht wunder nehmen, daß unter solchen Verhältnissen in Paris
das Junggesellenthum in noch größeren Proportionen zunimmt, als ohne¬
hin in großen Städten rin überfeinerten Luxus und schroffer Scheidung des
Reichthums von der Armuth. Die französischen Theaterdichter wählen gewiß
keine Stoffe und lassen ihre Helden gewiß keine Ansichten aussprechen, die
nicht in der großen Menge der Zeitgenossen sympathischen Widerhall finden.
Die französischen Ehebruchsdramen aber, die seit zehn Jahren die Pariser
Bühne beherrschten, tragen sammt und sonders eine große Warnungstafel vor
der Ehe an der Stirne und die neueste dramatische Richtung, „1'ami ?red,2"
von Erckmann Chatrian, „los irrM^W riollss" von Dreyfous und selbst
„NMEtts se -lÄoc^ot» von Offenbach stellen den Charakter des Lustspiels, wie
wir ihn seit Shakespeare, Moliöre und Lessing gewonnen glaubten und die
Vertheiluug der Rollen der Geschlechter geradezu aus den Kopf. Das alte
Stück von Oliver Goldsmith „öls stooxs w come^r" hat uur scheinbar den
verkehrten und uns widerstrebenden Inhalt dieser neuesten französischen Bühnen¬
mache: daß nicht mehr der Mann um die Frau ringt, sondern die Frau um
den Maun. „Aus dem Jäger ist das Wild geworden; im Turnier der Liebe
ist nicht mehr das Weib, sondern der Mann der Preis." Nicht blos „zürtelnde
Gemüther", wie der Verfasser insinuirt, sondern Alle, die in normalen Nationen
die normale Stellung der Geschlechter zu einander vorfinden, werden diese
neueste Schablone der Pariser Lustspieldichtung unnatürlich und widerwärtig
finden. Aber darum soll ihr die Berechtigung für Paris nicht bestritten
werden. Das Pariser Leben, das Verhältniß von Mann und Weib in Paris
bei der Werbung, in der Gesellschaft überhaupt, stellen diese Stücke leider richtig
dar; und sie stellen es richtig dar, weil das Anwachsen des Junggesellenthums
in Paris mehr und mehr zu einer Gefahr der ganzen Gesellschaft der Haupt-


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[0317] „Die französische Gesellschaft" sagt Nvrdau treffend am Schlüsse dieser Ab¬ handlung, „gewinnt nichts von dem großen und souveränen Platze, den die Frau in ihr einnimmt; abgesehen davon, daß der Einfluß der Frau deu Einfluß des Priesters verewigt und jede freisinnige Reform erschwert, wenn nicht verhindert, gibt die Erkenntniß, daß man den Beifall des Weibes erlangen müsse, um zu Erfolgen zu gelangen, der Thätigkeit des Mannes eine entner¬ vende Tendenz von Galanterie, die wahrhaft großen, markigen, männlichen Werken nicht günstig ist. Die Ideale einer Gesellschaft, die vom Weibe beherrscht wird, erleiden nothwendigerweise eine Verkleinerung und Erniedrigung. Die Abdikation des Mannes führt schließlich zur völligen Zersetzung der Gesell- schaft.... Während in anderen Ländern die Emancipation des Weibes ein Traum der sozialen Reformatoren ist, sehnen hier die Einsichtigsten eine Eman¬ zipation des Mannes herbei." Es darf nicht wunder nehmen, daß unter solchen Verhältnissen in Paris das Junggesellenthum in noch größeren Proportionen zunimmt, als ohne¬ hin in großen Städten rin überfeinerten Luxus und schroffer Scheidung des Reichthums von der Armuth. Die französischen Theaterdichter wählen gewiß keine Stoffe und lassen ihre Helden gewiß keine Ansichten aussprechen, die nicht in der großen Menge der Zeitgenossen sympathischen Widerhall finden. Die französischen Ehebruchsdramen aber, die seit zehn Jahren die Pariser Bühne beherrschten, tragen sammt und sonders eine große Warnungstafel vor der Ehe an der Stirne und die neueste dramatische Richtung, „1'ami ?red,2" von Erckmann Chatrian, „los irrM^W riollss" von Dreyfous und selbst „NMEtts se -lÄoc^ot» von Offenbach stellen den Charakter des Lustspiels, wie wir ihn seit Shakespeare, Moliöre und Lessing gewonnen glaubten und die Vertheiluug der Rollen der Geschlechter geradezu aus den Kopf. Das alte Stück von Oliver Goldsmith „öls stooxs w come^r" hat uur scheinbar den verkehrten und uns widerstrebenden Inhalt dieser neuesten französischen Bühnen¬ mache: daß nicht mehr der Mann um die Frau ringt, sondern die Frau um den Maun. „Aus dem Jäger ist das Wild geworden; im Turnier der Liebe ist nicht mehr das Weib, sondern der Mann der Preis." Nicht blos „zürtelnde Gemüther", wie der Verfasser insinuirt, sondern Alle, die in normalen Nationen die normale Stellung der Geschlechter zu einander vorfinden, werden diese neueste Schablone der Pariser Lustspieldichtung unnatürlich und widerwärtig finden. Aber darum soll ihr die Berechtigung für Paris nicht bestritten werden. Das Pariser Leben, das Verhältniß von Mann und Weib in Paris bei der Werbung, in der Gesellschaft überhaupt, stellen diese Stücke leider richtig dar; und sie stellen es richtig dar, weil das Anwachsen des Junggesellenthums in Paris mehr und mehr zu einer Gefahr der ganzen Gesellschaft der Haupt- Grenzboten II. 1873. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/317>, abgerufen am 29.12.2024.