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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Wie land mußte die Polemik gegen Gottsched besorgen; auch gegen
die Lobpreiser der Sinnlichkeit wurde er vorgeschickt. "Die Nachwelt wird euch
hassen! jedes Bild, das die Seele befleckt, jede unden'ge Begier, die ihr zeugt,
wird euch verdammen! Trauriger Ruhm, die Neigungen, die von Gott uns
entfernen, mit Ovidischer Kunst in zärtliche Herzen zu gießen! Ruhm, von
Teufeln beneidet zu werden würdig!"

"Wieland, schreibt Ewald von Kleist, der sich eben als preußischer
Werbeoffizier in Zürich aufhielt, ist zwar noch sehr jung, will aber schon
die Welt reformiren, und hat wirklich erstaunlich viel Genie; er arbeitet nur
ein wenig zu viel, und wird sich unfehlbar bald erschöpfen."

"Zürich ist ein unvergleichlicher Ort. Wenn man in Berlin kaum zwei
bis drei Leute von Genie und Geschmack antrifft, findet man in dem kleinen
Zürich mehr als zwanzig bis dreißig. Sie denken und fühlen, und sind dabei
lustige und witzige Schelme. Ich mag zwar in der Lust nicht zu weit gehn,
damit ich nicht Klopstock's Schicksal habe! Indeß bringe ich meine Zeit sehr
angenehm hin."

Die Zeit sollte nicht lange währen: die Stadt wollte den preußischen
Werber festnehmen, er entwischte bei Nacht und Nebel.

Er eilte nach Halberstadt zu seinem Gleim, der Hochzeit machen wollte.
15. März 1753 hatte er sich verlobt, mit Sophie, der Tochter des Bergrath
Meyer in Blankenburg: "achtzehn Jahr alt," schreibt er an Uz, "eine Brünette,
wie Sie sich gewünscht haben, besser als die Doris) die meine hundert Lieder
besingen, besser als das Mädchen, das meine Einbildangskraft geschaffen hat.
O welche Glückseligkeit ist es, lieben! Es ist Ihnen nicht bekannt, wie spröde
ich bisher gegen alle Mädchen gewesen bin. O wie danke ich dem Himmel,
daß er diesem Kaltsinn einen bessern Lohn aufgehoben hat, als der war, den
meine Freunde, den manche Mädchen mir prophezeiten."

Als Kleist ankam, war das Verhältniß bereits zerrissen. Den 2. Mai
war die Hochzeit angesetzt, da hatte die Braut plötzlich erklärt, sie wolle sich
lieber der größten Schande aussetzen, als ihn heirathen, und der Vater hatte
dem bestürzten Bräutigam vorgeworfen, er hätte seine Tochter von der Liebe
zu ihm abwendig gemacht; Gott habe ihr die Sünde zu erkennen gegeben und
führe sie ihm wieder zurück. Alle Vorstellungen halfen nichts.

"Dünkt es Sie nicht besonders," schrieb er an Uz, "daß ich mich von
einem Mädchen habe betrügen lassen? ich, den Sie für einen so großen Kenner
der Mädchen halten? -- Mich zu betrügen, das wäre eben keine große Kunst
auch für ein weniger witziges Mädchen gewesen: denn ich bin in der That
kein so guter Mädchenkenner, als meine Lieder mich denken lassen. Der ich
der Schönen Lob in hundert Liedern sang und ihre Küss' und ihre Tugend,


Wie land mußte die Polemik gegen Gottsched besorgen; auch gegen
die Lobpreiser der Sinnlichkeit wurde er vorgeschickt. „Die Nachwelt wird euch
hassen! jedes Bild, das die Seele befleckt, jede unden'ge Begier, die ihr zeugt,
wird euch verdammen! Trauriger Ruhm, die Neigungen, die von Gott uns
entfernen, mit Ovidischer Kunst in zärtliche Herzen zu gießen! Ruhm, von
Teufeln beneidet zu werden würdig!"

„Wieland, schreibt Ewald von Kleist, der sich eben als preußischer
Werbeoffizier in Zürich aufhielt, ist zwar noch sehr jung, will aber schon
die Welt reformiren, und hat wirklich erstaunlich viel Genie; er arbeitet nur
ein wenig zu viel, und wird sich unfehlbar bald erschöpfen."

„Zürich ist ein unvergleichlicher Ort. Wenn man in Berlin kaum zwei
bis drei Leute von Genie und Geschmack antrifft, findet man in dem kleinen
Zürich mehr als zwanzig bis dreißig. Sie denken und fühlen, und sind dabei
lustige und witzige Schelme. Ich mag zwar in der Lust nicht zu weit gehn,
damit ich nicht Klopstock's Schicksal habe! Indeß bringe ich meine Zeit sehr
angenehm hin."

Die Zeit sollte nicht lange währen: die Stadt wollte den preußischen
Werber festnehmen, er entwischte bei Nacht und Nebel.

Er eilte nach Halberstadt zu seinem Gleim, der Hochzeit machen wollte.
15. März 1753 hatte er sich verlobt, mit Sophie, der Tochter des Bergrath
Meyer in Blankenburg: „achtzehn Jahr alt," schreibt er an Uz, „eine Brünette,
wie Sie sich gewünscht haben, besser als die Doris) die meine hundert Lieder
besingen, besser als das Mädchen, das meine Einbildangskraft geschaffen hat.
O welche Glückseligkeit ist es, lieben! Es ist Ihnen nicht bekannt, wie spröde
ich bisher gegen alle Mädchen gewesen bin. O wie danke ich dem Himmel,
daß er diesem Kaltsinn einen bessern Lohn aufgehoben hat, als der war, den
meine Freunde, den manche Mädchen mir prophezeiten."

Als Kleist ankam, war das Verhältniß bereits zerrissen. Den 2. Mai
war die Hochzeit angesetzt, da hatte die Braut plötzlich erklärt, sie wolle sich
lieber der größten Schande aussetzen, als ihn heirathen, und der Vater hatte
dem bestürzten Bräutigam vorgeworfen, er hätte seine Tochter von der Liebe
zu ihm abwendig gemacht; Gott habe ihr die Sünde zu erkennen gegeben und
führe sie ihm wieder zurück. Alle Vorstellungen halfen nichts.

„Dünkt es Sie nicht besonders," schrieb er an Uz, „daß ich mich von
einem Mädchen habe betrügen lassen? ich, den Sie für einen so großen Kenner
der Mädchen halten? — Mich zu betrügen, das wäre eben keine große Kunst
auch für ein weniger witziges Mädchen gewesen: denn ich bin in der That
kein so guter Mädchenkenner, als meine Lieder mich denken lassen. Der ich
der Schönen Lob in hundert Liedern sang und ihre Küss' und ihre Tugend,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/23>, abgerufen am 01.09.2024.