Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

taufenden zählenden Handelsgeschäfte, in welchen der Tabak nicht den Haupt¬
verlag bildet, unmöglich berücksichtigt sein könnten. G. Lewinstein berechnet
sogar, daß jetzt die Existenz von 1,175,000 Menschen oder rund 2'/z Prozent
der Gesammtbevölkerung mit den: Tabake zusammenhängt. Mag diese Zahl
stark übertrieben sein, so darf man jedenfalls nicht übersehen, daß die Tabaks¬
industrie auf die Blüthe einer ganzen Reihe andrer Gewerbe, wie Fournier-
schneidereien, Kisten- und Papierfabriken, Buch- und Steindruckereien, Stift- und
Nägelfabriken :e., einen starken Einfluß übt. Um wie ansehnliche Verhältnisse
es sich dabei handelt, beweist schon die eine dem Jahrbuche für Bremische
Statistik entnommene Thatsache, daß die Bremer Kistenfabrikativn, welche dem
dortigen Tabakshandel ihre Entstehung verdankt, 1873 für 1,816,046 Mk. aus¬
führte und seitdem ungefähr auf demselben Standpunkte geblieben ist. Für die
hohe Entwickelung der deutschen Tabaksindnstrie mag endlich noch das Urtheil
der Reichszentralcommission für die Wiener Weltausstellung zitirt werden, in
welchem es heißt: "Den Leistungen der deutschen Tabalsfabrikanteu muß man
die größte Anerkennung zollen, denn sie stehen wol in der Herstellung von
billigen und guten Cigarren, Rauch- und Schnupftabaken, sei es ans inländischen
Produkte allein oder aus dessen Mischung mit eingeführten Sorten unerreicht
da. Sie verstehen es meisterhaft, die überseeischen Rohtabake so zu verarbeiten,
daß sich dieselben nicht nur im Inlande des größten Konsums erfreuen, sondern
auch in ansehnlichen Mengen ausgeführt werden."

Ueber den Tabaksverbrauch in Deutschland hat nenerdings G. Hirth in
seineu "Annalen" eine eingehende Statistik veröffentlicht. Danach betrug derselbe
im Durchschnitte der dreizehn Jahre 1864--1876/77 jährlich 1,333,661, im
Durchschnitte der drei Jahre 1871/72 bis 1873/74 sogar 1,781,417, im
Durchschnitte letzten drei Jahre 1874/75 bis 1876/77, wie erwähnt 1,440,715
Zentner. Hierzu mag mau die 20,000 Ztr. Runkelrübenblätter rechnen, welche
in Thüringen jährlich angeblich zu Tabak verwandt werden; daß im Magde¬
burgischen und in der Pfalz neben jenein Material auch uoch Zichorienblätter und
sogar Kartoffelkraut zu gleichen Zwecken mißbraucht werden sollen, ist bekannt.
Die in Süddeutschland ziemlich verbreiteten sog. Vevey-Cigarren, von denen
das Mille etwa 20 Mk. kostet, enthalten gar keinen Tabak, sondern bestehen
aus sorgfältig ausgewaschenen und dadurch ihres ursprünglichen Geruchs und
Geschmacks entkleideten Kohl- und Rübenblättern, die dann in einer besonders
präparirten Tabakssauce längere Zeit getränkt, nachher getrocknet und verarbeitet
werden. Doch auch wenn man von diesen Surrogaten absieht, marschirt Deutschland im
Konsum von wirklichem Tabak an der Spitze der zivilisirten Welt. Im Durchschnitte
der letzten fünf Jahre wurden per Kopf der Bevölkerung verbraucht in England 1,35,
in Frankreich 1,50, in Oesterreich 2,50, in Nordamerika 3,25, im deutschen Reiche


taufenden zählenden Handelsgeschäfte, in welchen der Tabak nicht den Haupt¬
verlag bildet, unmöglich berücksichtigt sein könnten. G. Lewinstein berechnet
sogar, daß jetzt die Existenz von 1,175,000 Menschen oder rund 2'/z Prozent
der Gesammtbevölkerung mit den: Tabake zusammenhängt. Mag diese Zahl
stark übertrieben sein, so darf man jedenfalls nicht übersehen, daß die Tabaks¬
industrie auf die Blüthe einer ganzen Reihe andrer Gewerbe, wie Fournier-
schneidereien, Kisten- und Papierfabriken, Buch- und Steindruckereien, Stift- und
Nägelfabriken :e., einen starken Einfluß übt. Um wie ansehnliche Verhältnisse
es sich dabei handelt, beweist schon die eine dem Jahrbuche für Bremische
Statistik entnommene Thatsache, daß die Bremer Kistenfabrikativn, welche dem
dortigen Tabakshandel ihre Entstehung verdankt, 1873 für 1,816,046 Mk. aus¬
führte und seitdem ungefähr auf demselben Standpunkte geblieben ist. Für die
hohe Entwickelung der deutschen Tabaksindnstrie mag endlich noch das Urtheil
der Reichszentralcommission für die Wiener Weltausstellung zitirt werden, in
welchem es heißt: „Den Leistungen der deutschen Tabalsfabrikanteu muß man
die größte Anerkennung zollen, denn sie stehen wol in der Herstellung von
billigen und guten Cigarren, Rauch- und Schnupftabaken, sei es ans inländischen
Produkte allein oder aus dessen Mischung mit eingeführten Sorten unerreicht
da. Sie verstehen es meisterhaft, die überseeischen Rohtabake so zu verarbeiten,
daß sich dieselben nicht nur im Inlande des größten Konsums erfreuen, sondern
auch in ansehnlichen Mengen ausgeführt werden."

Ueber den Tabaksverbrauch in Deutschland hat nenerdings G. Hirth in
seineu „Annalen" eine eingehende Statistik veröffentlicht. Danach betrug derselbe
im Durchschnitte der dreizehn Jahre 1864—1876/77 jährlich 1,333,661, im
Durchschnitte der drei Jahre 1871/72 bis 1873/74 sogar 1,781,417, im
Durchschnitte letzten drei Jahre 1874/75 bis 1876/77, wie erwähnt 1,440,715
Zentner. Hierzu mag mau die 20,000 Ztr. Runkelrübenblätter rechnen, welche
in Thüringen jährlich angeblich zu Tabak verwandt werden; daß im Magde¬
burgischen und in der Pfalz neben jenein Material auch uoch Zichorienblätter und
sogar Kartoffelkraut zu gleichen Zwecken mißbraucht werden sollen, ist bekannt.
Die in Süddeutschland ziemlich verbreiteten sog. Vevey-Cigarren, von denen
das Mille etwa 20 Mk. kostet, enthalten gar keinen Tabak, sondern bestehen
aus sorgfältig ausgewaschenen und dadurch ihres ursprünglichen Geruchs und
Geschmacks entkleideten Kohl- und Rübenblättern, die dann in einer besonders
präparirten Tabakssauce längere Zeit getränkt, nachher getrocknet und verarbeitet
werden. Doch auch wenn man von diesen Surrogaten absieht, marschirt Deutschland im
Konsum von wirklichem Tabak an der Spitze der zivilisirten Welt. Im Durchschnitte
der letzten fünf Jahre wurden per Kopf der Bevölkerung verbraucht in England 1,35,
in Frankreich 1,50, in Oesterreich 2,50, in Nordamerika 3,25, im deutschen Reiche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0290" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140111"/>
          <p xml:id="ID_868" prev="#ID_867"> taufenden zählenden Handelsgeschäfte, in welchen der Tabak nicht den Haupt¬<lb/>
verlag bildet, unmöglich berücksichtigt sein könnten. G. Lewinstein berechnet<lb/>
sogar, daß jetzt die Existenz von 1,175,000 Menschen oder rund 2'/z Prozent<lb/>
der Gesammtbevölkerung mit den: Tabake zusammenhängt. Mag diese Zahl<lb/>
stark übertrieben sein, so darf man jedenfalls nicht übersehen, daß die Tabaks¬<lb/>
industrie auf die Blüthe einer ganzen Reihe andrer Gewerbe, wie Fournier-<lb/>
schneidereien, Kisten- und Papierfabriken, Buch- und Steindruckereien, Stift- und<lb/>
Nägelfabriken :e., einen starken Einfluß übt. Um wie ansehnliche Verhältnisse<lb/>
es sich dabei handelt, beweist schon die eine dem Jahrbuche für Bremische<lb/>
Statistik entnommene Thatsache, daß die Bremer Kistenfabrikativn, welche dem<lb/>
dortigen Tabakshandel ihre Entstehung verdankt, 1873 für 1,816,046 Mk. aus¬<lb/>
führte und seitdem ungefähr auf demselben Standpunkte geblieben ist. Für die<lb/>
hohe Entwickelung der deutschen Tabaksindnstrie mag endlich noch das Urtheil<lb/>
der Reichszentralcommission für die Wiener Weltausstellung zitirt werden, in<lb/>
welchem es heißt: &#x201E;Den Leistungen der deutschen Tabalsfabrikanteu muß man<lb/>
die größte Anerkennung zollen, denn sie stehen wol in der Herstellung von<lb/>
billigen und guten Cigarren, Rauch- und Schnupftabaken, sei es ans inländischen<lb/>
Produkte allein oder aus dessen Mischung mit eingeführten Sorten unerreicht<lb/>
da. Sie verstehen es meisterhaft, die überseeischen Rohtabake so zu verarbeiten,<lb/>
daß sich dieselben nicht nur im Inlande des größten Konsums erfreuen, sondern<lb/>
auch in ansehnlichen Mengen ausgeführt werden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_869" next="#ID_870"> Ueber den Tabaksverbrauch in Deutschland hat nenerdings G. Hirth in<lb/>
seineu &#x201E;Annalen" eine eingehende Statistik veröffentlicht. Danach betrug derselbe<lb/>
im Durchschnitte der dreizehn Jahre 1864&#x2014;1876/77 jährlich 1,333,661, im<lb/>
Durchschnitte der drei Jahre 1871/72 bis 1873/74 sogar 1,781,417, im<lb/>
Durchschnitte letzten drei Jahre 1874/75 bis 1876/77, wie erwähnt 1,440,715<lb/>
Zentner. Hierzu mag mau die 20,000 Ztr. Runkelrübenblätter rechnen, welche<lb/>
in Thüringen jährlich angeblich zu Tabak verwandt werden; daß im Magde¬<lb/>
burgischen und in der Pfalz neben jenein Material auch uoch Zichorienblätter und<lb/>
sogar Kartoffelkraut zu gleichen Zwecken mißbraucht werden sollen, ist bekannt.<lb/>
Die in Süddeutschland ziemlich verbreiteten sog. Vevey-Cigarren, von denen<lb/>
das Mille etwa 20 Mk. kostet, enthalten gar keinen Tabak, sondern bestehen<lb/>
aus sorgfältig ausgewaschenen und dadurch ihres ursprünglichen Geruchs und<lb/>
Geschmacks entkleideten Kohl- und Rübenblättern, die dann in einer besonders<lb/>
präparirten Tabakssauce längere Zeit getränkt, nachher getrocknet und verarbeitet<lb/>
werden. Doch auch wenn man von diesen Surrogaten absieht, marschirt Deutschland im<lb/>
Konsum von wirklichem Tabak an der Spitze der zivilisirten Welt. Im Durchschnitte<lb/>
der letzten fünf Jahre wurden per Kopf der Bevölkerung verbraucht in England 1,35,<lb/>
in Frankreich 1,50, in Oesterreich 2,50, in Nordamerika 3,25, im deutschen Reiche</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0290] taufenden zählenden Handelsgeschäfte, in welchen der Tabak nicht den Haupt¬ verlag bildet, unmöglich berücksichtigt sein könnten. G. Lewinstein berechnet sogar, daß jetzt die Existenz von 1,175,000 Menschen oder rund 2'/z Prozent der Gesammtbevölkerung mit den: Tabake zusammenhängt. Mag diese Zahl stark übertrieben sein, so darf man jedenfalls nicht übersehen, daß die Tabaks¬ industrie auf die Blüthe einer ganzen Reihe andrer Gewerbe, wie Fournier- schneidereien, Kisten- und Papierfabriken, Buch- und Steindruckereien, Stift- und Nägelfabriken :e., einen starken Einfluß übt. Um wie ansehnliche Verhältnisse es sich dabei handelt, beweist schon die eine dem Jahrbuche für Bremische Statistik entnommene Thatsache, daß die Bremer Kistenfabrikativn, welche dem dortigen Tabakshandel ihre Entstehung verdankt, 1873 für 1,816,046 Mk. aus¬ führte und seitdem ungefähr auf demselben Standpunkte geblieben ist. Für die hohe Entwickelung der deutschen Tabaksindnstrie mag endlich noch das Urtheil der Reichszentralcommission für die Wiener Weltausstellung zitirt werden, in welchem es heißt: „Den Leistungen der deutschen Tabalsfabrikanteu muß man die größte Anerkennung zollen, denn sie stehen wol in der Herstellung von billigen und guten Cigarren, Rauch- und Schnupftabaken, sei es ans inländischen Produkte allein oder aus dessen Mischung mit eingeführten Sorten unerreicht da. Sie verstehen es meisterhaft, die überseeischen Rohtabake so zu verarbeiten, daß sich dieselben nicht nur im Inlande des größten Konsums erfreuen, sondern auch in ansehnlichen Mengen ausgeführt werden." Ueber den Tabaksverbrauch in Deutschland hat nenerdings G. Hirth in seineu „Annalen" eine eingehende Statistik veröffentlicht. Danach betrug derselbe im Durchschnitte der dreizehn Jahre 1864—1876/77 jährlich 1,333,661, im Durchschnitte der drei Jahre 1871/72 bis 1873/74 sogar 1,781,417, im Durchschnitte letzten drei Jahre 1874/75 bis 1876/77, wie erwähnt 1,440,715 Zentner. Hierzu mag mau die 20,000 Ztr. Runkelrübenblätter rechnen, welche in Thüringen jährlich angeblich zu Tabak verwandt werden; daß im Magde¬ burgischen und in der Pfalz neben jenein Material auch uoch Zichorienblätter und sogar Kartoffelkraut zu gleichen Zwecken mißbraucht werden sollen, ist bekannt. Die in Süddeutschland ziemlich verbreiteten sog. Vevey-Cigarren, von denen das Mille etwa 20 Mk. kostet, enthalten gar keinen Tabak, sondern bestehen aus sorgfältig ausgewaschenen und dadurch ihres ursprünglichen Geruchs und Geschmacks entkleideten Kohl- und Rübenblättern, die dann in einer besonders präparirten Tabakssauce längere Zeit getränkt, nachher getrocknet und verarbeitet werden. Doch auch wenn man von diesen Surrogaten absieht, marschirt Deutschland im Konsum von wirklichem Tabak an der Spitze der zivilisirten Welt. Im Durchschnitte der letzten fünf Jahre wurden per Kopf der Bevölkerung verbraucht in England 1,35, in Frankreich 1,50, in Oesterreich 2,50, in Nordamerika 3,25, im deutschen Reiche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/290
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/290>, abgerufen am 27.07.2024.