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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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heraus, daß j e d er Bewohner Frankreichs im Jahre 120 Liter Wein, 22 Liter
Bier, 3 Liter Schnaps, und etwa 10 Liter Cider trinkt oder richtiger vertilgt.
Jeder Franzose -- also Weiber und Kinder einbegriffen! Man wird also,
wenn man die Kinder abzieht -- wir werden sehen, daß wir dazu nicht einmal
vollständig berechtigt sind, -- und die Weiber weit niedriger in der Tranksteuer ab¬
schätzt, - die Landbevölkerung aber im Verbrauche alkoholischer Getränke durch¬
schnittlich auf eine viel günstigere Stufe stellt, als die Einwohner der Städte,
namentlich großer Städte, nicht blos dahin gelangen, wohin der Verfasser ge¬
langt: dem erwachsenen männlichen Franzosen durchschnittlich das Doppelte
dieser Norinalvertilgung alkoholhaltiger Getränke zuzuschreiben, sondern man
wird mit der dreifachen Masse kaum zu hoch greifen! Und nun vergleiche
mau mit diesen Ziffern den Dnrchschnittskonsum an geistigen Getränken, den
Jeder in einer deutschen Stadt, vollends auf einem deutschen Dorfe beobachten
kann, so wird man ermessen können, ob die Franzosen uns mit Grund eine
Nation von Trinkern schelten können.

Dazu kommt aber ein andrer, den Franzosen noch nachtheiligerer Umstand.
Wir kennen Alle aus unsern Volkszählungen die Ziffern, um welche die deutsche
Bevölkerung nur im letzten Jahrzehnt gewachsen ist. Frankreich hat im Gegen¬
satz zu uns in den letzten fünfzig Jahren nur eine Volksvermehrung von
2'/z Millionen Seelen aufzuweisen -- also noch lange nicht den Zuwachs
Deutschlands im letzten Jahrzehnt. Der Alkoholgenuß dagegen hat sich in
Frankreich in diesen fünf Decennien, in denen seine Bevölkerung von 32'/z auf
35 Millionen wuchs, gerade verdoppelt, und unglücklicher Weise trifft die Zu-
nahme des Genusses im letzten Jahrzehnt (1866--76) hauptsächlich den Schnaps.
In diesen Zeitraum ist der Schnapskonsum um 33^/z "/<, d. h. von 2 auf 3
Liter pro Kopf der Bevölkerung gestiegen. Diesem gesteigerten Konsum entsprach
beinahe die Vermehrung der Kneipen. Auch in dieser Hinsicht zeigt Frankreich
hente ein weit ungünstigeres Verhältniß als Deutschland, Am 1. Januar 1877
kam in Frankreich auf 102 Einwohner, also auf kaum 40 erwachsene Männer,
eine Kneipe. Die Zahlen, die für Deutschland, sehr verschieden für die einzelnen
Landestheile, in Betracht kommen, gibt uns der Gesetzentwurf der Regierung
an die Hand, der eben den deutschen Reichstag beschäftigt, und die Abänderung
des § 33 der deutscheu Gewerbeordnung (die Bedingungen zur Ertheilung der
Schankkonzession) zum Zweck hat. Hierbei ist für Deutschland aber besonders noch
darauf zu verweisen, daß die große Vermehrung der Schänkstätten, die Deutsch¬
land seit dem Inkrafttreten der Gewerbeordnung von 1869 in Norddeutschland
und deren Ausdehnung auf Sttddeutschlcmd zu Anfang der 70er Jahre auch
hier erfahren hat, keineswegs so bedenklich erscheint, wie das -- viel größere --
Anwachsen derselben in Frankreich. Denn erstens wurde schon gezeigt, daß


heraus, daß j e d er Bewohner Frankreichs im Jahre 120 Liter Wein, 22 Liter
Bier, 3 Liter Schnaps, und etwa 10 Liter Cider trinkt oder richtiger vertilgt.
Jeder Franzose — also Weiber und Kinder einbegriffen! Man wird also,
wenn man die Kinder abzieht — wir werden sehen, daß wir dazu nicht einmal
vollständig berechtigt sind, — und die Weiber weit niedriger in der Tranksteuer ab¬
schätzt, - die Landbevölkerung aber im Verbrauche alkoholischer Getränke durch¬
schnittlich auf eine viel günstigere Stufe stellt, als die Einwohner der Städte,
namentlich großer Städte, nicht blos dahin gelangen, wohin der Verfasser ge¬
langt: dem erwachsenen männlichen Franzosen durchschnittlich das Doppelte
dieser Norinalvertilgung alkoholhaltiger Getränke zuzuschreiben, sondern man
wird mit der dreifachen Masse kaum zu hoch greifen! Und nun vergleiche
mau mit diesen Ziffern den Dnrchschnittskonsum an geistigen Getränken, den
Jeder in einer deutschen Stadt, vollends auf einem deutschen Dorfe beobachten
kann, so wird man ermessen können, ob die Franzosen uns mit Grund eine
Nation von Trinkern schelten können.

Dazu kommt aber ein andrer, den Franzosen noch nachtheiligerer Umstand.
Wir kennen Alle aus unsern Volkszählungen die Ziffern, um welche die deutsche
Bevölkerung nur im letzten Jahrzehnt gewachsen ist. Frankreich hat im Gegen¬
satz zu uns in den letzten fünfzig Jahren nur eine Volksvermehrung von
2'/z Millionen Seelen aufzuweisen — also noch lange nicht den Zuwachs
Deutschlands im letzten Jahrzehnt. Der Alkoholgenuß dagegen hat sich in
Frankreich in diesen fünf Decennien, in denen seine Bevölkerung von 32'/z auf
35 Millionen wuchs, gerade verdoppelt, und unglücklicher Weise trifft die Zu-
nahme des Genusses im letzten Jahrzehnt (1866—76) hauptsächlich den Schnaps.
In diesen Zeitraum ist der Schnapskonsum um 33^/z «/<, d. h. von 2 auf 3
Liter pro Kopf der Bevölkerung gestiegen. Diesem gesteigerten Konsum entsprach
beinahe die Vermehrung der Kneipen. Auch in dieser Hinsicht zeigt Frankreich
hente ein weit ungünstigeres Verhältniß als Deutschland, Am 1. Januar 1877
kam in Frankreich auf 102 Einwohner, also auf kaum 40 erwachsene Männer,
eine Kneipe. Die Zahlen, die für Deutschland, sehr verschieden für die einzelnen
Landestheile, in Betracht kommen, gibt uns der Gesetzentwurf der Regierung
an die Hand, der eben den deutschen Reichstag beschäftigt, und die Abänderung
des § 33 der deutscheu Gewerbeordnung (die Bedingungen zur Ertheilung der
Schankkonzession) zum Zweck hat. Hierbei ist für Deutschland aber besonders noch
darauf zu verweisen, daß die große Vermehrung der Schänkstätten, die Deutsch¬
land seit dem Inkrafttreten der Gewerbeordnung von 1869 in Norddeutschland
und deren Ausdehnung auf Sttddeutschlcmd zu Anfang der 70er Jahre auch
hier erfahren hat, keineswegs so bedenklich erscheint, wie das — viel größere —
Anwachsen derselben in Frankreich. Denn erstens wurde schon gezeigt, daß


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[0307] heraus, daß j e d er Bewohner Frankreichs im Jahre 120 Liter Wein, 22 Liter Bier, 3 Liter Schnaps, und etwa 10 Liter Cider trinkt oder richtiger vertilgt. Jeder Franzose — also Weiber und Kinder einbegriffen! Man wird also, wenn man die Kinder abzieht — wir werden sehen, daß wir dazu nicht einmal vollständig berechtigt sind, — und die Weiber weit niedriger in der Tranksteuer ab¬ schätzt, - die Landbevölkerung aber im Verbrauche alkoholischer Getränke durch¬ schnittlich auf eine viel günstigere Stufe stellt, als die Einwohner der Städte, namentlich großer Städte, nicht blos dahin gelangen, wohin der Verfasser ge¬ langt: dem erwachsenen männlichen Franzosen durchschnittlich das Doppelte dieser Norinalvertilgung alkoholhaltiger Getränke zuzuschreiben, sondern man wird mit der dreifachen Masse kaum zu hoch greifen! Und nun vergleiche mau mit diesen Ziffern den Dnrchschnittskonsum an geistigen Getränken, den Jeder in einer deutschen Stadt, vollends auf einem deutschen Dorfe beobachten kann, so wird man ermessen können, ob die Franzosen uns mit Grund eine Nation von Trinkern schelten können. Dazu kommt aber ein andrer, den Franzosen noch nachtheiligerer Umstand. Wir kennen Alle aus unsern Volkszählungen die Ziffern, um welche die deutsche Bevölkerung nur im letzten Jahrzehnt gewachsen ist. Frankreich hat im Gegen¬ satz zu uns in den letzten fünfzig Jahren nur eine Volksvermehrung von 2'/z Millionen Seelen aufzuweisen — also noch lange nicht den Zuwachs Deutschlands im letzten Jahrzehnt. Der Alkoholgenuß dagegen hat sich in Frankreich in diesen fünf Decennien, in denen seine Bevölkerung von 32'/z auf 35 Millionen wuchs, gerade verdoppelt, und unglücklicher Weise trifft die Zu- nahme des Genusses im letzten Jahrzehnt (1866—76) hauptsächlich den Schnaps. In diesen Zeitraum ist der Schnapskonsum um 33^/z «/<, d. h. von 2 auf 3 Liter pro Kopf der Bevölkerung gestiegen. Diesem gesteigerten Konsum entsprach beinahe die Vermehrung der Kneipen. Auch in dieser Hinsicht zeigt Frankreich hente ein weit ungünstigeres Verhältniß als Deutschland, Am 1. Januar 1877 kam in Frankreich auf 102 Einwohner, also auf kaum 40 erwachsene Männer, eine Kneipe. Die Zahlen, die für Deutschland, sehr verschieden für die einzelnen Landestheile, in Betracht kommen, gibt uns der Gesetzentwurf der Regierung an die Hand, der eben den deutschen Reichstag beschäftigt, und die Abänderung des § 33 der deutscheu Gewerbeordnung (die Bedingungen zur Ertheilung der Schankkonzession) zum Zweck hat. Hierbei ist für Deutschland aber besonders noch darauf zu verweisen, daß die große Vermehrung der Schänkstätten, die Deutsch¬ land seit dem Inkrafttreten der Gewerbeordnung von 1869 in Norddeutschland und deren Ausdehnung auf Sttddeutschlcmd zu Anfang der 70er Jahre auch hier erfahren hat, keineswegs so bedenklich erscheint, wie das — viel größere — Anwachsen derselben in Frankreich. Denn erstens wurde schon gezeigt, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/307>, abgerufen am 01.09.2024.