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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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unsre Bevölkerung in ganz andrem Maße angewachsen ist, als die französische.
Sodann wird in der übergroßen Mehrzahl unsrer sog. "Restaurationen" oder
(in Süddeutschland) "Brauereien" fast nur Bier ausgeschenkt, also ein weit
gesünderes, weit weniger alkoholhaltiges Getränke, als in Frankreich von den
Trinkern eingenommen zu werden Pflegt; denn in Frankreich wird Vormittags
und Nachmittags zwischen 5 und 6 Uhr -- der "Absinth-Stunde"! -- haupt¬
sächlich Schnaps konsumirt. Sodann ist schon nach dem bisherigen Gewerbe¬
recht (Z 33) in Deutschland die Erwerbung der Befugniß zum Betriebe einer
neuen Schuapskneipe voll dem Nachweise eines wirklichen Ortsbedürfuisses
abhängig gemacht, außerdem aber sind die Bestimmungen des Gesetzes, welche
die Genehmigung des Gewerbebetriebs an die moralische Unbescholtenheit des
Nachsuchenden und die lokale Unbedenklichkeit der Gastwirthschaftsränine knüpften,
streng, häufig (namentlich in Sachsen in den letzten fünf Jahren) mit einer dem
Sinn und Willen des Gesetzes kaum vereinbaren Strenge geübt worden. Weiter
füllt die große Vermehrung unsrer Schnnkstätten ganz hauptsächlich in die
Tage des Milliardenransches, wo mit der fieberhaften Steigerung aller indu¬
striellen Unternehmungen und dem rapiden Sinken des Geldwerthes auch die
Sucht nach Genuß fieberhaft stieg. Endlich hat vor dem Inkrafttreten der
deutschen Gewerbeordnung ein fast monopolistischer oder baimrechtlicher Zug
wenn auch nicht die Gesetzgebung, doch die Praxis der Verwaltungsbehörden in
Betreff des Gewerbetriebes der scheint- und Gastwirthe beherrscht und es ist
nur begreiflich, daß die neue, seit 1869 gewonnene Freiheit an manchen Orten
in das andre Extrem umschlug. Hier bietet das rasche Allewerden derer, die
sich voll Etablirung einer Restauration goldne Berge versprechen, ein ganz
natürliches Korrektiv gegen den Mißbrauch des Gesetzes. Aber selbstverständ¬
lich sind auch die zahllosen, vergeldstagten Wirthe in dem statistischen Beiwerk
unsrer Regierungsvorlage, die den Z 33 der Gewerbeordnung betrifft, gewissen¬
haft beim Zuwachs der Schankstütten mitgezählt worden.

Man wird diese Abschweifung auf deutsche Verhältnisse entschuldigen mit
dem lebhaften Interesse des Tages, das ihnen gerade sich zuwendet. Will man
von deu beredten Zahlen absehen und das Maß des allgemeinen Alkoholge-
nusses nach den Gewohnheiten der Bevölkerung beurtheilen, so wird man für
Frankreich abermals einen sehr unvorteilhaften Vorsprung konstatiren müssen.
Höchst charakteristisch ist in dieser Hinsicht das einzige Gesetz, mit welchem die
französische Nationalversammlung in den letzten Jahren dem auch von ihr er¬
kannten allgemeinen Uebel zu steuern suchte. Was bestimmt dieses Gesetz? Es
bestimmt, daß die Kneipen nicht länger als bis Mitternacht geöffnet sein sollen --
es gab also eine Bestimmung zu Anfang der siebziger Jahre, deren Wächter
bei uns der Volkshumor schon zu den ehrwürdigstell Gestalten rechnet, und


unsre Bevölkerung in ganz andrem Maße angewachsen ist, als die französische.
Sodann wird in der übergroßen Mehrzahl unsrer sog. „Restaurationen" oder
(in Süddeutschland) „Brauereien" fast nur Bier ausgeschenkt, also ein weit
gesünderes, weit weniger alkoholhaltiges Getränke, als in Frankreich von den
Trinkern eingenommen zu werden Pflegt; denn in Frankreich wird Vormittags
und Nachmittags zwischen 5 und 6 Uhr — der „Absinth-Stunde"! — haupt¬
sächlich Schnaps konsumirt. Sodann ist schon nach dem bisherigen Gewerbe¬
recht (Z 33) in Deutschland die Erwerbung der Befugniß zum Betriebe einer
neuen Schuapskneipe voll dem Nachweise eines wirklichen Ortsbedürfuisses
abhängig gemacht, außerdem aber sind die Bestimmungen des Gesetzes, welche
die Genehmigung des Gewerbebetriebs an die moralische Unbescholtenheit des
Nachsuchenden und die lokale Unbedenklichkeit der Gastwirthschaftsränine knüpften,
streng, häufig (namentlich in Sachsen in den letzten fünf Jahren) mit einer dem
Sinn und Willen des Gesetzes kaum vereinbaren Strenge geübt worden. Weiter
füllt die große Vermehrung unsrer Schnnkstätten ganz hauptsächlich in die
Tage des Milliardenransches, wo mit der fieberhaften Steigerung aller indu¬
striellen Unternehmungen und dem rapiden Sinken des Geldwerthes auch die
Sucht nach Genuß fieberhaft stieg. Endlich hat vor dem Inkrafttreten der
deutschen Gewerbeordnung ein fast monopolistischer oder baimrechtlicher Zug
wenn auch nicht die Gesetzgebung, doch die Praxis der Verwaltungsbehörden in
Betreff des Gewerbetriebes der scheint- und Gastwirthe beherrscht und es ist
nur begreiflich, daß die neue, seit 1869 gewonnene Freiheit an manchen Orten
in das andre Extrem umschlug. Hier bietet das rasche Allewerden derer, die
sich voll Etablirung einer Restauration goldne Berge versprechen, ein ganz
natürliches Korrektiv gegen den Mißbrauch des Gesetzes. Aber selbstverständ¬
lich sind auch die zahllosen, vergeldstagten Wirthe in dem statistischen Beiwerk
unsrer Regierungsvorlage, die den Z 33 der Gewerbeordnung betrifft, gewissen¬
haft beim Zuwachs der Schankstütten mitgezählt worden.

Man wird diese Abschweifung auf deutsche Verhältnisse entschuldigen mit
dem lebhaften Interesse des Tages, das ihnen gerade sich zuwendet. Will man
von deu beredten Zahlen absehen und das Maß des allgemeinen Alkoholge-
nusses nach den Gewohnheiten der Bevölkerung beurtheilen, so wird man für
Frankreich abermals einen sehr unvorteilhaften Vorsprung konstatiren müssen.
Höchst charakteristisch ist in dieser Hinsicht das einzige Gesetz, mit welchem die
französische Nationalversammlung in den letzten Jahren dem auch von ihr er¬
kannten allgemeinen Uebel zu steuern suchte. Was bestimmt dieses Gesetz? Es
bestimmt, daß die Kneipen nicht länger als bis Mitternacht geöffnet sein sollen —
es gab also eine Bestimmung zu Anfang der siebziger Jahre, deren Wächter
bei uns der Volkshumor schon zu den ehrwürdigstell Gestalten rechnet, und


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[0308] unsre Bevölkerung in ganz andrem Maße angewachsen ist, als die französische. Sodann wird in der übergroßen Mehrzahl unsrer sog. „Restaurationen" oder (in Süddeutschland) „Brauereien" fast nur Bier ausgeschenkt, also ein weit gesünderes, weit weniger alkoholhaltiges Getränke, als in Frankreich von den Trinkern eingenommen zu werden Pflegt; denn in Frankreich wird Vormittags und Nachmittags zwischen 5 und 6 Uhr — der „Absinth-Stunde"! — haupt¬ sächlich Schnaps konsumirt. Sodann ist schon nach dem bisherigen Gewerbe¬ recht (Z 33) in Deutschland die Erwerbung der Befugniß zum Betriebe einer neuen Schuapskneipe voll dem Nachweise eines wirklichen Ortsbedürfuisses abhängig gemacht, außerdem aber sind die Bestimmungen des Gesetzes, welche die Genehmigung des Gewerbebetriebs an die moralische Unbescholtenheit des Nachsuchenden und die lokale Unbedenklichkeit der Gastwirthschaftsränine knüpften, streng, häufig (namentlich in Sachsen in den letzten fünf Jahren) mit einer dem Sinn und Willen des Gesetzes kaum vereinbaren Strenge geübt worden. Weiter füllt die große Vermehrung unsrer Schnnkstätten ganz hauptsächlich in die Tage des Milliardenransches, wo mit der fieberhaften Steigerung aller indu¬ striellen Unternehmungen und dem rapiden Sinken des Geldwerthes auch die Sucht nach Genuß fieberhaft stieg. Endlich hat vor dem Inkrafttreten der deutschen Gewerbeordnung ein fast monopolistischer oder baimrechtlicher Zug wenn auch nicht die Gesetzgebung, doch die Praxis der Verwaltungsbehörden in Betreff des Gewerbetriebes der scheint- und Gastwirthe beherrscht und es ist nur begreiflich, daß die neue, seit 1869 gewonnene Freiheit an manchen Orten in das andre Extrem umschlug. Hier bietet das rasche Allewerden derer, die sich voll Etablirung einer Restauration goldne Berge versprechen, ein ganz natürliches Korrektiv gegen den Mißbrauch des Gesetzes. Aber selbstverständ¬ lich sind auch die zahllosen, vergeldstagten Wirthe in dem statistischen Beiwerk unsrer Regierungsvorlage, die den Z 33 der Gewerbeordnung betrifft, gewissen¬ haft beim Zuwachs der Schankstütten mitgezählt worden. Man wird diese Abschweifung auf deutsche Verhältnisse entschuldigen mit dem lebhaften Interesse des Tages, das ihnen gerade sich zuwendet. Will man von deu beredten Zahlen absehen und das Maß des allgemeinen Alkoholge- nusses nach den Gewohnheiten der Bevölkerung beurtheilen, so wird man für Frankreich abermals einen sehr unvorteilhaften Vorsprung konstatiren müssen. Höchst charakteristisch ist in dieser Hinsicht das einzige Gesetz, mit welchem die französische Nationalversammlung in den letzten Jahren dem auch von ihr er¬ kannten allgemeinen Uebel zu steuern suchte. Was bestimmt dieses Gesetz? Es bestimmt, daß die Kneipen nicht länger als bis Mitternacht geöffnet sein sollen — es gab also eine Bestimmung zu Anfang der siebziger Jahre, deren Wächter bei uns der Volkshumor schon zu den ehrwürdigstell Gestalten rechnet, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/308>, abgerufen am 27.07.2024.