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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Handlung: "Ueber das Sehen und die Farben" eine zweite Auflage, 1859 er¬
schien die dritte Auflage seines Hauptwerth, gleich darauf eine neue Auflage
der Grundprobleme der Ethik.

Fragen wir nach den Ursachen dieses späten so lange vergeblich begehrten
Erfolges, so liegt es nahe, an die rastlose Thätigkeit seiner Schüler, besonders
Lindners zu denken, der als Mitredakteur der Vossischen Zeitung viel Gelegen¬
heit fand durch die Presse für Schopenhauer Propaganda zu' machen; indessen
wir haben die entscheidenden Gründe doch tiefer zu suchen. Sie lagen in den
eigenthümlichen Verhältnissen der Zeit. Die Revolution und die Reaktion
waren beide geeignet, pessimistisch zu stimmen, denn jene hatte die hohen poli¬
tischen Ideen der deutschen Freiheit und Einheit, diese die ebenso hohen politi¬
schen Ideen der Ordnung und des Maßes karrikirt. Kein Wunder, daß eine
Pessimistische Weltanschauung, eine Philosophie, die lehrte, daß es unmöglich
sei, in dieser elenden Welt Ideale zu verwirklichen, Wurzel faßte.

Insoweit es noch möglich war, das Selbstgefühl Schopenhauers zu steigern,
geschah es in Folge der Anerkennung, die ihm jetzt zu Theil wurde. Er sah
sich als Messias, seine Anhänger als Apostel und Evangelisten an, die seinen
Ruhm so laut als möglich zu verbreiten, seine Gegner so rücksichtslos als
möglich niederzuwerfen verpflichtet feien. Hatten sie in diesem Werk nicht Eifer
genug bewiesen, so war ihnen seine Ungnade sicher.

Auf der Höhe literarischen Ruhmes starb Schopenhauer, am 20. Sep¬
tember 1860, in Frankfurt a. M., das er seit 1833 als Wohnort erwählt
hatte. Der Blick auf sein Leben ist ebensowenig wohlthuend wie die Betrach¬
tung seiner Philosophie. Beide stehen in innerem Zusammenhang und zugleich
in innerem Widerspruch zu einander, ersteres, denn seine Philosophie ist die
objektive Spiegelung seiner eigenthümlichen Individualität, letzteres, denn er
hat das von ihm ausgegebene Wort der Lösung, die Forderung der Selbstver¬
neinung, durchaus nicht in Wirklichkeit umgesetzt. Sein Leben ist nichts anderes
als konsequenteste Selbstbejahung. Praktisch hat er sein System Lügen gestraft.

War sein Leben ein in sich befriedigtes gewesen? Gewiß nicht, denn die
Hingabe an die Ideen des sittlichen Lebens, die Gemeinschaft mit gleich Ge¬
sinnten, Freundschaft und Liebe als Güter, die nicht bloß empfangen, sondern
auch gegeben werden müssen, haben ihm gefehlt. Sein Leben war innerlich
arm, und das Wort, das Goethe in sein Stammbuch geschrieben:


Willst Du Dich Deines Werthes freuen,
So mußt der Welt Du Werth verleihen;

es ist in Erfüllung gegangen. Nur am Schluß seines Laufs ist es anders
gekommen. Ohne daß er der Welt Werth verlieh, hat er sich seines Werthes
freuen dürfen. Aber freilich, die Frende, die Goethe im Sinne hatte, ist ihm


Handlung: „Ueber das Sehen und die Farben" eine zweite Auflage, 1859 er¬
schien die dritte Auflage seines Hauptwerth, gleich darauf eine neue Auflage
der Grundprobleme der Ethik.

Fragen wir nach den Ursachen dieses späten so lange vergeblich begehrten
Erfolges, so liegt es nahe, an die rastlose Thätigkeit seiner Schüler, besonders
Lindners zu denken, der als Mitredakteur der Vossischen Zeitung viel Gelegen¬
heit fand durch die Presse für Schopenhauer Propaganda zu' machen; indessen
wir haben die entscheidenden Gründe doch tiefer zu suchen. Sie lagen in den
eigenthümlichen Verhältnissen der Zeit. Die Revolution und die Reaktion
waren beide geeignet, pessimistisch zu stimmen, denn jene hatte die hohen poli¬
tischen Ideen der deutschen Freiheit und Einheit, diese die ebenso hohen politi¬
schen Ideen der Ordnung und des Maßes karrikirt. Kein Wunder, daß eine
Pessimistische Weltanschauung, eine Philosophie, die lehrte, daß es unmöglich
sei, in dieser elenden Welt Ideale zu verwirklichen, Wurzel faßte.

Insoweit es noch möglich war, das Selbstgefühl Schopenhauers zu steigern,
geschah es in Folge der Anerkennung, die ihm jetzt zu Theil wurde. Er sah
sich als Messias, seine Anhänger als Apostel und Evangelisten an, die seinen
Ruhm so laut als möglich zu verbreiten, seine Gegner so rücksichtslos als
möglich niederzuwerfen verpflichtet feien. Hatten sie in diesem Werk nicht Eifer
genug bewiesen, so war ihnen seine Ungnade sicher.

Auf der Höhe literarischen Ruhmes starb Schopenhauer, am 20. Sep¬
tember 1860, in Frankfurt a. M., das er seit 1833 als Wohnort erwählt
hatte. Der Blick auf sein Leben ist ebensowenig wohlthuend wie die Betrach¬
tung seiner Philosophie. Beide stehen in innerem Zusammenhang und zugleich
in innerem Widerspruch zu einander, ersteres, denn seine Philosophie ist die
objektive Spiegelung seiner eigenthümlichen Individualität, letzteres, denn er
hat das von ihm ausgegebene Wort der Lösung, die Forderung der Selbstver¬
neinung, durchaus nicht in Wirklichkeit umgesetzt. Sein Leben ist nichts anderes
als konsequenteste Selbstbejahung. Praktisch hat er sein System Lügen gestraft.

War sein Leben ein in sich befriedigtes gewesen? Gewiß nicht, denn die
Hingabe an die Ideen des sittlichen Lebens, die Gemeinschaft mit gleich Ge¬
sinnten, Freundschaft und Liebe als Güter, die nicht bloß empfangen, sondern
auch gegeben werden müssen, haben ihm gefehlt. Sein Leben war innerlich
arm, und das Wort, das Goethe in sein Stammbuch geschrieben:


Willst Du Dich Deines Werthes freuen,
So mußt der Welt Du Werth verleihen;

es ist in Erfüllung gegangen. Nur am Schluß seines Laufs ist es anders
gekommen. Ohne daß er der Welt Werth verlieh, hat er sich seines Werthes
freuen dürfen. Aber freilich, die Frende, die Goethe im Sinne hatte, ist ihm


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[0215] Handlung: „Ueber das Sehen und die Farben" eine zweite Auflage, 1859 er¬ schien die dritte Auflage seines Hauptwerth, gleich darauf eine neue Auflage der Grundprobleme der Ethik. Fragen wir nach den Ursachen dieses späten so lange vergeblich begehrten Erfolges, so liegt es nahe, an die rastlose Thätigkeit seiner Schüler, besonders Lindners zu denken, der als Mitredakteur der Vossischen Zeitung viel Gelegen¬ heit fand durch die Presse für Schopenhauer Propaganda zu' machen; indessen wir haben die entscheidenden Gründe doch tiefer zu suchen. Sie lagen in den eigenthümlichen Verhältnissen der Zeit. Die Revolution und die Reaktion waren beide geeignet, pessimistisch zu stimmen, denn jene hatte die hohen poli¬ tischen Ideen der deutschen Freiheit und Einheit, diese die ebenso hohen politi¬ schen Ideen der Ordnung und des Maßes karrikirt. Kein Wunder, daß eine Pessimistische Weltanschauung, eine Philosophie, die lehrte, daß es unmöglich sei, in dieser elenden Welt Ideale zu verwirklichen, Wurzel faßte. Insoweit es noch möglich war, das Selbstgefühl Schopenhauers zu steigern, geschah es in Folge der Anerkennung, die ihm jetzt zu Theil wurde. Er sah sich als Messias, seine Anhänger als Apostel und Evangelisten an, die seinen Ruhm so laut als möglich zu verbreiten, seine Gegner so rücksichtslos als möglich niederzuwerfen verpflichtet feien. Hatten sie in diesem Werk nicht Eifer genug bewiesen, so war ihnen seine Ungnade sicher. Auf der Höhe literarischen Ruhmes starb Schopenhauer, am 20. Sep¬ tember 1860, in Frankfurt a. M., das er seit 1833 als Wohnort erwählt hatte. Der Blick auf sein Leben ist ebensowenig wohlthuend wie die Betrach¬ tung seiner Philosophie. Beide stehen in innerem Zusammenhang und zugleich in innerem Widerspruch zu einander, ersteres, denn seine Philosophie ist die objektive Spiegelung seiner eigenthümlichen Individualität, letzteres, denn er hat das von ihm ausgegebene Wort der Lösung, die Forderung der Selbstver¬ neinung, durchaus nicht in Wirklichkeit umgesetzt. Sein Leben ist nichts anderes als konsequenteste Selbstbejahung. Praktisch hat er sein System Lügen gestraft. War sein Leben ein in sich befriedigtes gewesen? Gewiß nicht, denn die Hingabe an die Ideen des sittlichen Lebens, die Gemeinschaft mit gleich Ge¬ sinnten, Freundschaft und Liebe als Güter, die nicht bloß empfangen, sondern auch gegeben werden müssen, haben ihm gefehlt. Sein Leben war innerlich arm, und das Wort, das Goethe in sein Stammbuch geschrieben: Willst Du Dich Deines Werthes freuen, So mußt der Welt Du Werth verleihen; es ist in Erfüllung gegangen. Nur am Schluß seines Laufs ist es anders gekommen. Ohne daß er der Welt Werth verlieh, hat er sich seines Werthes freuen dürfen. Aber freilich, die Frende, die Goethe im Sinne hatte, ist ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/215>, abgerufen am 02.09.2024.